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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

zurück. Es kam ihm zu gute, daß er lange bevor seine Mitschüler in der Lage
waren, die griechischen und lateinischen Dichter in der Ursprache zu lesen, die
Lieder des Anakreon, die Idyllen des Bion, des Theokrit und des Moschus
in den Versmaßen der Originale ins Deutsche übertragen hatte, und als er
die schwierigeren Formen des Horaz und der griechischen Tragiker beherrschen
lernte, verfügte er über eine Gewandtheit. Sicherheit und Freiheit des Aus¬
druckes, die weniger seine Poesie als seine von Jean Paul erweckte und be¬
flügelte Prosa über das Gewöhnliche hinaushoben. Man lese nur die ersten
in den "Jugendbriefen" veröffentlichten Schreiben des siebzehnjährigen Primaners
um seinen ihm schon 1827 nach Leipzig vorangegangenen Freund Flechsig!

Tief erschüttert wurde Roberts Herz durch zwei Unglücksfälle, die sich
kurz nach einander im elterlichen Hause ereigneten: seine um drei Jahre ältere
Schwester Emilie erkrankte im Jahre 1826 am Typhus und verfiel einer un-
heilbaren Gemütskrankheit; bald darauf, am 10. August, starb sein Vater,
während die Mutter zur Kur in Karlsbad war. Schumann gedenkt dieser
Ereignisse in seinen Tagebuchaufzeichnungen: "Das ganze Jahr flog mir
wahrlich wie ein Traum hin. Hier hatte ich wahr geträumt, dort hatte ich
die ernste Wahrheit gefunden. Zwei geliebte Wesen wurden mir entrissen, das
eine mir teurer als alles, auf ewig, das andre in gewisser Hinsicht auch auf
ewig. Ich zürnte damals dem Schicksal, jetzt kaun ich ruhiger über alles
nachdenken, und siehe, ich erkenn' es klar, das Schicksal hat es doch gut ge¬
macht. Ich war eine aufgeschäumte Woge, ich rief im Neigen: Warum muß
gerade ich so vou den Stürmen herumgeschlendert werden? und wie der Sturm
nachgelassen, dn ward die Welle reiner und klarer, und sie sah, daß der Staub,
der auf dem Boden lag, fortgerissen war, sie selbst aber auf lichtem Sande
schaukelte. Ich habe viel erfahren, ich habe das Leben erkannt. Ich habe
Ansichten und Ideen über das Leben bekommen, mit einem Worte, ich bin
mir Heller geworden."

Nicht lauge nachher trat der schüchterne Gymnasiast in eine neue, be¬
deutungsvolle Zeit ein, die auch auf seine Trauer mildernd einwirkte -- in
die Zeit der ersten Liebesschwärmcreien. Zwei anmutige Mädchengestalten,
Nanni und Liddy, nahmen kurz nach einander -- oder wohl richtiger gleich¬
zeitig -- das vou Sehnsucht erfüllte Herz des siebzehnjährigen Jünglings
gefangen. Er selbst hat die Geschichte seines Liebens in einer ganz im Geist
und Stil Jean Pauls gehaltenen Erzählung (Juninsabendc und Julytage)
niedergelegt. Die lose an einen dünnen Faden gereihten Kapitel dieser selt¬
samen Geschichte sind unerschöpfliche Veränderungen desselben Ereignisses, so¬
fern man eine Anzahl in überschwänglichen Ausdrücken abgefaßte Gefühlsergüsse
mit wirklichen Vorgängen zusammenbringen darf. Das Ganze könnte eine
Apotheose des Schweigens genannt werden. Zwei Paare von Freunden und
Freundinnen wandeln dnrch das idyllische Gefilde einer weltfernen Insel. Die


Grenzboten II 1891 42
Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit

zurück. Es kam ihm zu gute, daß er lange bevor seine Mitschüler in der Lage
waren, die griechischen und lateinischen Dichter in der Ursprache zu lesen, die
Lieder des Anakreon, die Idyllen des Bion, des Theokrit und des Moschus
in den Versmaßen der Originale ins Deutsche übertragen hatte, und als er
die schwierigeren Formen des Horaz und der griechischen Tragiker beherrschen
lernte, verfügte er über eine Gewandtheit. Sicherheit und Freiheit des Aus¬
druckes, die weniger seine Poesie als seine von Jean Paul erweckte und be¬
flügelte Prosa über das Gewöhnliche hinaushoben. Man lese nur die ersten
in den „Jugendbriefen" veröffentlichten Schreiben des siebzehnjährigen Primaners
um seinen ihm schon 1827 nach Leipzig vorangegangenen Freund Flechsig!

Tief erschüttert wurde Roberts Herz durch zwei Unglücksfälle, die sich
kurz nach einander im elterlichen Hause ereigneten: seine um drei Jahre ältere
Schwester Emilie erkrankte im Jahre 1826 am Typhus und verfiel einer un-
heilbaren Gemütskrankheit; bald darauf, am 10. August, starb sein Vater,
während die Mutter zur Kur in Karlsbad war. Schumann gedenkt dieser
Ereignisse in seinen Tagebuchaufzeichnungen: „Das ganze Jahr flog mir
wahrlich wie ein Traum hin. Hier hatte ich wahr geträumt, dort hatte ich
die ernste Wahrheit gefunden. Zwei geliebte Wesen wurden mir entrissen, das
eine mir teurer als alles, auf ewig, das andre in gewisser Hinsicht auch auf
ewig. Ich zürnte damals dem Schicksal, jetzt kaun ich ruhiger über alles
nachdenken, und siehe, ich erkenn' es klar, das Schicksal hat es doch gut ge¬
macht. Ich war eine aufgeschäumte Woge, ich rief im Neigen: Warum muß
gerade ich so vou den Stürmen herumgeschlendert werden? und wie der Sturm
nachgelassen, dn ward die Welle reiner und klarer, und sie sah, daß der Staub,
der auf dem Boden lag, fortgerissen war, sie selbst aber auf lichtem Sande
schaukelte. Ich habe viel erfahren, ich habe das Leben erkannt. Ich habe
Ansichten und Ideen über das Leben bekommen, mit einem Worte, ich bin
mir Heller geworden."

Nicht lauge nachher trat der schüchterne Gymnasiast in eine neue, be¬
deutungsvolle Zeit ein, die auch auf seine Trauer mildernd einwirkte — in
die Zeit der ersten Liebesschwärmcreien. Zwei anmutige Mädchengestalten,
Nanni und Liddy, nahmen kurz nach einander — oder wohl richtiger gleich¬
zeitig — das vou Sehnsucht erfüllte Herz des siebzehnjährigen Jünglings
gefangen. Er selbst hat die Geschichte seines Liebens in einer ganz im Geist
und Stil Jean Pauls gehaltenen Erzählung (Juninsabendc und Julytage)
niedergelegt. Die lose an einen dünnen Faden gereihten Kapitel dieser selt¬
samen Geschichte sind unerschöpfliche Veränderungen desselben Ereignisses, so¬
fern man eine Anzahl in überschwänglichen Ausdrücken abgefaßte Gefühlsergüsse
mit wirklichen Vorgängen zusammenbringen darf. Das Ganze könnte eine
Apotheose des Schweigens genannt werden. Zwei Paare von Freunden und
Freundinnen wandeln dnrch das idyllische Gefilde einer weltfernen Insel. Die


Grenzboten II 1891 42
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[0333] Robert Schumanns schriftstellerische Thätigkeit zurück. Es kam ihm zu gute, daß er lange bevor seine Mitschüler in der Lage waren, die griechischen und lateinischen Dichter in der Ursprache zu lesen, die Lieder des Anakreon, die Idyllen des Bion, des Theokrit und des Moschus in den Versmaßen der Originale ins Deutsche übertragen hatte, und als er die schwierigeren Formen des Horaz und der griechischen Tragiker beherrschen lernte, verfügte er über eine Gewandtheit. Sicherheit und Freiheit des Aus¬ druckes, die weniger seine Poesie als seine von Jean Paul erweckte und be¬ flügelte Prosa über das Gewöhnliche hinaushoben. Man lese nur die ersten in den „Jugendbriefen" veröffentlichten Schreiben des siebzehnjährigen Primaners um seinen ihm schon 1827 nach Leipzig vorangegangenen Freund Flechsig! Tief erschüttert wurde Roberts Herz durch zwei Unglücksfälle, die sich kurz nach einander im elterlichen Hause ereigneten: seine um drei Jahre ältere Schwester Emilie erkrankte im Jahre 1826 am Typhus und verfiel einer un- heilbaren Gemütskrankheit; bald darauf, am 10. August, starb sein Vater, während die Mutter zur Kur in Karlsbad war. Schumann gedenkt dieser Ereignisse in seinen Tagebuchaufzeichnungen: „Das ganze Jahr flog mir wahrlich wie ein Traum hin. Hier hatte ich wahr geträumt, dort hatte ich die ernste Wahrheit gefunden. Zwei geliebte Wesen wurden mir entrissen, das eine mir teurer als alles, auf ewig, das andre in gewisser Hinsicht auch auf ewig. Ich zürnte damals dem Schicksal, jetzt kaun ich ruhiger über alles nachdenken, und siehe, ich erkenn' es klar, das Schicksal hat es doch gut ge¬ macht. Ich war eine aufgeschäumte Woge, ich rief im Neigen: Warum muß gerade ich so vou den Stürmen herumgeschlendert werden? und wie der Sturm nachgelassen, dn ward die Welle reiner und klarer, und sie sah, daß der Staub, der auf dem Boden lag, fortgerissen war, sie selbst aber auf lichtem Sande schaukelte. Ich habe viel erfahren, ich habe das Leben erkannt. Ich habe Ansichten und Ideen über das Leben bekommen, mit einem Worte, ich bin mir Heller geworden." Nicht lauge nachher trat der schüchterne Gymnasiast in eine neue, be¬ deutungsvolle Zeit ein, die auch auf seine Trauer mildernd einwirkte — in die Zeit der ersten Liebesschwärmcreien. Zwei anmutige Mädchengestalten, Nanni und Liddy, nahmen kurz nach einander — oder wohl richtiger gleich¬ zeitig — das vou Sehnsucht erfüllte Herz des siebzehnjährigen Jünglings gefangen. Er selbst hat die Geschichte seines Liebens in einer ganz im Geist und Stil Jean Pauls gehaltenen Erzählung (Juninsabendc und Julytage) niedergelegt. Die lose an einen dünnen Faden gereihten Kapitel dieser selt¬ samen Geschichte sind unerschöpfliche Veränderungen desselben Ereignisses, so¬ fern man eine Anzahl in überschwänglichen Ausdrücken abgefaßte Gefühlsergüsse mit wirklichen Vorgängen zusammenbringen darf. Das Ganze könnte eine Apotheose des Schweigens genannt werden. Zwei Paare von Freunden und Freundinnen wandeln dnrch das idyllische Gefilde einer weltfernen Insel. Die Grenzboten II 1891 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/333>, abgerufen am 04.07.2024.