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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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wünsche für die Statistik

ein abschließendes Urteil abzuleiten. Die Erhebungen müssen, wenn auch für die
Wissenschaft neue Gesetze gewonnen oder bekannte Erfahrungen bestätigt sein
werden, schon wegen andrer Bedürfnisse der Verwaltung fortgesetzt werden, auch
um die Gesetze des Daseins auf ihre Stetigkeit zu prüfen. Dann werden die
veröffentlichten Zählungsergebnisse wieder neue Gesichtspunkte eröffnen, neue
Anregungen bieten. Und so wird immer weiter, immer mehr gezählt werden.

Für deu allgemeinen Nutzen werden aus der amtlichen Statistik, ab¬
gesehen von den Erfahrungen, die die Verwaltung sammeln wird, im großen
und ganzen nnr einige Bereicherungen unsrer Kenntnisse der Gesetze des
Daseins abfallen. Ein weit größerer Nutzen erwächst uus dagegen durch die
Beiträge zur Landeskunde, die auf diesem Wege gewonnen werden. Auf
diesem Gebiete liegt der hauptsächliche Wert der Statistik, und wenn sich die
Statistiker dem Vorwurfe entziehen wollen, den Cicero gegen die richtet, die
sich in der Wissenschaft so vergraben, daß sie zum öffentlichen Nutzen nichts
beitragen könnten, müssen sie sich vor allem die Förderung der Landeskunde
zur Aufgabe setzen. In dieser Hinsicht müssen wir auch bereitwillig anerkennen,
daß für die Verdichtung des Stoffes zu unmittelbaren handlichem Gebrauche
nach englischen und amerikanischen Mustern in jüngster Zeit schon viel geschehen
ist durch die Herausgabe statistischer Hand- und Jahrbücher, durch Lnndes-
beschreibungen u. s. w., und es läßt sich nicht verkennen, daß die Grundlinien
eines Arbeitsplanes erkennbar werden, der sich aus der richtigen Erkenntnis
der Bedürfnisse von selbst ergiebt. Aber noch keinerlei Einverständnis ist
darüber erkennbar, wie im sonstigen die Arbeitseinteilung erfolgen soll, deren
Notwendigkeit doch nicht bestritten wird.

Aus neuester Zeit liegen zwei Vorschläge vor, die, wenn sie auch beide
demselben Wunsche entstammen, ungeregelte Bestrebungen in sichere Bahnen
zu leiten, doch gerade in der Verschiedenheit der Endziele den Widerspruch der
Ansichten darüber erkennen lassen, wem die Aufgabe überlassen werden soll,
den meist von den Behörden gelieferten Stoff ein Zahlen zu deuten und für
wissenschaftliche oder staatliche Zwecke zu verwerten. Das von dem Unter-
staatssekretür a. D. Georg von Mähr gegründete "Allgemeine Statistische
Archiv" (Tübingen, Lauppsche Buchhandlung) soll ein litterarischer Mittelpunkt
für die wissenschaftliche statistische Forschung in allgemein ansprechender Form
werden. Dieses Unternehmen ist gewiß freudig zu begrüßen, und wen" da¬
durch Wohlgefallen um der Statistik anch in Verwaltnngskrcisen geweckt werden
sollte, so wäre das Verdienst umso größer. Aber was soll eine Zeitschrift
mit beschränktem Raum gegenüber der Unmasse von statistischen Stoff aus¬
richten, der fortwährend anwächst, der gedeutet und bearbeitet werden soll?
Einen andern Vorschlag finden wir in einem offnen Schreiben des verdienst-
vollen Direktors des königlich sächsischen statistischen Bureaus Professor
Dr. Böhmert i" Dresden, worin ausgesprochen ist, daß als Jdealzustnud die


wünsche für die Statistik

ein abschließendes Urteil abzuleiten. Die Erhebungen müssen, wenn auch für die
Wissenschaft neue Gesetze gewonnen oder bekannte Erfahrungen bestätigt sein
werden, schon wegen andrer Bedürfnisse der Verwaltung fortgesetzt werden, auch
um die Gesetze des Daseins auf ihre Stetigkeit zu prüfen. Dann werden die
veröffentlichten Zählungsergebnisse wieder neue Gesichtspunkte eröffnen, neue
Anregungen bieten. Und so wird immer weiter, immer mehr gezählt werden.

Für deu allgemeinen Nutzen werden aus der amtlichen Statistik, ab¬
gesehen von den Erfahrungen, die die Verwaltung sammeln wird, im großen
und ganzen nnr einige Bereicherungen unsrer Kenntnisse der Gesetze des
Daseins abfallen. Ein weit größerer Nutzen erwächst uus dagegen durch die
Beiträge zur Landeskunde, die auf diesem Wege gewonnen werden. Auf
diesem Gebiete liegt der hauptsächliche Wert der Statistik, und wenn sich die
Statistiker dem Vorwurfe entziehen wollen, den Cicero gegen die richtet, die
sich in der Wissenschaft so vergraben, daß sie zum öffentlichen Nutzen nichts
beitragen könnten, müssen sie sich vor allem die Förderung der Landeskunde
zur Aufgabe setzen. In dieser Hinsicht müssen wir auch bereitwillig anerkennen,
daß für die Verdichtung des Stoffes zu unmittelbaren handlichem Gebrauche
nach englischen und amerikanischen Mustern in jüngster Zeit schon viel geschehen
ist durch die Herausgabe statistischer Hand- und Jahrbücher, durch Lnndes-
beschreibungen u. s. w., und es läßt sich nicht verkennen, daß die Grundlinien
eines Arbeitsplanes erkennbar werden, der sich aus der richtigen Erkenntnis
der Bedürfnisse von selbst ergiebt. Aber noch keinerlei Einverständnis ist
darüber erkennbar, wie im sonstigen die Arbeitseinteilung erfolgen soll, deren
Notwendigkeit doch nicht bestritten wird.

Aus neuester Zeit liegen zwei Vorschläge vor, die, wenn sie auch beide
demselben Wunsche entstammen, ungeregelte Bestrebungen in sichere Bahnen
zu leiten, doch gerade in der Verschiedenheit der Endziele den Widerspruch der
Ansichten darüber erkennen lassen, wem die Aufgabe überlassen werden soll,
den meist von den Behörden gelieferten Stoff ein Zahlen zu deuten und für
wissenschaftliche oder staatliche Zwecke zu verwerten. Das von dem Unter-
staatssekretür a. D. Georg von Mähr gegründete „Allgemeine Statistische
Archiv" (Tübingen, Lauppsche Buchhandlung) soll ein litterarischer Mittelpunkt
für die wissenschaftliche statistische Forschung in allgemein ansprechender Form
werden. Dieses Unternehmen ist gewiß freudig zu begrüßen, und wen» da¬
durch Wohlgefallen um der Statistik anch in Verwaltnngskrcisen geweckt werden
sollte, so wäre das Verdienst umso größer. Aber was soll eine Zeitschrift
mit beschränktem Raum gegenüber der Unmasse von statistischen Stoff aus¬
richten, der fortwährend anwächst, der gedeutet und bearbeitet werden soll?
Einen andern Vorschlag finden wir in einem offnen Schreiben des verdienst-
vollen Direktors des königlich sächsischen statistischen Bureaus Professor
Dr. Böhmert i» Dresden, worin ausgesprochen ist, daß als Jdealzustnud die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/502>, abgerufen am 24.07.2024.