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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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bestand. Stand hier die Pflege der Sprache neben der der Philosophie, so
gewann sie eine ausschließliche Geltung in der berühmten, 1582 zu Florenz
gestifteten ^oeaclowig. äötla, Lirusvii, die in ihrer Vereinigung philologischer und
schönwissenschaftlicher Thätigkeit auch für andre Länder von vorbildlicher Be¬
deutung wurde. Da die italienische Litteratur in ihren Anfängen nur eine
Nachbildung der provenyulischen war, so war ihr damit ein rein gelehrtes
Gepräge verliehen, und indem die Aneignung dieser fremden dichterischen Welt
auch die Aneignung ihrer zwar verwandt, aber doch fremdartig anmutenden
Sprache nötig machte, in der man mit den Prooem?aler sogar zu wetteifern
strebte, wurde die Fähigkeit, eine fremde Sprache grammatisch aufzufassen und
ihren Bau mit der eignen zu vergleichen, in Italien früher geübt und rascher
entwickelt, als irgendwo sonst. Von Anbeginn gingen Dichtung und philo¬
logische Untersuchung in Italien Hand in Hand, und Dante war Dichter,
Ausleger der eignen Dichtung und Sprachforscher zugleich. Diese gelehrte
Beschäftigung mit der Sprache wurde durch den Humanismus auf neue Grund¬
lagen gestellt: mit Hilfe der lateinischen Grammatik suchte mau sich auch in
der Muttersprache zurechtzufinden. Zwar schienen die Mundarten zunächst
aller Regeln zu spotten, aber die Dichtersprache des vierzehnten Jahrhunderts
wurde min die Grundlage für den Ausbau der Grammatik und Wortforschung,
und einen ersten Abschluß gewannen solche Arbeiten durch das große Wörter¬
buch der Lrusoa, das zum erstenmale 1612 herauskam. Lru8vel bedeutet
Kleie: diese Männer wollten das Mehl der italienischen Sprache von der Kleie
sondern; sie gingen also nicht auf eine erschöpfende Darstellung des Sprach¬
schatzes aus, sondern sie wollten den Wortvorrat der besten Schriftsteller geben.
Die erste Aufgabe war lediglich ein Wörterbuch des vierzehnten Jahrhunderts,
das sechzehnte Jahrhundert war nnr so weit dnrch Belege vertreten, als es
mit der Sprache Vvceaceios im Einklang war, und alle Einwendungen der
Kritik haben in den folgenden Ausgaben diesen Mangel nicht tilgen helfen.

Ein deutscher Fürst, Ludwig von Anhalt-Köthen, hatte als junger Mann
ans einer Reise nach Italien auch in Florenz verweilt; er hatte sich dort mit
der Einrichtung der On"L!i vertraut gemacht und ließ sich im Jahre 1600
in ihre Mitte aufnehmen. Er trug sich seitdem mit dem Gedanken, auch auf
deutschem Boden etwas ähnliches zu versuchen, und am 14. August 1617 fand
dieser Gedanke seine Verwirklichung in der Stiftung der Fruchtbringenden
Gesellschaft im Schlosse Hornstein bei Weimar. Wenn diese Gesellschaft, wie
ihr italienisches Vorbild mich, mit allerlei wunderlichen Namen, gestickten
Wappen, Sinnbildern und Sprüchen, die mit dem Begriff des Wachstums
und der Fruchtbarkeit bisweilen kaum in kenntlicher Beziehung standen, ein
seltsam feierliches Spiel trieb, so wird man darüber nicht lachen dürfen, wenn
man sich vergegenwärtigt, daß diese sorgsame Wertschätzung äußerer Abzeichen
nicht nnr in jedem Einzelnen das Bewußtsein der Gemeinschaft lebendig erhielt,


bestand. Stand hier die Pflege der Sprache neben der der Philosophie, so
gewann sie eine ausschließliche Geltung in der berühmten, 1582 zu Florenz
gestifteten ^oeaclowig. äötla, Lirusvii, die in ihrer Vereinigung philologischer und
schönwissenschaftlicher Thätigkeit auch für andre Länder von vorbildlicher Be¬
deutung wurde. Da die italienische Litteratur in ihren Anfängen nur eine
Nachbildung der provenyulischen war, so war ihr damit ein rein gelehrtes
Gepräge verliehen, und indem die Aneignung dieser fremden dichterischen Welt
auch die Aneignung ihrer zwar verwandt, aber doch fremdartig anmutenden
Sprache nötig machte, in der man mit den Prooem?aler sogar zu wetteifern
strebte, wurde die Fähigkeit, eine fremde Sprache grammatisch aufzufassen und
ihren Bau mit der eignen zu vergleichen, in Italien früher geübt und rascher
entwickelt, als irgendwo sonst. Von Anbeginn gingen Dichtung und philo¬
logische Untersuchung in Italien Hand in Hand, und Dante war Dichter,
Ausleger der eignen Dichtung und Sprachforscher zugleich. Diese gelehrte
Beschäftigung mit der Sprache wurde durch den Humanismus auf neue Grund¬
lagen gestellt: mit Hilfe der lateinischen Grammatik suchte mau sich auch in
der Muttersprache zurechtzufinden. Zwar schienen die Mundarten zunächst
aller Regeln zu spotten, aber die Dichtersprache des vierzehnten Jahrhunderts
wurde min die Grundlage für den Ausbau der Grammatik und Wortforschung,
und einen ersten Abschluß gewannen solche Arbeiten durch das große Wörter¬
buch der Lrusoa, das zum erstenmale 1612 herauskam. Lru8vel bedeutet
Kleie: diese Männer wollten das Mehl der italienischen Sprache von der Kleie
sondern; sie gingen also nicht auf eine erschöpfende Darstellung des Sprach¬
schatzes aus, sondern sie wollten den Wortvorrat der besten Schriftsteller geben.
Die erste Aufgabe war lediglich ein Wörterbuch des vierzehnten Jahrhunderts,
das sechzehnte Jahrhundert war nnr so weit dnrch Belege vertreten, als es
mit der Sprache Vvceaceios im Einklang war, und alle Einwendungen der
Kritik haben in den folgenden Ausgaben diesen Mangel nicht tilgen helfen.

Ein deutscher Fürst, Ludwig von Anhalt-Köthen, hatte als junger Mann
ans einer Reise nach Italien auch in Florenz verweilt; er hatte sich dort mit
der Einrichtung der On«L!i vertraut gemacht und ließ sich im Jahre 1600
in ihre Mitte aufnehmen. Er trug sich seitdem mit dem Gedanken, auch auf
deutschem Boden etwas ähnliches zu versuchen, und am 14. August 1617 fand
dieser Gedanke seine Verwirklichung in der Stiftung der Fruchtbringenden
Gesellschaft im Schlosse Hornstein bei Weimar. Wenn diese Gesellschaft, wie
ihr italienisches Vorbild mich, mit allerlei wunderlichen Namen, gestickten
Wappen, Sinnbildern und Sprüchen, die mit dem Begriff des Wachstums
und der Fruchtbarkeit bisweilen kaum in kenntlicher Beziehung standen, ein
seltsam feierliches Spiel trieb, so wird man darüber nicht lachen dürfen, wenn
man sich vergegenwärtigt, daß diese sorgsame Wertschätzung äußerer Abzeichen
nicht nnr in jedem Einzelnen das Bewußtsein der Gemeinschaft lebendig erhielt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/312>, abgerufen am 24.07.2024.