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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Jahren beabsichtigte er eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller
dichterischen Aussprüche über Musik von der ältesten bis auf die neueste Zeit.
Er hatte für diese Sammlung -- die er "Dichtergarten" nannte -- bereits
Auszüge aus Shakespeare und Jean Paul gemacht. Nun wollte er auch die
Bibel sowie die griechischen und lateinischen Klassiker zu diesem Zweck durch¬
forschen. Joachim meldete er unterm K. Februar 1854: "In der Zeit hab
ich immer wieder an meinem Garten gearbeitet. Er wird immer stattlicher;
auch Wegweiser habe ich hier und da hingesetzt, daß man sich nicht verirrt,
d. h. aufklärenden Text. Jetzt bin ich in die uralte Vergangenheit gekommen,
in Homer und das Griechentum. Namentlich in Plato habe ich herrliche
Stellen entdeckt."

Aber der mit so viel Liebe gehegte Plan sollte nicht mehr ausgeführt
werden. Schumanns geistiger Zustand verschlimmerte sich zusehends. Nicht
ohne Bewegung kann man seine letzten Worte ein Joachim lesen: "Nun will
ich schließen. Es dunkelt schon." Ja, es dunkelte, und bald brach die
Nacht über ihn herein. Die schon seit längerer Zeit bemerkten vereinzelten
Anzeichen von Geisteskrankheit hatten die Besorgnis der Ärzte erregt; in den
letzten Wochen steigerten sie sich in der traurigsten Weise. Schumann glaubte
fortwährend Musik von wunderbarer Schönheit zu hören, die wie ferne Blas¬
musik erklang. Er erzählte, ihm sei ein von Franz Schubert gesendeter Engel
erschienen und habe ihm die Melodie vorgesungen, über der jener gestorben
sei, mit dem Auftrag, sie aufzuzeichnen, was auch geschehen sei.

Es war am 27. Februar, als er, von einem seiner qualvollen Angst¬
zustünde erfaßt, sich der sorgsamen und liebevollen Aufsicht, unter der er ge¬
halten wurde, zu entziehen wußte, ans die Rheinbrücke ging und sich in die
eisigen Fluten stürzte. Er wurde trotz seiner heftigen Gegenwehr gerettet, um --
einem traurigen und trostlosen Dasein wiedergegeben zu werden. Am 4. Mnrz
nahm ihn die Heilanstalt des Dr. Nicharz zu Enterich bei Bonn ans.

Der Ausbruch der Krankheit war mit dem Beginn des Druckes der ge¬
sammelten Schriften zusammengefallen. Im Mai kamen sie zur Versendung. Der
Verleger machte in einem vvrgehefteten Zettel bekannt, daß die Herausgabe
bereits im vorigen Jahre mit Schumann verabredet, und daß ihre Auswahl
und Redaktion ganz von ihm vollendet gewesen sei, als der Druck begonnen
habe. Schumanns Redaktion war aber nicht "ganz vollendet," denn eine
Korrektur hat er uicht lesen können/")





*) Der vorstehende Aufsatz ist der Einleitung zu einer neuen, kritischen Gesamtansgabe
Ma Robert Schumanns Gesammelten Schriften über Musik und Musiker ent¬
nommen, die sich gegenwärtig im Druck befindet und zu Weihnachten d, I. bei Breitkopf und
Härtel in Leipzig erscheinen wird.

Jahren beabsichtigte er eine möglichst vollständige Zusammenstellung aller
dichterischen Aussprüche über Musik von der ältesten bis auf die neueste Zeit.
Er hatte für diese Sammlung — die er „Dichtergarten" nannte — bereits
Auszüge aus Shakespeare und Jean Paul gemacht. Nun wollte er auch die
Bibel sowie die griechischen und lateinischen Klassiker zu diesem Zweck durch¬
forschen. Joachim meldete er unterm K. Februar 1854: „In der Zeit hab
ich immer wieder an meinem Garten gearbeitet. Er wird immer stattlicher;
auch Wegweiser habe ich hier und da hingesetzt, daß man sich nicht verirrt,
d. h. aufklärenden Text. Jetzt bin ich in die uralte Vergangenheit gekommen,
in Homer und das Griechentum. Namentlich in Plato habe ich herrliche
Stellen entdeckt."

Aber der mit so viel Liebe gehegte Plan sollte nicht mehr ausgeführt
werden. Schumanns geistiger Zustand verschlimmerte sich zusehends. Nicht
ohne Bewegung kann man seine letzten Worte ein Joachim lesen: „Nun will
ich schließen. Es dunkelt schon." Ja, es dunkelte, und bald brach die
Nacht über ihn herein. Die schon seit längerer Zeit bemerkten vereinzelten
Anzeichen von Geisteskrankheit hatten die Besorgnis der Ärzte erregt; in den
letzten Wochen steigerten sie sich in der traurigsten Weise. Schumann glaubte
fortwährend Musik von wunderbarer Schönheit zu hören, die wie ferne Blas¬
musik erklang. Er erzählte, ihm sei ein von Franz Schubert gesendeter Engel
erschienen und habe ihm die Melodie vorgesungen, über der jener gestorben
sei, mit dem Auftrag, sie aufzuzeichnen, was auch geschehen sei.

Es war am 27. Februar, als er, von einem seiner qualvollen Angst¬
zustünde erfaßt, sich der sorgsamen und liebevollen Aufsicht, unter der er ge¬
halten wurde, zu entziehen wußte, ans die Rheinbrücke ging und sich in die
eisigen Fluten stürzte. Er wurde trotz seiner heftigen Gegenwehr gerettet, um —
einem traurigen und trostlosen Dasein wiedergegeben zu werden. Am 4. Mnrz
nahm ihn die Heilanstalt des Dr. Nicharz zu Enterich bei Bonn ans.

Der Ausbruch der Krankheit war mit dem Beginn des Druckes der ge¬
sammelten Schriften zusammengefallen. Im Mai kamen sie zur Versendung. Der
Verleger machte in einem vvrgehefteten Zettel bekannt, daß die Herausgabe
bereits im vorigen Jahre mit Schumann verabredet, und daß ihre Auswahl
und Redaktion ganz von ihm vollendet gewesen sei, als der Druck begonnen
habe. Schumanns Redaktion war aber nicht „ganz vollendet," denn eine
Korrektur hat er uicht lesen können/")





*) Der vorstehende Aufsatz ist der Einleitung zu einer neuen, kritischen Gesamtansgabe
Ma Robert Schumanns Gesammelten Schriften über Musik und Musiker ent¬
nommen, die sich gegenwärtig im Druck befindet und zu Weihnachten d, I. bei Breitkopf und
Härtel in Leipzig erscheinen wird.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/380>, abgerufen am 24.07.2024.