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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Sittsamkeit heucheln, und denen Wasser statt Blut in den Adern rinnt. Er
will Weiber genießen, die den Teufel im Leibe haben. Alle wohlmeinenden
Reden seines braven Schülers und Dieners, der sich vor den nahenden Hexen
komisch ängstigt, verfangen nichts. Auch das schöne Vürgermädchen Marie,
das ihm wohl gefallen hat, und das nun atemlos herbeieile, um von dem be¬
rühmten Arzt und Meister eine heilsame Arznei für das kranke Mütterlein zu
holen, bringt Albertus nicht aus seiner sinnlichen Erregung für die Hexen.
Endlich, wie er allein ist, schlägt es Mitternacht, und unter helltönenden
Lachen und Schreien kommt ein junges Hexlein durch den Kamin auf dem
Besenstiel herabgeflogen. Es ist ein artiges junges Kind: ein Backfisch von
einer Hexe, ein unschuldiges Mädchen, dessen Phantasie erregt worden ist, und
das sich darum ans Neugierde dem Teufel verschrieben hat. Albertus ist
zunächst von der Bescherung eines Backfisches nicht recht erbaut; aber da sich
die schöne junge Hexe im langen weißen Nachtgewande munter genug benimmt
und fleißig vou dem Weine trinkt, der auf der reich gedeckten Tafel des Hinter-
grundes steht, unterhält sich Albertus sehr gilt. Da hört mau neues Gekicher
und neues Frauengeschrei, und eine zweite Hexe, die sich im Netze des Meisters
gefangen hat, kommt durch den Rauchfang herab. Eine andre Spielart: eine
richtige Teufelin, nicht blond, sondern schwarz, mit feurigen Augen und
leidenschaftlichen Bewegungen; sie ist auch nicht weiß gekleidet, sondern rot,
etwa wie die Besucherinnen der öffentlichen Maskenbälle. Nun hüpft dem
glücklichen Zauberer das Herz im Leibe, nnn schwelgt er in den Armen zweier
Hexen, die sich ihn streitig machen. Schließlich werden dem üppigen Meister
die zwei Hexen noch zu wenig, und er macht sich mit ihnen auf den Weg
zum Blocksberg. Während er dort genießt, erhalten nur einen Einblick in das
Schlafkämmerlein des schönen Bürgermädchens Marie. Sie liegt im Bett,
natürlich in schlohweißer Wäsche und bis zu den Ohren sittsam zugedeckt. Der
Trank des Meisters hat genützt, das Mütterlein befindet sich sehr wohl, und
Marie denkt nnn, dieser Sorge ledig, an den schönen Zauberer, der einmal
ihre Arme gelobt hat. In diesen Armen möchte sie ihn festhalten, und der
Narr zieht Hexen vor! Das Bild verschwindet wieder, und Albertus kehrt
mit deu zwei Hexen in seine Studirstube zurück. Der Morgen graut, die
Schönen wollen nach Hause, Albertus entläßt sie nicht, er will die Hexen zu
neuem Genuß bei sich behalten. Die Flasche, die die Flüssigkeit enthält, die
Menschen und Dingen Flugkraft verleiht, zertrümmert er an den Steinen des
Herdes. Mehr und mehr drängt die Zeit, schon hört man das Länder der
Morgenglocken, Gesang frommer Beter, aber Albertus läßt nicht von den
Hexen. Da werfen diese ihre grauen Schleier um sich und verwandeln sich
damit zu dem, was sie in Wahrheit sind: sie erscheinen als alte, häßliche
Vetteln und fahren mit ihren Besenstielen auf den entsetzten Meister los, um
ihn vou zwei Seiten zu prügeln. Die Schläge sciense unschuldigerweise der


Sittsamkeit heucheln, und denen Wasser statt Blut in den Adern rinnt. Er
will Weiber genießen, die den Teufel im Leibe haben. Alle wohlmeinenden
Reden seines braven Schülers und Dieners, der sich vor den nahenden Hexen
komisch ängstigt, verfangen nichts. Auch das schöne Vürgermädchen Marie,
das ihm wohl gefallen hat, und das nun atemlos herbeieile, um von dem be¬
rühmten Arzt und Meister eine heilsame Arznei für das kranke Mütterlein zu
holen, bringt Albertus nicht aus seiner sinnlichen Erregung für die Hexen.
Endlich, wie er allein ist, schlägt es Mitternacht, und unter helltönenden
Lachen und Schreien kommt ein junges Hexlein durch den Kamin auf dem
Besenstiel herabgeflogen. Es ist ein artiges junges Kind: ein Backfisch von
einer Hexe, ein unschuldiges Mädchen, dessen Phantasie erregt worden ist, und
das sich darum ans Neugierde dem Teufel verschrieben hat. Albertus ist
zunächst von der Bescherung eines Backfisches nicht recht erbaut; aber da sich
die schöne junge Hexe im langen weißen Nachtgewande munter genug benimmt
und fleißig vou dem Weine trinkt, der auf der reich gedeckten Tafel des Hinter-
grundes steht, unterhält sich Albertus sehr gilt. Da hört mau neues Gekicher
und neues Frauengeschrei, und eine zweite Hexe, die sich im Netze des Meisters
gefangen hat, kommt durch den Rauchfang herab. Eine andre Spielart: eine
richtige Teufelin, nicht blond, sondern schwarz, mit feurigen Augen und
leidenschaftlichen Bewegungen; sie ist auch nicht weiß gekleidet, sondern rot,
etwa wie die Besucherinnen der öffentlichen Maskenbälle. Nun hüpft dem
glücklichen Zauberer das Herz im Leibe, nnn schwelgt er in den Armen zweier
Hexen, die sich ihn streitig machen. Schließlich werden dem üppigen Meister
die zwei Hexen noch zu wenig, und er macht sich mit ihnen auf den Weg
zum Blocksberg. Während er dort genießt, erhalten nur einen Einblick in das
Schlafkämmerlein des schönen Bürgermädchens Marie. Sie liegt im Bett,
natürlich in schlohweißer Wäsche und bis zu den Ohren sittsam zugedeckt. Der
Trank des Meisters hat genützt, das Mütterlein befindet sich sehr wohl, und
Marie denkt nnn, dieser Sorge ledig, an den schönen Zauberer, der einmal
ihre Arme gelobt hat. In diesen Armen möchte sie ihn festhalten, und der
Narr zieht Hexen vor! Das Bild verschwindet wieder, und Albertus kehrt
mit deu zwei Hexen in seine Studirstube zurück. Der Morgen graut, die
Schönen wollen nach Hause, Albertus entläßt sie nicht, er will die Hexen zu
neuem Genuß bei sich behalten. Die Flasche, die die Flüssigkeit enthält, die
Menschen und Dingen Flugkraft verleiht, zertrümmert er an den Steinen des
Herdes. Mehr und mehr drängt die Zeit, schon hört man das Länder der
Morgenglocken, Gesang frommer Beter, aber Albertus läßt nicht von den
Hexen. Da werfen diese ihre grauen Schleier um sich und verwandeln sich
damit zu dem, was sie in Wahrheit sind: sie erscheinen als alte, häßliche
Vetteln und fahren mit ihren Besenstielen auf den entsetzten Meister los, um
ihn vou zwei Seiten zu prügeln. Die Schläge sciense unschuldigerweise der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/388>, abgerufen am 24.07.2024.