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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Anzengruber

schlössen vor, und gleichzeitig erschien auch aus der Feder desselben Mannes,
der sie besorgt hatte, eine Biographie des Dichters: Ludwig Auzengruber.
Der Mann -- Sein Werk -- Seine Weltanschauung. Von Anton Bettelheim
(dritter Band der Sammlung: "Führende Geister." Dresden, L. Ehlermcmn,
1891). Nun erst sind wir in der Lage, die Gesamtarbeit Anzengrubers zu
überschaue,,, und für ihn selbst beginnt eigentlich erst mit dieser Aufgabe die
Zeit einer neuen Wirksamkeit, deren Art und Erfolg wir jetzt noch nicht über¬
blicken tonnen.

Vettelheims Lebensbeschreibung ist bei manchen Schwächen, zumal der
Komposition, doch eine wissenschaftliche Leistung von bleibendem Werte. Sie
ist zunächst schon deswegen besonders schätzbar, weil neben dem reichen
Quelleninaterial, das der Nachlaß des Dichters selbst, ferner feine Freunde
Volin, Rosegger, Friedrich Schlvgl, L. Rosner u. s. w. durch Überlassung
aller ihrer Briefe und durch zahlreiche Mitteilungen dem Biographen geboten
haben, dessen eigne aus langjährigen, Verkehre geschöpfte anschauliche Kenntnis
von Anzengrnbers persönlichem Wesen die Grundlage der Darstellung bilden
konnte. Solcher Biographie,,, in denen sich die wissenschaftliche Erkenntnis
mit der Wärme der persönlichen Erinnerung paart, haben wir sehr wenige, sie
gehöre,, zu deu litterarische,, Seltenheiten. Dadurch gewinnt Bettelheims Buch
die Autorität eines klassischen Zeuge,,. Außerdem hat er die Gestalt des
Dichters mitten im Zusammenhange mit ihrer Zeit, auf dem großen Hinter¬
gründe des heimisch wienerischen und gesamten deutschen Geisteslebens ge¬
schildert, denn Nnzeugruber selbst war sich der Überlieferung in, Wiener Volksstück
und in der Erzählung wohl bewußt. So autodidaktisch auch seine ganze Bildung
war, so wenig war es seine Kunst, in der er erst nach inniger Vertrautheit
um't dem Theater seiner Zeit Meister geworden war. Anzengruber hatte aus¬
drücklich den Willen, das Wiener Volksstück, das der hochbegabte Friedrich
Kaiser schon veredelt hatte, in dessen Geiste fortzubilden; er las auch I. P. Hebel,
Jeremicis Gotthelf und Verthold Auerbach mit verehrenden Fleiß, um seine
eignen Dorf- und Kalendergeschichten im Geiste dieser großen Vorgänger und
zum Teil auch (Hebel) Vorbilder zu gestalten. Dies alles und noch mehr
lehrt uns der Biograph, und man muß es Bettelheim nachsagen, daß er seinen
Helden von allen möglichen Gesichtspunkten beleuchtet hat. Ist auch der Stoff
nicht erschöpft, verträgt er auch eine Durcharbeitung und Ergänzung in Einzel¬
heiten, so ist doch der Grundriß klar und sicher entworfen, alle folgende Kritik
wird ans diesem Buche Bettelheims fortbauen müsst,,. Und endlich muß zu
seinein Lobe gesagt werden, daß der Biograph bei aller Liebe zu seinem Helden
nicht blind für dessen Schwächen ist, nicht kritiklos alles, was Anzengruber in
verschiednen Zeiten und Stimmungen geschrieben hat. gleich gut findet, fondern
mit wissenschaftlicher Besonnenheit die einzelnen Werke unterscheidet und nach
ihrem Range ordnet.


Ludwig Anzengruber

schlössen vor, und gleichzeitig erschien auch aus der Feder desselben Mannes,
der sie besorgt hatte, eine Biographie des Dichters: Ludwig Auzengruber.
Der Mann — Sein Werk — Seine Weltanschauung. Von Anton Bettelheim
(dritter Band der Sammlung: „Führende Geister." Dresden, L. Ehlermcmn,
1891). Nun erst sind wir in der Lage, die Gesamtarbeit Anzengrubers zu
überschaue,,, und für ihn selbst beginnt eigentlich erst mit dieser Aufgabe die
Zeit einer neuen Wirksamkeit, deren Art und Erfolg wir jetzt noch nicht über¬
blicken tonnen.

Vettelheims Lebensbeschreibung ist bei manchen Schwächen, zumal der
Komposition, doch eine wissenschaftliche Leistung von bleibendem Werte. Sie
ist zunächst schon deswegen besonders schätzbar, weil neben dem reichen
Quelleninaterial, das der Nachlaß des Dichters selbst, ferner feine Freunde
Volin, Rosegger, Friedrich Schlvgl, L. Rosner u. s. w. durch Überlassung
aller ihrer Briefe und durch zahlreiche Mitteilungen dem Biographen geboten
haben, dessen eigne aus langjährigen, Verkehre geschöpfte anschauliche Kenntnis
von Anzengrnbers persönlichem Wesen die Grundlage der Darstellung bilden
konnte. Solcher Biographie,,, in denen sich die wissenschaftliche Erkenntnis
mit der Wärme der persönlichen Erinnerung paart, haben wir sehr wenige, sie
gehöre,, zu deu litterarische,, Seltenheiten. Dadurch gewinnt Bettelheims Buch
die Autorität eines klassischen Zeuge,,. Außerdem hat er die Gestalt des
Dichters mitten im Zusammenhange mit ihrer Zeit, auf dem großen Hinter¬
gründe des heimisch wienerischen und gesamten deutschen Geisteslebens ge¬
schildert, denn Nnzeugruber selbst war sich der Überlieferung in, Wiener Volksstück
und in der Erzählung wohl bewußt. So autodidaktisch auch seine ganze Bildung
war, so wenig war es seine Kunst, in der er erst nach inniger Vertrautheit
um't dem Theater seiner Zeit Meister geworden war. Anzengruber hatte aus¬
drücklich den Willen, das Wiener Volksstück, das der hochbegabte Friedrich
Kaiser schon veredelt hatte, in dessen Geiste fortzubilden; er las auch I. P. Hebel,
Jeremicis Gotthelf und Verthold Auerbach mit verehrenden Fleiß, um seine
eignen Dorf- und Kalendergeschichten im Geiste dieser großen Vorgänger und
zum Teil auch (Hebel) Vorbilder zu gestalten. Dies alles und noch mehr
lehrt uns der Biograph, und man muß es Bettelheim nachsagen, daß er seinen
Helden von allen möglichen Gesichtspunkten beleuchtet hat. Ist auch der Stoff
nicht erschöpft, verträgt er auch eine Durcharbeitung und Ergänzung in Einzel¬
heiten, so ist doch der Grundriß klar und sicher entworfen, alle folgende Kritik
wird ans diesem Buche Bettelheims fortbauen müsst,,. Und endlich muß zu
seinein Lobe gesagt werden, daß der Biograph bei aller Liebe zu seinem Helden
nicht blind für dessen Schwächen ist, nicht kritiklos alles, was Anzengruber in
verschiednen Zeiten und Stimmungen geschrieben hat. gleich gut findet, fondern
mit wissenschaftlicher Besonnenheit die einzelnen Werke unterscheidet und nach
ihrem Range ordnet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/45>, abgerufen am 24.07.2024.