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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

erfolgten Aufrichtung des Freien deutschen Hochstiftes zu Frankfurt a. M., das
auf die Herstellung einer einheitlichen deutsche" Geistesmacht und die Belebung
des Selbstgefühls im Volke auch durch Pflege eines edeln, reinen und unver-
mischten Deutsch hinzuarbeiten versprach. Ich rede nicht von den Leistungen
dieser Vereinigungen, ich nenne sie nur als die jüngsten Symptome einer fast
seit drei Jahrhunderten andauernden Bewegung.

Diese Bewegung hat nun seit zwanzig Jahren eine entscheidende Wendung
genommen. Mit der Neuschöpfung des deutscheu Reiches sahen die Sprach-
gesellschasteu den wichtigsten Teil ihrer Aufgabe erfüllt. War die Sprache der
älteste und auf lange hinaus der einzige Hort des nationalen Hoffens gewesen,
so trat diese ihre Bedeutung jetzt hinter greifbareren und unmittelbarer von
der ganzen Masse des Volkes empfundenen Verkörperungen des Einheitsgedaukeus
zurück. Fortan war es uicht mehr nötig, die Sprache mit eifersüchtiger Liebe
wie ein beständig bedrohtes Nationalheiligtum zu bewachen oder sie mit den
wuchtigen Keulenschlägen einer unduldsamen Tentschtümelei zu schützen, wie
damals, wo an ihr fast allein die patriotischen Hoffnungen hingen, sondern
die Entwicklung unsrer nationalen Wohlfahrt war nun in eine so ruhige, fest
umschriebene Bahn geleitet, daß wir jetzt endlich die volle Möglichkeit und die
leidenschaftslose Stimmung gewinnen konnten, unsre Sprache nicht mehr bloß
als schwärmende Anbeter, nicht mehr bloß als nüchterne Forscher, sondern noch
mehr auch als Künstler zu betrachten, sie in rein ästhetischem Sinne zu
behandeln, die Reichtümer, die ihr unsre klassischen Schriftsteller mühsam ab¬
gerungen hatten, deren Ausdrucksweise von diesem Ringen noch die deutlichen
Spuren trägt, diese Reichtümer zu sichten, zu veredeln, zu mehren und solche
ästhetische Behandlung der Sprache immer weitern Kreisen unsers Volkes zur
Pflicht zu machen, damit auch bei uns endlich Sinn und Gefühl der schönen
Form, wie bei den Romanen, nicht nur in einzelnen Auserwählten, sondern
in allen, die sich öffentlich der Sprache bedienen, lebendig würde und in durch¬
geistigten Prägungen zu Tage träte. Eine ästhetische Frage ist zunächst die
Fremdwörterfrage, denn jedes Fremdwort, das dem Geiste unsrer Sprache
widerstrebt und ihren Gesetzen zum Trotz sein ausländisches Gewand zur Schau
tragen will, ist eine Stilwidrigkeit, eine Entstellung des sprachlichen Wohl¬
standes. Aber nicht minder sind ästhetische Fragen die Übereinstimmung von
Gedanke und Ausdruck, die logische Ordnung, die Gliederung des Satzbaues,
die Zweckmäßigkeit der Wortfügung, die Triftigkeit der Bilder, der Tonfall
der Rede, die Gleichartigkeit der Schreibung, die Planmäßigkeit der Inter¬
punktion. Man ist heute wieder geneigt, die Belebung und Leitung des
ästhetischen Sprachsinns, vielleicht gar eine cilsbaldige Erfüllung solcher
ästhetischen Forderungen von einer Akademie der deutschen Sprache zu er¬
warten. In glänzender Rede ist Emil Dn Vois-Reymond am 26. Mürz 1874
in einer öffentlichen Sitzung der Berliner Akademie für diesen Gedanken ein-


Grenzboten II 189t 4t
Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

erfolgten Aufrichtung des Freien deutschen Hochstiftes zu Frankfurt a. M., das
auf die Herstellung einer einheitlichen deutsche» Geistesmacht und die Belebung
des Selbstgefühls im Volke auch durch Pflege eines edeln, reinen und unver-
mischten Deutsch hinzuarbeiten versprach. Ich rede nicht von den Leistungen
dieser Vereinigungen, ich nenne sie nur als die jüngsten Symptome einer fast
seit drei Jahrhunderten andauernden Bewegung.

Diese Bewegung hat nun seit zwanzig Jahren eine entscheidende Wendung
genommen. Mit der Neuschöpfung des deutscheu Reiches sahen die Sprach-
gesellschasteu den wichtigsten Teil ihrer Aufgabe erfüllt. War die Sprache der
älteste und auf lange hinaus der einzige Hort des nationalen Hoffens gewesen,
so trat diese ihre Bedeutung jetzt hinter greifbareren und unmittelbarer von
der ganzen Masse des Volkes empfundenen Verkörperungen des Einheitsgedaukeus
zurück. Fortan war es uicht mehr nötig, die Sprache mit eifersüchtiger Liebe
wie ein beständig bedrohtes Nationalheiligtum zu bewachen oder sie mit den
wuchtigen Keulenschlägen einer unduldsamen Tentschtümelei zu schützen, wie
damals, wo an ihr fast allein die patriotischen Hoffnungen hingen, sondern
die Entwicklung unsrer nationalen Wohlfahrt war nun in eine so ruhige, fest
umschriebene Bahn geleitet, daß wir jetzt endlich die volle Möglichkeit und die
leidenschaftslose Stimmung gewinnen konnten, unsre Sprache nicht mehr bloß
als schwärmende Anbeter, nicht mehr bloß als nüchterne Forscher, sondern noch
mehr auch als Künstler zu betrachten, sie in rein ästhetischem Sinne zu
behandeln, die Reichtümer, die ihr unsre klassischen Schriftsteller mühsam ab¬
gerungen hatten, deren Ausdrucksweise von diesem Ringen noch die deutlichen
Spuren trägt, diese Reichtümer zu sichten, zu veredeln, zu mehren und solche
ästhetische Behandlung der Sprache immer weitern Kreisen unsers Volkes zur
Pflicht zu machen, damit auch bei uns endlich Sinn und Gefühl der schönen
Form, wie bei den Romanen, nicht nur in einzelnen Auserwählten, sondern
in allen, die sich öffentlich der Sprache bedienen, lebendig würde und in durch¬
geistigten Prägungen zu Tage träte. Eine ästhetische Frage ist zunächst die
Fremdwörterfrage, denn jedes Fremdwort, das dem Geiste unsrer Sprache
widerstrebt und ihren Gesetzen zum Trotz sein ausländisches Gewand zur Schau
tragen will, ist eine Stilwidrigkeit, eine Entstellung des sprachlichen Wohl¬
standes. Aber nicht minder sind ästhetische Fragen die Übereinstimmung von
Gedanke und Ausdruck, die logische Ordnung, die Gliederung des Satzbaues,
die Zweckmäßigkeit der Wortfügung, die Triftigkeit der Bilder, der Tonfall
der Rede, die Gleichartigkeit der Schreibung, die Planmäßigkeit der Inter¬
punktion. Man ist heute wieder geneigt, die Belebung und Leitung des
ästhetischen Sprachsinns, vielleicht gar eine cilsbaldige Erfüllung solcher
ästhetischen Forderungen von einer Akademie der deutschen Sprache zu er¬
warten. In glänzender Rede ist Emil Dn Vois-Reymond am 26. Mürz 1874
in einer öffentlichen Sitzung der Berliner Akademie für diesen Gedanken ein-


Grenzboten II 189t 4t
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[0325] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie erfolgten Aufrichtung des Freien deutschen Hochstiftes zu Frankfurt a. M., das auf die Herstellung einer einheitlichen deutsche» Geistesmacht und die Belebung des Selbstgefühls im Volke auch durch Pflege eines edeln, reinen und unver- mischten Deutsch hinzuarbeiten versprach. Ich rede nicht von den Leistungen dieser Vereinigungen, ich nenne sie nur als die jüngsten Symptome einer fast seit drei Jahrhunderten andauernden Bewegung. Diese Bewegung hat nun seit zwanzig Jahren eine entscheidende Wendung genommen. Mit der Neuschöpfung des deutscheu Reiches sahen die Sprach- gesellschasteu den wichtigsten Teil ihrer Aufgabe erfüllt. War die Sprache der älteste und auf lange hinaus der einzige Hort des nationalen Hoffens gewesen, so trat diese ihre Bedeutung jetzt hinter greifbareren und unmittelbarer von der ganzen Masse des Volkes empfundenen Verkörperungen des Einheitsgedaukeus zurück. Fortan war es uicht mehr nötig, die Sprache mit eifersüchtiger Liebe wie ein beständig bedrohtes Nationalheiligtum zu bewachen oder sie mit den wuchtigen Keulenschlägen einer unduldsamen Tentschtümelei zu schützen, wie damals, wo an ihr fast allein die patriotischen Hoffnungen hingen, sondern die Entwicklung unsrer nationalen Wohlfahrt war nun in eine so ruhige, fest umschriebene Bahn geleitet, daß wir jetzt endlich die volle Möglichkeit und die leidenschaftslose Stimmung gewinnen konnten, unsre Sprache nicht mehr bloß als schwärmende Anbeter, nicht mehr bloß als nüchterne Forscher, sondern noch mehr auch als Künstler zu betrachten, sie in rein ästhetischem Sinne zu behandeln, die Reichtümer, die ihr unsre klassischen Schriftsteller mühsam ab¬ gerungen hatten, deren Ausdrucksweise von diesem Ringen noch die deutlichen Spuren trägt, diese Reichtümer zu sichten, zu veredeln, zu mehren und solche ästhetische Behandlung der Sprache immer weitern Kreisen unsers Volkes zur Pflicht zu machen, damit auch bei uns endlich Sinn und Gefühl der schönen Form, wie bei den Romanen, nicht nur in einzelnen Auserwählten, sondern in allen, die sich öffentlich der Sprache bedienen, lebendig würde und in durch¬ geistigten Prägungen zu Tage träte. Eine ästhetische Frage ist zunächst die Fremdwörterfrage, denn jedes Fremdwort, das dem Geiste unsrer Sprache widerstrebt und ihren Gesetzen zum Trotz sein ausländisches Gewand zur Schau tragen will, ist eine Stilwidrigkeit, eine Entstellung des sprachlichen Wohl¬ standes. Aber nicht minder sind ästhetische Fragen die Übereinstimmung von Gedanke und Ausdruck, die logische Ordnung, die Gliederung des Satzbaues, die Zweckmäßigkeit der Wortfügung, die Triftigkeit der Bilder, der Tonfall der Rede, die Gleichartigkeit der Schreibung, die Planmäßigkeit der Inter¬ punktion. Man ist heute wieder geneigt, die Belebung und Leitung des ästhetischen Sprachsinns, vielleicht gar eine cilsbaldige Erfüllung solcher ästhetischen Forderungen von einer Akademie der deutschen Sprache zu er¬ warten. In glänzender Rede ist Emil Dn Vois-Reymond am 26. Mürz 1874 in einer öffentlichen Sitzung der Berliner Akademie für diesen Gedanken ein- Grenzboten II 189t 4t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/325>, abgerufen am 24.07.2024.