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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Führer der Menschheit ist der Gottesglaube, dieser ist Kapitän. Aber Gott
selbst kennen wir nicht; inzwischen muß jeder seine Pflicht thun. Im "Sünd¬
kind" heißt es eimnnl: "Die Welt ist uicht dn zum Verlangen, und die Welt ist
uicht da zum Entsagen, sie ist dn -- mein ich -- zum Arbeiten." Der Nach¬
druck seiner Lebensanschauung fällt auf das sittliche Thun und nicht auf den
Glauben. Dieser Anschauung giebt er den mannichfaltigsten Ausdruck.

Die rechte Frömmigkeit ist nach Anzengruber nicht erlernbar, nicht von
außen auf einen Menschen übertragbar. Im ,,Sündkind" legt er dem grund¬
gütigen und in seinem Sinne frommen Bruder des tragischen jungen Priesters
die Worte in den Mund: ,,Jch mein immer, darauf ^aufs Pfarrer sein^ sollt
mau keinen lernen lassen, wie aufs Tischlern, Weben, Schmieden. El ja,
was den Pfarrer in der Kirche ausmacht, das mag einer auf die Art weg¬
kriegen, aber wenn ihm eines gerannt kommt, das in seinem Herzen kein
heiles Fleckel mehr hat, und schreit: "Jetzt hilf dn!" da muß er sich aus-
wisfen, die wundeste Stell muß er herausfinden, und gleich schauen muß er's,
als langt' er in Himmel, faßte des Herrgotts Hand und legte sie auf das
Gebrest. Das läßt sich nicht erlernen. Ich lob mir einen Pfarrer weit da
drüben im Gewand, den alten eisgrauen Mann, der erst mit der Welt fertig
geworden ist, eh er sich hat weihen lassen." Natürlich stellt sich der Dichter
mit dieser Anschauung des priesterlichen Berufs in Gegensatz zur katholischen
Kirche, die mit der letzten Weihe, die sie dem Priester erteilt, ihn auch als im
Besitze der Gnade bezeichnet. Wenn ihn daher der Biograph als einen
schwärmerischen Apostel und Verklärer der Kirche, als einen zwar aufge¬
klärten, immerhin aber katholisch-gläubigen Josephiner bezeichnet, so entspricht
dies nicht ganz der Wahrheit; wir begreifen viel besser die Feindschaft des
katholischen Klerus gegen den Dichter, der religiös gleichsam auf eigne Faust
ist, fromm ohne objektive Gläubigkeit. Für den Dichter ist aber die Fröm¬
migkeit eine Charaktereigenschaft, man ist fromm, oder man ist es auch nicht,
erlernbar ist die Sache nicht.

Und nun ist dies das positiv Bedeutsame in Auzeugrubers Poesie, daß
er von seiner Erkenntnis der rechten Frömmigkeit keineswegs ausschließlich
Polemisch-satirischen Gebrauch gegen die Kirche macht, sondern rein dichterisch
durch Schilderung frommer und unfrommer Charaktere reichlich Kapital aus
ihr schlüge. Seine Poesie stellt den Charakter der von Natur aus frommen
Menschen in zahlreichen Beziehungen und Gegensätzen zu den andern Menschen
dar. Er erfaßt die Religiosität uicht bloß als ein Bekenntnis, sondern als
eine That, und damit erweitert sich sein Gesichtsfeld ins Große. Einer seiner
schönsten, im goldnen Abendlicht der Verklärung geschilderten frommen Ge¬
stalten, der "frommen Katherin," hat er die bedeutsamen Worte in den Mund
gelegt: "Damit meiner Schwester Kind einen ehrlichen Namen mit auf die Welt
bringt, hab ich es so geschehen lassen jnämlich die der sündigen Schwester znge-


Führer der Menschheit ist der Gottesglaube, dieser ist Kapitän. Aber Gott
selbst kennen wir nicht; inzwischen muß jeder seine Pflicht thun. Im „Sünd¬
kind" heißt es eimnnl: „Die Welt ist uicht dn zum Verlangen, und die Welt ist
uicht da zum Entsagen, sie ist dn — mein ich — zum Arbeiten." Der Nach¬
druck seiner Lebensanschauung fällt auf das sittliche Thun und nicht auf den
Glauben. Dieser Anschauung giebt er den mannichfaltigsten Ausdruck.

Die rechte Frömmigkeit ist nach Anzengruber nicht erlernbar, nicht von
außen auf einen Menschen übertragbar. Im ,,Sündkind" legt er dem grund¬
gütigen und in seinem Sinne frommen Bruder des tragischen jungen Priesters
die Worte in den Mund: ,,Jch mein immer, darauf ^aufs Pfarrer sein^ sollt
mau keinen lernen lassen, wie aufs Tischlern, Weben, Schmieden. El ja,
was den Pfarrer in der Kirche ausmacht, das mag einer auf die Art weg¬
kriegen, aber wenn ihm eines gerannt kommt, das in seinem Herzen kein
heiles Fleckel mehr hat, und schreit: »Jetzt hilf dn!« da muß er sich aus-
wisfen, die wundeste Stell muß er herausfinden, und gleich schauen muß er's,
als langt' er in Himmel, faßte des Herrgotts Hand und legte sie auf das
Gebrest. Das läßt sich nicht erlernen. Ich lob mir einen Pfarrer weit da
drüben im Gewand, den alten eisgrauen Mann, der erst mit der Welt fertig
geworden ist, eh er sich hat weihen lassen." Natürlich stellt sich der Dichter
mit dieser Anschauung des priesterlichen Berufs in Gegensatz zur katholischen
Kirche, die mit der letzten Weihe, die sie dem Priester erteilt, ihn auch als im
Besitze der Gnade bezeichnet. Wenn ihn daher der Biograph als einen
schwärmerischen Apostel und Verklärer der Kirche, als einen zwar aufge¬
klärten, immerhin aber katholisch-gläubigen Josephiner bezeichnet, so entspricht
dies nicht ganz der Wahrheit; wir begreifen viel besser die Feindschaft des
katholischen Klerus gegen den Dichter, der religiös gleichsam auf eigne Faust
ist, fromm ohne objektive Gläubigkeit. Für den Dichter ist aber die Fröm¬
migkeit eine Charaktereigenschaft, man ist fromm, oder man ist es auch nicht,
erlernbar ist die Sache nicht.

Und nun ist dies das positiv Bedeutsame in Auzeugrubers Poesie, daß
er von seiner Erkenntnis der rechten Frömmigkeit keineswegs ausschließlich
Polemisch-satirischen Gebrauch gegen die Kirche macht, sondern rein dichterisch
durch Schilderung frommer und unfrommer Charaktere reichlich Kapital aus
ihr schlüge. Seine Poesie stellt den Charakter der von Natur aus frommen
Menschen in zahlreichen Beziehungen und Gegensätzen zu den andern Menschen
dar. Er erfaßt die Religiosität uicht bloß als ein Bekenntnis, sondern als
eine That, und damit erweitert sich sein Gesichtsfeld ins Große. Einer seiner
schönsten, im goldnen Abendlicht der Verklärung geschilderten frommen Ge¬
stalten, der „frommen Katherin," hat er die bedeutsamen Worte in den Mund
gelegt: „Damit meiner Schwester Kind einen ehrlichen Namen mit auf die Welt
bringt, hab ich es so geschehen lassen jnämlich die der sündigen Schwester znge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/51>, abgerufen am 24.07.2024.