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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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äußerlich sehen läßt, trifft Hans Hopfen mit seinem gebildeten Sinn vor¬
trefflich. Dabei liebt er es auch, ein schneidiges Wort zu sage": er haßt
z. B. die katholische Wirtschaft, den Aberglauben des Landvolkes, die Ver-
dnmmuugspolitik seiner Geistlichen, seine Erzählungen spitzen sich da häufig
zur Satire zu. Sein künstlerisches Verständnis für alles Äußerliche bewährt
sich auch dann, wenn er sich auf einen entfernten geschichtlichen Boden stellt,
wie z. B. in dein Schauspiel "In der Mark." Wie hübsch ist im ersten Akt
das Kolorit der Zeit des siebenjährigen Krieges getroffen: mit wie satten
Farben ist überhaupt das ganze Stimmungsbild festgehalten! Auf alle diese
Künste versteht sich Hans Hopfen, wie nicht leicht ein andrer. Seine Schwäche
liegt nur darin, daß er nicht leicht über dieses Äußerliche hinauskommt oder
vielmehr, daß er nur ein und die andre Szene oder Situation dichterisch schaut,
alles übrige nüchtern hinzugrübeln muß. Meist enden seine Geschichten
konventionell, oder sie leiden stark an UnWahrscheinlichkeit, oder sie werden
übers Knie gebrochen, weil ein andrer Abschluß uicht gefunden wird. Eine
Figur und ihr Ton liegen ihm am besten: das ist die Gestalt des Junggesellen,
mag er nun etwas militärisch schneidig oder mehr bürgerlich empfindsam nud
beschaulich sei". Ju dem Major, der so lange Geschichten zu erzählen versteht,
hat er so recht diesen Ton getroffen. Aber ein Poet, der sich naiv zur Höhe
philosophischer Betrachtung erhebt, ist dieser Major nicht. Er sucht nicht im
Einzelfall ein Beispiel für viele zu gebe", er hat uicht den Tiefblick in die
Natur des Menschen; darum bleibt anch die wahre dichterische Wirkung ans.
Der Major erzählt nur das Absonderliche, das eben deswegen sich seinem
Gedächtnis eingeprägt hat, natürlich mit der größten Sorgfalt in der
Charakteristik gerade des Soldateulebens in Krieg und Frieden. Nicht immer
erzählt er mit Geschmack, manchmal wie z. V. im "schneidigen Liebchen," sogar
etwas zu breit, langweilig, es dauert immer etwas lange, bis er zur eigent¬
lichen Geschichte kommt, seine Einleitungen könnten meist knapper sein; aber
schließlich hat man den männlichen Sprecher doch lieb, er hat kräftige Worte
für schlechte Menschen und Zustände, nud es fehlt ihm auch nicht an Humor.
Wer wird da weiter nach einer Weltanschauung forschen?

Das ist Hopfen als Erzähler, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben.
Nun sind beinahe gleichzeitig drei Bücher von ihm ausgegeben worden. Der
Stellvertreter, eine Erzählung, und die Studentengeschichte: Die fünfzig
Semmeln des Studiosus Taillefer sind neue Dichtungen; die bairische
Dorfgeschichte: Der alte Praktikant erscheint in dritter Auflage (sämtlich
im Verlage der Gebrüder Paetel, Berlin, 1891).

Den "Stellvertreter" kann man nicht zu den besten Werken Hopfens
rechnen; er ist vor allem eine für die kleine Handlung zu breit erzählte Ge¬
schichte, obwohl der Dichter mit wahrer Virtuosität die Lücken in der Ent-
wicklung seiner Hauptfiguren mit allerlei Schilderungen auszufüllen bestrebt


äußerlich sehen läßt, trifft Hans Hopfen mit seinem gebildeten Sinn vor¬
trefflich. Dabei liebt er es auch, ein schneidiges Wort zu sage»: er haßt
z. B. die katholische Wirtschaft, den Aberglauben des Landvolkes, die Ver-
dnmmuugspolitik seiner Geistlichen, seine Erzählungen spitzen sich da häufig
zur Satire zu. Sein künstlerisches Verständnis für alles Äußerliche bewährt
sich auch dann, wenn er sich auf einen entfernten geschichtlichen Boden stellt,
wie z. B. in dein Schauspiel „In der Mark." Wie hübsch ist im ersten Akt
das Kolorit der Zeit des siebenjährigen Krieges getroffen: mit wie satten
Farben ist überhaupt das ganze Stimmungsbild festgehalten! Auf alle diese
Künste versteht sich Hans Hopfen, wie nicht leicht ein andrer. Seine Schwäche
liegt nur darin, daß er nicht leicht über dieses Äußerliche hinauskommt oder
vielmehr, daß er nur ein und die andre Szene oder Situation dichterisch schaut,
alles übrige nüchtern hinzugrübeln muß. Meist enden seine Geschichten
konventionell, oder sie leiden stark an UnWahrscheinlichkeit, oder sie werden
übers Knie gebrochen, weil ein andrer Abschluß uicht gefunden wird. Eine
Figur und ihr Ton liegen ihm am besten: das ist die Gestalt des Junggesellen,
mag er nun etwas militärisch schneidig oder mehr bürgerlich empfindsam nud
beschaulich sei». Ju dem Major, der so lange Geschichten zu erzählen versteht,
hat er so recht diesen Ton getroffen. Aber ein Poet, der sich naiv zur Höhe
philosophischer Betrachtung erhebt, ist dieser Major nicht. Er sucht nicht im
Einzelfall ein Beispiel für viele zu gebe«, er hat uicht den Tiefblick in die
Natur des Menschen; darum bleibt anch die wahre dichterische Wirkung ans.
Der Major erzählt nur das Absonderliche, das eben deswegen sich seinem
Gedächtnis eingeprägt hat, natürlich mit der größten Sorgfalt in der
Charakteristik gerade des Soldateulebens in Krieg und Frieden. Nicht immer
erzählt er mit Geschmack, manchmal wie z. V. im „schneidigen Liebchen," sogar
etwas zu breit, langweilig, es dauert immer etwas lange, bis er zur eigent¬
lichen Geschichte kommt, seine Einleitungen könnten meist knapper sein; aber
schließlich hat man den männlichen Sprecher doch lieb, er hat kräftige Worte
für schlechte Menschen und Zustände, nud es fehlt ihm auch nicht an Humor.
Wer wird da weiter nach einer Weltanschauung forschen?

Das ist Hopfen als Erzähler, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben.
Nun sind beinahe gleichzeitig drei Bücher von ihm ausgegeben worden. Der
Stellvertreter, eine Erzählung, und die Studentengeschichte: Die fünfzig
Semmeln des Studiosus Taillefer sind neue Dichtungen; die bairische
Dorfgeschichte: Der alte Praktikant erscheint in dritter Auflage (sämtlich
im Verlage der Gebrüder Paetel, Berlin, 1891).

Den „Stellvertreter" kann man nicht zu den besten Werken Hopfens
rechnen; er ist vor allem eine für die kleine Handlung zu breit erzählte Ge¬
schichte, obwohl der Dichter mit wahrer Virtuosität die Lücken in der Ent-
wicklung seiner Hauptfiguren mit allerlei Schilderungen auszufüllen bestrebt


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[0382] äußerlich sehen läßt, trifft Hans Hopfen mit seinem gebildeten Sinn vor¬ trefflich. Dabei liebt er es auch, ein schneidiges Wort zu sage»: er haßt z. B. die katholische Wirtschaft, den Aberglauben des Landvolkes, die Ver- dnmmuugspolitik seiner Geistlichen, seine Erzählungen spitzen sich da häufig zur Satire zu. Sein künstlerisches Verständnis für alles Äußerliche bewährt sich auch dann, wenn er sich auf einen entfernten geschichtlichen Boden stellt, wie z. B. in dein Schauspiel „In der Mark." Wie hübsch ist im ersten Akt das Kolorit der Zeit des siebenjährigen Krieges getroffen: mit wie satten Farben ist überhaupt das ganze Stimmungsbild festgehalten! Auf alle diese Künste versteht sich Hans Hopfen, wie nicht leicht ein andrer. Seine Schwäche liegt nur darin, daß er nicht leicht über dieses Äußerliche hinauskommt oder vielmehr, daß er nur ein und die andre Szene oder Situation dichterisch schaut, alles übrige nüchtern hinzugrübeln muß. Meist enden seine Geschichten konventionell, oder sie leiden stark an UnWahrscheinlichkeit, oder sie werden übers Knie gebrochen, weil ein andrer Abschluß uicht gefunden wird. Eine Figur und ihr Ton liegen ihm am besten: das ist die Gestalt des Junggesellen, mag er nun etwas militärisch schneidig oder mehr bürgerlich empfindsam nud beschaulich sei». Ju dem Major, der so lange Geschichten zu erzählen versteht, hat er so recht diesen Ton getroffen. Aber ein Poet, der sich naiv zur Höhe philosophischer Betrachtung erhebt, ist dieser Major nicht. Er sucht nicht im Einzelfall ein Beispiel für viele zu gebe«, er hat uicht den Tiefblick in die Natur des Menschen; darum bleibt anch die wahre dichterische Wirkung ans. Der Major erzählt nur das Absonderliche, das eben deswegen sich seinem Gedächtnis eingeprägt hat, natürlich mit der größten Sorgfalt in der Charakteristik gerade des Soldateulebens in Krieg und Frieden. Nicht immer erzählt er mit Geschmack, manchmal wie z. V. im „schneidigen Liebchen," sogar etwas zu breit, langweilig, es dauert immer etwas lange, bis er zur eigent¬ lichen Geschichte kommt, seine Einleitungen könnten meist knapper sein; aber schließlich hat man den männlichen Sprecher doch lieb, er hat kräftige Worte für schlechte Menschen und Zustände, nud es fehlt ihm auch nicht an Humor. Wer wird da weiter nach einer Weltanschauung forschen? Das ist Hopfen als Erzähler, wie wir ihn bisher kennen gelernt haben. Nun sind beinahe gleichzeitig drei Bücher von ihm ausgegeben worden. Der Stellvertreter, eine Erzählung, und die Studentengeschichte: Die fünfzig Semmeln des Studiosus Taillefer sind neue Dichtungen; die bairische Dorfgeschichte: Der alte Praktikant erscheint in dritter Auflage (sämtlich im Verlage der Gebrüder Paetel, Berlin, 1891). Den „Stellvertreter" kann man nicht zu den besten Werken Hopfens rechnen; er ist vor allem eine für die kleine Handlung zu breit erzählte Ge¬ schichte, obwohl der Dichter mit wahrer Virtuosität die Lücken in der Ent- wicklung seiner Hauptfiguren mit allerlei Schilderungen auszufüllen bestrebt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/382>, abgerufen am 27.08.2024.