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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzengruber

Diese Vorliebe Anzengrubers für die bald satirische, bald liebevolle Dar¬
stellung aller möglichen Formen von Religiosität, diese merkwürdige Ausdauer
im Kampfe gegen die nngeläuterten religiösen Vorstellungen der katholischen
Bauernschaft darf ohne Bedenken anf einen religiösen Grundcharakter des
Dichters selbst zurückgeführt werdeu. Ein Erlebnis, wie es der Steinklopfer-
hanns von sich berichtet es überkam ihn, der aus schwerer Krankheit
genas, in der größten Verlassenheit plötzlich ein tiefes Gefühl von der Güte
Gottes und damit die unentreißbare Sicherheit: ,,Es kann dir nix geschegn!"
wodurch allein er der starke Mensch wurde, der die ganze Umgebung klug
beherrscht --, solch ein Erlebnis hat, wie uns der Biograph erzählt, der
Dichter selbst einmal gehabt. Es mag in ihm den Genius entbunden haben,
und es wurde das Pathos seiner Muse, das Gefühl von den zahllosen Ge¬
fühlen der Menschenbrust, das er am innigsten empfand. Was Religion ist,
wie der wahrhaft fromme Mensch fühlt und handelt, das wußte Anzengruber
am allerbeste", und darum kannte er auch das Gegenteil der echten Frömmig¬
keit, die Heuchelei, die Scheinheiligkeit, den Aberglauben, den Teufelsglauben,
und darum wurde jene reine religiöse Stimmung die Quelle seiner Poesie.

Und nur, weil er so beschaffen war, konnte er in einer Zeit allgemeiner
religiöser Gährung, im Jahre 1870, als die Verkündigung des Dogmas der
Unfehlbarkeit die ganze Welt erregte, und als in der engern Heimat des
Dichters, in Österreich, der Kampf um die Aufhebung des Dogmas gekümpft
wurde, mit seinem "Pfarrer von Kirchfeld" zündend in die Öffentlichkeit treten.
Die Stimmung der Zeit hat in diesem Werke ihren dichterischen Ausdruck
gefunden. Als die religiösen Streitfragen zurücktraten, mußte auch das
Interesse an solchen "katechetischen" Stücken kühler werden, wie es ja auch in
Wahrheit geschah (womit nicht gesagt sein soll, daß die Dichtungen deswegen
veraltet wären; nichts weniger als dies!). Und endlich erklärt sich aus diesem
Zwar vorwaltend kirchenfeindlichen, aber doch wesentlich religiösen Pathos
Anzengrubers seine Beschränkung auf das Bauernvolk in der Poesie. Heut¬
zutage ist der Städter religiös gleichgiltig, ob zum Vor- oder Nachteil, bleibe
hier unerörtert. Für einen Dichter, der die falsche Religiosität bekämpft, ist
er deshalb künstlerisch unbrauchbar. Dem unreligiösen Städter kann der
Dichter nicht mit seinem aus religiösem Boden aufgebauten Lebensideal kommen,
denn er würde nicht verstanden werden. Der Bauer dagegen wird vom
Dichter wahrhaft verstanden und umgekehrt, weil das Bedürfnis nach Fröm¬
migkeit beide:? gemeinsam ist, und darum hat sich Anzengruber mit solcher
Vorliebe der Dorfpoesie zugewendet. Dem Bauer gegenüber hat er die volle
Sicherheit des Urteils, sein positives Ideal, darum ist auch die Bauernkomödie
Anzengrubers stets von reiner, harmonischer Wirkung. Den Städtern hat er kein
^deal zu geben, woran sie glauben könnten. Die Kosten der Poesie im "Vierten
Gebot" und in "Hcimgfnnden" werdeu durch Gestalten aus dem schlichtesten


Grenzboten II 1891 6
Ludwig Anzengruber

Diese Vorliebe Anzengrubers für die bald satirische, bald liebevolle Dar¬
stellung aller möglichen Formen von Religiosität, diese merkwürdige Ausdauer
im Kampfe gegen die nngeläuterten religiösen Vorstellungen der katholischen
Bauernschaft darf ohne Bedenken anf einen religiösen Grundcharakter des
Dichters selbst zurückgeführt werdeu. Ein Erlebnis, wie es der Steinklopfer-
hanns von sich berichtet es überkam ihn, der aus schwerer Krankheit
genas, in der größten Verlassenheit plötzlich ein tiefes Gefühl von der Güte
Gottes und damit die unentreißbare Sicherheit: ,,Es kann dir nix geschegn!"
wodurch allein er der starke Mensch wurde, der die ganze Umgebung klug
beherrscht —, solch ein Erlebnis hat, wie uns der Biograph erzählt, der
Dichter selbst einmal gehabt. Es mag in ihm den Genius entbunden haben,
und es wurde das Pathos seiner Muse, das Gefühl von den zahllosen Ge¬
fühlen der Menschenbrust, das er am innigsten empfand. Was Religion ist,
wie der wahrhaft fromme Mensch fühlt und handelt, das wußte Anzengruber
am allerbeste«, und darum kannte er auch das Gegenteil der echten Frömmig¬
keit, die Heuchelei, die Scheinheiligkeit, den Aberglauben, den Teufelsglauben,
und darum wurde jene reine religiöse Stimmung die Quelle seiner Poesie.

Und nur, weil er so beschaffen war, konnte er in einer Zeit allgemeiner
religiöser Gährung, im Jahre 1870, als die Verkündigung des Dogmas der
Unfehlbarkeit die ganze Welt erregte, und als in der engern Heimat des
Dichters, in Österreich, der Kampf um die Aufhebung des Dogmas gekümpft
wurde, mit seinem „Pfarrer von Kirchfeld" zündend in die Öffentlichkeit treten.
Die Stimmung der Zeit hat in diesem Werke ihren dichterischen Ausdruck
gefunden. Als die religiösen Streitfragen zurücktraten, mußte auch das
Interesse an solchen „katechetischen" Stücken kühler werden, wie es ja auch in
Wahrheit geschah (womit nicht gesagt sein soll, daß die Dichtungen deswegen
veraltet wären; nichts weniger als dies!). Und endlich erklärt sich aus diesem
Zwar vorwaltend kirchenfeindlichen, aber doch wesentlich religiösen Pathos
Anzengrubers seine Beschränkung auf das Bauernvolk in der Poesie. Heut¬
zutage ist der Städter religiös gleichgiltig, ob zum Vor- oder Nachteil, bleibe
hier unerörtert. Für einen Dichter, der die falsche Religiosität bekämpft, ist
er deshalb künstlerisch unbrauchbar. Dem unreligiösen Städter kann der
Dichter nicht mit seinem aus religiösem Boden aufgebauten Lebensideal kommen,
denn er würde nicht verstanden werden. Der Bauer dagegen wird vom
Dichter wahrhaft verstanden und umgekehrt, weil das Bedürfnis nach Fröm¬
migkeit beide:? gemeinsam ist, und darum hat sich Anzengruber mit solcher
Vorliebe der Dorfpoesie zugewendet. Dem Bauer gegenüber hat er die volle
Sicherheit des Urteils, sein positives Ideal, darum ist auch die Bauernkomödie
Anzengrubers stets von reiner, harmonischer Wirkung. Den Städtern hat er kein
^deal zu geben, woran sie glauben könnten. Die Kosten der Poesie im „Vierten
Gebot" und in „Hcimgfnnden" werdeu durch Gestalten aus dem schlichtesten


Grenzboten II 1891 6
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[0049] Ludwig Anzengruber Diese Vorliebe Anzengrubers für die bald satirische, bald liebevolle Dar¬ stellung aller möglichen Formen von Religiosität, diese merkwürdige Ausdauer im Kampfe gegen die nngeläuterten religiösen Vorstellungen der katholischen Bauernschaft darf ohne Bedenken anf einen religiösen Grundcharakter des Dichters selbst zurückgeführt werdeu. Ein Erlebnis, wie es der Steinklopfer- hanns von sich berichtet es überkam ihn, der aus schwerer Krankheit genas, in der größten Verlassenheit plötzlich ein tiefes Gefühl von der Güte Gottes und damit die unentreißbare Sicherheit: ,,Es kann dir nix geschegn!" wodurch allein er der starke Mensch wurde, der die ganze Umgebung klug beherrscht —, solch ein Erlebnis hat, wie uns der Biograph erzählt, der Dichter selbst einmal gehabt. Es mag in ihm den Genius entbunden haben, und es wurde das Pathos seiner Muse, das Gefühl von den zahllosen Ge¬ fühlen der Menschenbrust, das er am innigsten empfand. Was Religion ist, wie der wahrhaft fromme Mensch fühlt und handelt, das wußte Anzengruber am allerbeste«, und darum kannte er auch das Gegenteil der echten Frömmig¬ keit, die Heuchelei, die Scheinheiligkeit, den Aberglauben, den Teufelsglauben, und darum wurde jene reine religiöse Stimmung die Quelle seiner Poesie. Und nur, weil er so beschaffen war, konnte er in einer Zeit allgemeiner religiöser Gährung, im Jahre 1870, als die Verkündigung des Dogmas der Unfehlbarkeit die ganze Welt erregte, und als in der engern Heimat des Dichters, in Österreich, der Kampf um die Aufhebung des Dogmas gekümpft wurde, mit seinem „Pfarrer von Kirchfeld" zündend in die Öffentlichkeit treten. Die Stimmung der Zeit hat in diesem Werke ihren dichterischen Ausdruck gefunden. Als die religiösen Streitfragen zurücktraten, mußte auch das Interesse an solchen „katechetischen" Stücken kühler werden, wie es ja auch in Wahrheit geschah (womit nicht gesagt sein soll, daß die Dichtungen deswegen veraltet wären; nichts weniger als dies!). Und endlich erklärt sich aus diesem Zwar vorwaltend kirchenfeindlichen, aber doch wesentlich religiösen Pathos Anzengrubers seine Beschränkung auf das Bauernvolk in der Poesie. Heut¬ zutage ist der Städter religiös gleichgiltig, ob zum Vor- oder Nachteil, bleibe hier unerörtert. Für einen Dichter, der die falsche Religiosität bekämpft, ist er deshalb künstlerisch unbrauchbar. Dem unreligiösen Städter kann der Dichter nicht mit seinem aus religiösem Boden aufgebauten Lebensideal kommen, denn er würde nicht verstanden werden. Der Bauer dagegen wird vom Dichter wahrhaft verstanden und umgekehrt, weil das Bedürfnis nach Fröm¬ migkeit beide:? gemeinsam ist, und darum hat sich Anzengruber mit solcher Vorliebe der Dorfpoesie zugewendet. Dem Bauer gegenüber hat er die volle Sicherheit des Urteils, sein positives Ideal, darum ist auch die Bauernkomödie Anzengrubers stets von reiner, harmonischer Wirkung. Den Städtern hat er kein ^deal zu geben, woran sie glauben könnten. Die Kosten der Poesie im „Vierten Gebot" und in „Hcimgfnnden" werdeu durch Gestalten aus dem schlichtesten Grenzboten II 1891 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/49>, abgerufen am 24.07.2024.