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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

eiserne Faust des wirklichen Bedürfnisses fühlbar mache" wird. Was aber
die Regierungen in diesem Falle zeitig u, Betracht zu ziehen haben werden,
sind die Mittel und Wege, einen Lehrerstand zu gewinnen, der einer so
wichtigen und täglich stärker herantretenden Aufgabe gewachsen wäre. Deun
daß es in einer solchen Sache mit ein paar Verordnungen nicht abgethan
ist, wird man gewiß zugeben, wen" anch in den letzten Jahren die Frage
des Geschichtsunterrichts besonders in Preußen mehr vom Standpunkte der
scharfen Eingriffe als nnter dein Gesichtspunkte einer sorgfältig vorzubereitenden
Maßregel betrachtet worden zu sein scheint. Denn da las man aller Augen¬
blicke in deu Zeitungen von ministeriellen, schnlrätlichen und Direktionsan-
weisnngen über die Erweiterung des historischen Lehrstoffes. Der Frankfurter
Friede, nein! der Tod des Kaisers Wilhelm -- ja selbst des Kaisers Friedrich
sollte die in Zukunft zu gewinnende Grenze des historischen Unterrichts bilden.
Von dem Augenblicke an, wo bekannt wurde, daß Kaiser Wilhelm II. von
seinem Kasseler Gymnasialuuterricht nicht die besten Erinnerungen behalten
habe und daß ihm die Dürftigkeit und Einseitigkeit besonders des Geschichts¬
unterrichts auf den Gymnasien bekannt sei, schien die preußische hohe
Beamtenschaft mit einemmale begeistert zu sein für deu Unterricht in der
neuesten Geschichte. Man schwelgte förmlich in schönen Wendungen, mit denen
das Gemeingut einer so edeln patriotischen Wissenschaft anempfohlen werden
sollte. Aber den Erfolg dieser Anstrengungen scheint man sich nach dem be¬
kannten Lustspiel "Der König hats gesagt" gedacht zu haben, denn daß anch
mir die mindeste Überlegung darüber angestellt worden wäre, ob denn über¬
haupt die Lehrer Vorhemde" seien, die diese neueste Geschichte selber halbwegs
genügend wissen und daher einigermaßen zu lehre" verstehen, über diese Kleinig¬
keit verlautete nichts. Man hatte also entweder die Meinung, daß jeder Mensch
von Natur aus befähigt sei, neueste Geschichte zu lehren, oder man begnügte
sich mit einem weniger genügenden Unterricht.

Wie dein aber auch sein mag, es wird uuter alleu Umständen der Mühe
wert sein, zu überlegen, welche Ausbildung sich der künftige Lehrer der Ge¬
schichte angedeihen lassen müsse, wenn er seine Schüler mit Nutzen in die
neuere und neueste Geschichte einführe" will. Sei es, daß mau von Seite
der Behörden selbst endlich zu dem Wunsche gelangen wird, das auf deu
Unterricht in neuerer Geschichte gerichtete Ziel durch eine entsprechende Vor¬
bereitung der Lehrer zu erreichen, sei es, daß man es dem Eifer des Einzelnen
überläßt, sich für diese" Zweck besser z" befähige", in beiden Fällen wird es
erwünscht sein, über die Sache "achzudeiiken n"d die Erfahrungen derer zu
hören, die mit den: Gegenstände selbst genau vertraut siud. Denn die viel¬
fältige Wahrnehmung, daß am Ende doch nur der einen Gegenstand mit
Erfolg lehrt, der ihn selbst kennt, wird bei der neuern Geschichte sicher auch zu-
, treffend sein. Und wenn ich auch recht gut weiß, daß man in Sachen der


Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte

eiserne Faust des wirklichen Bedürfnisses fühlbar mache» wird. Was aber
die Regierungen in diesem Falle zeitig u, Betracht zu ziehen haben werden,
sind die Mittel und Wege, einen Lehrerstand zu gewinnen, der einer so
wichtigen und täglich stärker herantretenden Aufgabe gewachsen wäre. Deun
daß es in einer solchen Sache mit ein paar Verordnungen nicht abgethan
ist, wird man gewiß zugeben, wen» anch in den letzten Jahren die Frage
des Geschichtsunterrichts besonders in Preußen mehr vom Standpunkte der
scharfen Eingriffe als nnter dein Gesichtspunkte einer sorgfältig vorzubereitenden
Maßregel betrachtet worden zu sein scheint. Denn da las man aller Augen¬
blicke in deu Zeitungen von ministeriellen, schnlrätlichen und Direktionsan-
weisnngen über die Erweiterung des historischen Lehrstoffes. Der Frankfurter
Friede, nein! der Tod des Kaisers Wilhelm — ja selbst des Kaisers Friedrich
sollte die in Zukunft zu gewinnende Grenze des historischen Unterrichts bilden.
Von dem Augenblicke an, wo bekannt wurde, daß Kaiser Wilhelm II. von
seinem Kasseler Gymnasialuuterricht nicht die besten Erinnerungen behalten
habe und daß ihm die Dürftigkeit und Einseitigkeit besonders des Geschichts¬
unterrichts auf den Gymnasien bekannt sei, schien die preußische hohe
Beamtenschaft mit einemmale begeistert zu sein für deu Unterricht in der
neuesten Geschichte. Man schwelgte förmlich in schönen Wendungen, mit denen
das Gemeingut einer so edeln patriotischen Wissenschaft anempfohlen werden
sollte. Aber den Erfolg dieser Anstrengungen scheint man sich nach dem be¬
kannten Lustspiel „Der König hats gesagt" gedacht zu haben, denn daß anch
mir die mindeste Überlegung darüber angestellt worden wäre, ob denn über¬
haupt die Lehrer Vorhemde» seien, die diese neueste Geschichte selber halbwegs
genügend wissen und daher einigermaßen zu lehre» verstehen, über diese Kleinig¬
keit verlautete nichts. Man hatte also entweder die Meinung, daß jeder Mensch
von Natur aus befähigt sei, neueste Geschichte zu lehren, oder man begnügte
sich mit einem weniger genügenden Unterricht.

Wie dein aber auch sein mag, es wird uuter alleu Umständen der Mühe
wert sein, zu überlegen, welche Ausbildung sich der künftige Lehrer der Ge¬
schichte angedeihen lassen müsse, wenn er seine Schüler mit Nutzen in die
neuere und neueste Geschichte einführe» will. Sei es, daß mau von Seite
der Behörden selbst endlich zu dem Wunsche gelangen wird, das auf deu
Unterricht in neuerer Geschichte gerichtete Ziel durch eine entsprechende Vor¬
bereitung der Lehrer zu erreichen, sei es, daß man es dem Eifer des Einzelnen
überläßt, sich für diese» Zweck besser z» befähige», in beiden Fällen wird es
erwünscht sein, über die Sache »achzudeiiken n»d die Erfahrungen derer zu
hören, die mit den: Gegenstände selbst genau vertraut siud. Denn die viel¬
fältige Wahrnehmung, daß am Ende doch nur der einen Gegenstand mit
Erfolg lehrt, der ihn selbst kennt, wird bei der neuern Geschichte sicher auch zu-
, treffend sein. Und wenn ich auch recht gut weiß, daß man in Sachen der


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[0521] Der zukünftige Unterricht in der neuesten Geschichte eiserne Faust des wirklichen Bedürfnisses fühlbar mache» wird. Was aber die Regierungen in diesem Falle zeitig u, Betracht zu ziehen haben werden, sind die Mittel und Wege, einen Lehrerstand zu gewinnen, der einer so wichtigen und täglich stärker herantretenden Aufgabe gewachsen wäre. Deun daß es in einer solchen Sache mit ein paar Verordnungen nicht abgethan ist, wird man gewiß zugeben, wen» anch in den letzten Jahren die Frage des Geschichtsunterrichts besonders in Preußen mehr vom Standpunkte der scharfen Eingriffe als nnter dein Gesichtspunkte einer sorgfältig vorzubereitenden Maßregel betrachtet worden zu sein scheint. Denn da las man aller Augen¬ blicke in deu Zeitungen von ministeriellen, schnlrätlichen und Direktionsan- weisnngen über die Erweiterung des historischen Lehrstoffes. Der Frankfurter Friede, nein! der Tod des Kaisers Wilhelm — ja selbst des Kaisers Friedrich sollte die in Zukunft zu gewinnende Grenze des historischen Unterrichts bilden. Von dem Augenblicke an, wo bekannt wurde, daß Kaiser Wilhelm II. von seinem Kasseler Gymnasialuuterricht nicht die besten Erinnerungen behalten habe und daß ihm die Dürftigkeit und Einseitigkeit besonders des Geschichts¬ unterrichts auf den Gymnasien bekannt sei, schien die preußische hohe Beamtenschaft mit einemmale begeistert zu sein für deu Unterricht in der neuesten Geschichte. Man schwelgte förmlich in schönen Wendungen, mit denen das Gemeingut einer so edeln patriotischen Wissenschaft anempfohlen werden sollte. Aber den Erfolg dieser Anstrengungen scheint man sich nach dem be¬ kannten Lustspiel „Der König hats gesagt" gedacht zu haben, denn daß anch mir die mindeste Überlegung darüber angestellt worden wäre, ob denn über¬ haupt die Lehrer Vorhemde» seien, die diese neueste Geschichte selber halbwegs genügend wissen und daher einigermaßen zu lehre» verstehen, über diese Kleinig¬ keit verlautete nichts. Man hatte also entweder die Meinung, daß jeder Mensch von Natur aus befähigt sei, neueste Geschichte zu lehren, oder man begnügte sich mit einem weniger genügenden Unterricht. Wie dein aber auch sein mag, es wird uuter alleu Umständen der Mühe wert sein, zu überlegen, welche Ausbildung sich der künftige Lehrer der Ge¬ schichte angedeihen lassen müsse, wenn er seine Schüler mit Nutzen in die neuere und neueste Geschichte einführe» will. Sei es, daß mau von Seite der Behörden selbst endlich zu dem Wunsche gelangen wird, das auf deu Unterricht in neuerer Geschichte gerichtete Ziel durch eine entsprechende Vor¬ bereitung der Lehrer zu erreichen, sei es, daß man es dem Eifer des Einzelnen überläßt, sich für diese» Zweck besser z» befähige», in beiden Fällen wird es erwünscht sein, über die Sache »achzudeiiken n»d die Erfahrungen derer zu hören, die mit den: Gegenstände selbst genau vertraut siud. Denn die viel¬ fältige Wahrnehmung, daß am Ende doch nur der einen Gegenstand mit Erfolg lehrt, der ihn selbst kennt, wird bei der neuern Geschichte sicher auch zu- , treffend sein. Und wenn ich auch recht gut weiß, daß man in Sachen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/521>, abgerufen am 24.07.2024.