Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

aber mich sonst sehr belesen, ein gewandter Schriftsteller, ein erfinderischer Kopf,
scheint er viele Eigenschaften zu besitzen, die den Dichter ausmachen, und er ist
auch in der That mit mehr oder weniger umfänglichen poetischen Werken hervor¬
getreten. Dennoch wagen wir ohne Bedenken den Ausspruch, daß sich kaum jemals
ein minder poetischer Mann in den Ruf eines Dichters gesetzt hat, als Max Haus-
hofer. Aber er hat doch eine ungeheure, unerschöpfliche Phantasie, werden uns
seine Parteigänger -- er hat wirklich solche! -- entgegnen. Dann werden wir
ihnen sagen! Ja wohl, Haushofer ist der größte Phantast, den nur kennen, er ist
der rasend gewordene Mathematiker, der in seinen Mußestunden froh ist, der
strengen Göttin der Ordnung und Harmonie ein Schnippchen schlagen und der
Phantasie die Zügel schießen lassen zu können. Aber ein Dichter ist er darum
nicht im geringsten, denn ihm fehlt die vornehmste Eigenschaft des Dichters, des
Künstlers überhaupt i Natur und Einfalt. Weder besitzt er sie für seine Person,
noch vermag er sie darzustellen, er kennt sie offenbar gar nicht. Mit der Phan¬
tasterei steht seine nüchterne, Prosaische, abstrakte Sprache in vollem Einklange.
Das ganze Buch von mehr als fünfhundert Seiten haben wir mit großer Geduld
gelesen, der Kopf wirbelt uus von all dein Teufelsspuk, der darin sein Spiel treibt,
aber ein zufälliges Gleichnis, eine jedem fühlenden Gemüte sich unwillkürlich auf¬
drängende Metapher erinnern nur uns nicht in dem ganzen dicken Bande gefunden
zu haben. Das ist nicht die Sprache eiues Dichters, uicht einmal eines Talents,
fondern nur die eines geschickten Schriftstellers, der zu allen seinen Mängeln auch
noch den verhängnisvollen Mangel an Geschmack aufweist. Deal nur daraus ist
die unendliche Langeweile zu erklären, die dieses Buch erzeugt. Es ist gar uicht
zu sagen, wie eintönig es in seiner scheinbar unerschöpflichen Buntheit ist! ein
Pedant hat es geschrieben, der sich aufs Phantasiren verlegt. Mir jeden, der sich
nur im geringsten auf die Kunst versteht, ist eigentlich dieses Gedicht durch das
Vorwort gerichtet, das ihm der Dichter in letzter Stunde, wie es scheint, von
einigem Zweifel an sich selbst erfaßt, vorausgeschickt hat, und das keinen andern Zweck
hat, als die Idee der Dichtung, das Geheimnis des Titels zu erläutern. Wie
schlimm, daß dies nötig war! Aus dem Buche selbst wird man über das, waS
Haushofer gewollt hat, uicht klug, und soweit man ihn versteht, mutet er trivial
an. Das Ganze ist eine lose an einander gereihte Folge von Phantasien, ohne
Humor, ohne die Anmut des Märchens, gruselig zuweilen, eintönig trübselig.
Diese Kritik schreiben wir nieder, ohne die Notwendigkeit zu fühlen, sie aus¬
führlich zu begründen; jeder verständige Leser des Buches wird sie bestätigen und
das Gedicht zu jenen wunderlichen Erzengnissen gequälter Arbeit stellen, an denen
unsre Litteratur leider keinen Maugel hat.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

aber mich sonst sehr belesen, ein gewandter Schriftsteller, ein erfinderischer Kopf,
scheint er viele Eigenschaften zu besitzen, die den Dichter ausmachen, und er ist
auch in der That mit mehr oder weniger umfänglichen poetischen Werken hervor¬
getreten. Dennoch wagen wir ohne Bedenken den Ausspruch, daß sich kaum jemals
ein minder poetischer Mann in den Ruf eines Dichters gesetzt hat, als Max Haus-
hofer. Aber er hat doch eine ungeheure, unerschöpfliche Phantasie, werden uns
seine Parteigänger — er hat wirklich solche! — entgegnen. Dann werden wir
ihnen sagen! Ja wohl, Haushofer ist der größte Phantast, den nur kennen, er ist
der rasend gewordene Mathematiker, der in seinen Mußestunden froh ist, der
strengen Göttin der Ordnung und Harmonie ein Schnippchen schlagen und der
Phantasie die Zügel schießen lassen zu können. Aber ein Dichter ist er darum
nicht im geringsten, denn ihm fehlt die vornehmste Eigenschaft des Dichters, des
Künstlers überhaupt i Natur und Einfalt. Weder besitzt er sie für seine Person,
noch vermag er sie darzustellen, er kennt sie offenbar gar nicht. Mit der Phan¬
tasterei steht seine nüchterne, Prosaische, abstrakte Sprache in vollem Einklange.
Das ganze Buch von mehr als fünfhundert Seiten haben wir mit großer Geduld
gelesen, der Kopf wirbelt uus von all dein Teufelsspuk, der darin sein Spiel treibt,
aber ein zufälliges Gleichnis, eine jedem fühlenden Gemüte sich unwillkürlich auf¬
drängende Metapher erinnern nur uns nicht in dem ganzen dicken Bande gefunden
zu haben. Das ist nicht die Sprache eiues Dichters, uicht einmal eines Talents,
fondern nur die eines geschickten Schriftstellers, der zu allen seinen Mängeln auch
noch den verhängnisvollen Mangel an Geschmack aufweist. Deal nur daraus ist
die unendliche Langeweile zu erklären, die dieses Buch erzeugt. Es ist gar uicht
zu sagen, wie eintönig es in seiner scheinbar unerschöpflichen Buntheit ist! ein
Pedant hat es geschrieben, der sich aufs Phantasiren verlegt. Mir jeden, der sich
nur im geringsten auf die Kunst versteht, ist eigentlich dieses Gedicht durch das
Vorwort gerichtet, das ihm der Dichter in letzter Stunde, wie es scheint, von
einigem Zweifel an sich selbst erfaßt, vorausgeschickt hat, und das keinen andern Zweck
hat, als die Idee der Dichtung, das Geheimnis des Titels zu erläutern. Wie
schlimm, daß dies nötig war! Aus dem Buche selbst wird man über das, waS
Haushofer gewollt hat, uicht klug, und soweit man ihn versteht, mutet er trivial
an. Das Ganze ist eine lose an einander gereihte Folge von Phantasien, ohne
Humor, ohne die Anmut des Märchens, gruselig zuweilen, eintönig trübselig.
Diese Kritik schreiben wir nieder, ohne die Notwendigkeit zu fühlen, sie aus¬
führlich zu begründen; jeder verständige Leser des Buches wird sie bestätigen und
das Gedicht zu jenen wunderlichen Erzengnissen gequälter Arbeit stellen, an denen
unsre Litteratur leider keinen Maugel hat.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210319"/>
            <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1264" prev="#ID_1263"> aber mich sonst sehr belesen, ein gewandter Schriftsteller, ein erfinderischer Kopf,<lb/>
scheint er viele Eigenschaften zu besitzen, die den Dichter ausmachen, und er ist<lb/>
auch in der That mit mehr oder weniger umfänglichen poetischen Werken hervor¬<lb/>
getreten. Dennoch wagen wir ohne Bedenken den Ausspruch, daß sich kaum jemals<lb/>
ein minder poetischer Mann in den Ruf eines Dichters gesetzt hat, als Max Haus-<lb/>
hofer. Aber er hat doch eine ungeheure, unerschöpfliche Phantasie, werden uns<lb/>
seine Parteigänger &#x2014; er hat wirklich solche! &#x2014; entgegnen. Dann werden wir<lb/>
ihnen sagen! Ja wohl, Haushofer ist der größte Phantast, den nur kennen, er ist<lb/>
der rasend gewordene Mathematiker, der in seinen Mußestunden froh ist, der<lb/>
strengen Göttin der Ordnung und Harmonie ein Schnippchen schlagen und der<lb/>
Phantasie die Zügel schießen lassen zu können. Aber ein Dichter ist er darum<lb/>
nicht im geringsten, denn ihm fehlt die vornehmste Eigenschaft des Dichters, des<lb/>
Künstlers überhaupt i Natur und Einfalt. Weder besitzt er sie für seine Person,<lb/>
noch vermag er sie darzustellen, er kennt sie offenbar gar nicht. Mit der Phan¬<lb/>
tasterei steht seine nüchterne, Prosaische, abstrakte Sprache in vollem Einklange.<lb/>
Das ganze Buch von mehr als fünfhundert Seiten haben wir mit großer Geduld<lb/>
gelesen, der Kopf wirbelt uus von all dein Teufelsspuk, der darin sein Spiel treibt,<lb/>
aber ein zufälliges Gleichnis, eine jedem fühlenden Gemüte sich unwillkürlich auf¬<lb/>
drängende Metapher erinnern nur uns nicht in dem ganzen dicken Bande gefunden<lb/>
zu haben. Das ist nicht die Sprache eiues Dichters, uicht einmal eines Talents,<lb/>
fondern nur die eines geschickten Schriftstellers, der zu allen seinen Mängeln auch<lb/>
noch den verhängnisvollen Mangel an Geschmack aufweist. Deal nur daraus ist<lb/>
die unendliche Langeweile zu erklären, die dieses Buch erzeugt. Es ist gar uicht<lb/>
zu sagen, wie eintönig es in seiner scheinbar unerschöpflichen Buntheit ist! ein<lb/>
Pedant hat es geschrieben, der sich aufs Phantasiren verlegt. Mir jeden, der sich<lb/>
nur im geringsten auf die Kunst versteht, ist eigentlich dieses Gedicht durch das<lb/>
Vorwort gerichtet, das ihm der Dichter in letzter Stunde, wie es scheint, von<lb/>
einigem Zweifel an sich selbst erfaßt, vorausgeschickt hat, und das keinen andern Zweck<lb/>
hat, als die Idee der Dichtung, das Geheimnis des Titels zu erläutern. Wie<lb/>
schlimm, daß dies nötig war! Aus dem Buche selbst wird man über das, waS<lb/>
Haushofer gewollt hat, uicht klug, und soweit man ihn versteht, mutet er trivial<lb/>
an. Das Ganze ist eine lose an einander gereihte Folge von Phantasien, ohne<lb/>
Humor, ohne die Anmut des Märchens, gruselig zuweilen, eintönig trübselig.<lb/>
Diese Kritik schreiben wir nieder, ohne die Notwendigkeit zu fühlen, sie aus¬<lb/>
führlich zu begründen; jeder verständige Leser des Buches wird sie bestätigen und<lb/>
das Gedicht zu jenen wunderlichen Erzengnissen gequälter Arbeit stellen, an denen<lb/>
unsre Litteratur leider keinen Maugel hat.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig<lb/>
Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig &#x2014; Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Litteratur aber mich sonst sehr belesen, ein gewandter Schriftsteller, ein erfinderischer Kopf, scheint er viele Eigenschaften zu besitzen, die den Dichter ausmachen, und er ist auch in der That mit mehr oder weniger umfänglichen poetischen Werken hervor¬ getreten. Dennoch wagen wir ohne Bedenken den Ausspruch, daß sich kaum jemals ein minder poetischer Mann in den Ruf eines Dichters gesetzt hat, als Max Haus- hofer. Aber er hat doch eine ungeheure, unerschöpfliche Phantasie, werden uns seine Parteigänger — er hat wirklich solche! — entgegnen. Dann werden wir ihnen sagen! Ja wohl, Haushofer ist der größte Phantast, den nur kennen, er ist der rasend gewordene Mathematiker, der in seinen Mußestunden froh ist, der strengen Göttin der Ordnung und Harmonie ein Schnippchen schlagen und der Phantasie die Zügel schießen lassen zu können. Aber ein Dichter ist er darum nicht im geringsten, denn ihm fehlt die vornehmste Eigenschaft des Dichters, des Künstlers überhaupt i Natur und Einfalt. Weder besitzt er sie für seine Person, noch vermag er sie darzustellen, er kennt sie offenbar gar nicht. Mit der Phan¬ tasterei steht seine nüchterne, Prosaische, abstrakte Sprache in vollem Einklange. Das ganze Buch von mehr als fünfhundert Seiten haben wir mit großer Geduld gelesen, der Kopf wirbelt uus von all dein Teufelsspuk, der darin sein Spiel treibt, aber ein zufälliges Gleichnis, eine jedem fühlenden Gemüte sich unwillkürlich auf¬ drängende Metapher erinnern nur uns nicht in dem ganzen dicken Bande gefunden zu haben. Das ist nicht die Sprache eiues Dichters, uicht einmal eines Talents, fondern nur die eines geschickten Schriftstellers, der zu allen seinen Mängeln auch noch den verhängnisvollen Mangel an Geschmack aufweist. Deal nur daraus ist die unendliche Langeweile zu erklären, die dieses Buch erzeugt. Es ist gar uicht zu sagen, wie eintönig es in seiner scheinbar unerschöpflichen Buntheit ist! ein Pedant hat es geschrieben, der sich aufs Phantasiren verlegt. Mir jeden, der sich nur im geringsten auf die Kunst versteht, ist eigentlich dieses Gedicht durch das Vorwort gerichtet, das ihm der Dichter in letzter Stunde, wie es scheint, von einigem Zweifel an sich selbst erfaßt, vorausgeschickt hat, und das keinen andern Zweck hat, als die Idee der Dichtung, das Geheimnis des Titels zu erläutern. Wie schlimm, daß dies nötig war! Aus dem Buche selbst wird man über das, waS Haushofer gewollt hat, uicht klug, und soweit man ihn versteht, mutet er trivial an. Das Ganze ist eine lose an einander gereihte Folge von Phantasien, ohne Humor, ohne die Anmut des Märchens, gruselig zuweilen, eintönig trübselig. Diese Kritik schreiben wir nieder, ohne die Notwendigkeit zu fühlen, sie aus¬ führlich zu begründen; jeder verständige Leser des Buches wird sie bestätigen und das Gedicht zu jenen wunderlichen Erzengnissen gequälter Arbeit stellen, an denen unsre Litteratur leider keinen Maugel hat. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grnnow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/452>, abgerufen am 04.07.2024.