Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

"Gelehrtengeschichte." Noch Leibniz erwartete die geistige und damit die
politische Wiedergeburt der Nation von einer großartig entworfenen Vereinigung
der gesamten wissenschaftlichen Arbeit um einen schöpferischen Mittelpunkt: die
Berliner Akademie, in der der deutschen Sprache und Litteratur keine vor¬
nehmere Stelle zugewiesen war, als allen übrigen Teilen der Wissenschaften
auch. Aber Schritt für Schritt vollzog sich seitdem die Ablösung der Dichtung
von der Wissenschaft; sie war vollendet, als um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts der Stand der Gelehrten seine führende Stellung im Geistes¬
leben an die freien Schriftsteller abgab. Die von Leibniz erstrebte realwissen¬
schaftliche Nativnalkultur war mehr und mehr zurückgetreten hinter einer rein
ästhetischen Judividualkultur. Der Weg war also verändert, aber das Ziel
blieb bestehen, und keiner unsrer großen Schriftsteller verlor es aus dem Auge:
die Einigung Dentschlands. Erst um unsern Klassikern hat sich die Nation
als Eins fühlen lernen; erst die von ihnen geschaffene Gemeinschaft der sitt¬
lichen und ästhetischen Bildung, der Ideale und der Entschließungen vermochte
sich jener ehernen Form zu bemächtigen, die inzwischen Preußen zubereitet
hatte, und ihr jenen alles umschließenden Inhalt einzuschaffen, in dem ein
Jahrhunderte gehegter Traum beglückende Gestalt gewann.

Weil eine Litteratur, die zur ganzen Nation reden konnte, erst möglich
geworden war, seitdem wir eine einheitliche Schriftsprache besaßen, deshalb ist
unsre neuhochdeutsche Schriftsprache die älteste Säule der deutschen Einheit und
Luthers Bibel die Grundlage einer deutscheu Natiounllitteratur im eigentlichen
Sinne. Zu einer Zeit, wo es in Deutschland weder im Staat noch in der
Kirche, weder in der Rechtsprechung uoch in der Gesellschaft eine wirkliche
Gemeinschaft des Lebens gab, war unsre Schriftsprache fast das einzige Band,
das die deutschen Stämme zusammenschloß. Kein Wunder, daß man es mit
ängstlicher Sorgfalt zu hüten suchte, daß man die Schriftsprache in Zucht und
Pflege nahm, um sie mehr und mehr zu einem Hort des Nationalstolzes und
zu dem edelgestalteten Gefäße zu bilden, worin die teuersten Schütze deutscher
Geistesarbeit würdig dargeboten werden durften.

Diese Versuche, die deutsche Sprache zu der Wertschätzung und dem Range
eines kostbaren Nationalgntes zu erheben, konnten nicht vereinzelten Bemühungen
gelingen, sondern nnr einer Gemeinschaft sprachkundiger Männer, die, geleitet
von einmütiger Grundsätzen und ausgerüstet mit der idealen Vollmacht eines
anerkannten sprachlichen Gerichtshofs, in allen Teilen des Vaterlandes den
Sinn für die eingeborne Schönheit und die Veredlung der Muttersprache zu
wecken und zu verbreiten trachteten. Seitdem der Sieg der neuhochdeutschen
Schriftsprache über die Mundarten entschieden war, nahmen ihren Ausbau und
ihre Pflege Gesellschaften in die Hand, die nicht nur Einfluß auf die littera¬
rischen Hervorbringungen in ganz Deutschland zu gewinnen suchten, sondern
zum Teil auch, um diesem Einfluß größern Nachdruck zu sichern, den Schutz


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

„Gelehrtengeschichte." Noch Leibniz erwartete die geistige und damit die
politische Wiedergeburt der Nation von einer großartig entworfenen Vereinigung
der gesamten wissenschaftlichen Arbeit um einen schöpferischen Mittelpunkt: die
Berliner Akademie, in der der deutschen Sprache und Litteratur keine vor¬
nehmere Stelle zugewiesen war, als allen übrigen Teilen der Wissenschaften
auch. Aber Schritt für Schritt vollzog sich seitdem die Ablösung der Dichtung
von der Wissenschaft; sie war vollendet, als um die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts der Stand der Gelehrten seine führende Stellung im Geistes¬
leben an die freien Schriftsteller abgab. Die von Leibniz erstrebte realwissen¬
schaftliche Nativnalkultur war mehr und mehr zurückgetreten hinter einer rein
ästhetischen Judividualkultur. Der Weg war also verändert, aber das Ziel
blieb bestehen, und keiner unsrer großen Schriftsteller verlor es aus dem Auge:
die Einigung Dentschlands. Erst um unsern Klassikern hat sich die Nation
als Eins fühlen lernen; erst die von ihnen geschaffene Gemeinschaft der sitt¬
lichen und ästhetischen Bildung, der Ideale und der Entschließungen vermochte
sich jener ehernen Form zu bemächtigen, die inzwischen Preußen zubereitet
hatte, und ihr jenen alles umschließenden Inhalt einzuschaffen, in dem ein
Jahrhunderte gehegter Traum beglückende Gestalt gewann.

Weil eine Litteratur, die zur ganzen Nation reden konnte, erst möglich
geworden war, seitdem wir eine einheitliche Schriftsprache besaßen, deshalb ist
unsre neuhochdeutsche Schriftsprache die älteste Säule der deutschen Einheit und
Luthers Bibel die Grundlage einer deutscheu Natiounllitteratur im eigentlichen
Sinne. Zu einer Zeit, wo es in Deutschland weder im Staat noch in der
Kirche, weder in der Rechtsprechung uoch in der Gesellschaft eine wirkliche
Gemeinschaft des Lebens gab, war unsre Schriftsprache fast das einzige Band,
das die deutschen Stämme zusammenschloß. Kein Wunder, daß man es mit
ängstlicher Sorgfalt zu hüten suchte, daß man die Schriftsprache in Zucht und
Pflege nahm, um sie mehr und mehr zu einem Hort des Nationalstolzes und
zu dem edelgestalteten Gefäße zu bilden, worin die teuersten Schütze deutscher
Geistesarbeit würdig dargeboten werden durften.

Diese Versuche, die deutsche Sprache zu der Wertschätzung und dem Range
eines kostbaren Nationalgntes zu erheben, konnten nicht vereinzelten Bemühungen
gelingen, sondern nnr einer Gemeinschaft sprachkundiger Männer, die, geleitet
von einmütiger Grundsätzen und ausgerüstet mit der idealen Vollmacht eines
anerkannten sprachlichen Gerichtshofs, in allen Teilen des Vaterlandes den
Sinn für die eingeborne Schönheit und die Veredlung der Muttersprache zu
wecken und zu verbreiten trachteten. Seitdem der Sieg der neuhochdeutschen
Schriftsprache über die Mundarten entschieden war, nahmen ihren Ausbau und
ihre Pflege Gesellschaften in die Hand, die nicht nur Einfluß auf die littera¬
rischen Hervorbringungen in ganz Deutschland zu gewinnen suchten, sondern
zum Teil auch, um diesem Einfluß größern Nachdruck zu sichern, den Schutz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210177"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_851" prev="#ID_850"> &#x201E;Gelehrtengeschichte." Noch Leibniz erwartete die geistige und damit die<lb/>
politische Wiedergeburt der Nation von einer großartig entworfenen Vereinigung<lb/>
der gesamten wissenschaftlichen Arbeit um einen schöpferischen Mittelpunkt: die<lb/>
Berliner Akademie, in der der deutschen Sprache und Litteratur keine vor¬<lb/>
nehmere Stelle zugewiesen war, als allen übrigen Teilen der Wissenschaften<lb/>
auch. Aber Schritt für Schritt vollzog sich seitdem die Ablösung der Dichtung<lb/>
von der Wissenschaft; sie war vollendet, als um die Mitte des achtzehnten<lb/>
Jahrhunderts der Stand der Gelehrten seine führende Stellung im Geistes¬<lb/>
leben an die freien Schriftsteller abgab. Die von Leibniz erstrebte realwissen¬<lb/>
schaftliche Nativnalkultur war mehr und mehr zurückgetreten hinter einer rein<lb/>
ästhetischen Judividualkultur. Der Weg war also verändert, aber das Ziel<lb/>
blieb bestehen, und keiner unsrer großen Schriftsteller verlor es aus dem Auge:<lb/>
die Einigung Dentschlands. Erst um unsern Klassikern hat sich die Nation<lb/>
als Eins fühlen lernen; erst die von ihnen geschaffene Gemeinschaft der sitt¬<lb/>
lichen und ästhetischen Bildung, der Ideale und der Entschließungen vermochte<lb/>
sich jener ehernen Form zu bemächtigen, die inzwischen Preußen zubereitet<lb/>
hatte, und ihr jenen alles umschließenden Inhalt einzuschaffen, in dem ein<lb/>
Jahrhunderte gehegter Traum beglückende Gestalt gewann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_852"> Weil eine Litteratur, die zur ganzen Nation reden konnte, erst möglich<lb/>
geworden war, seitdem wir eine einheitliche Schriftsprache besaßen, deshalb ist<lb/>
unsre neuhochdeutsche Schriftsprache die älteste Säule der deutschen Einheit und<lb/>
Luthers Bibel die Grundlage einer deutscheu Natiounllitteratur im eigentlichen<lb/>
Sinne. Zu einer Zeit, wo es in Deutschland weder im Staat noch in der<lb/>
Kirche, weder in der Rechtsprechung uoch in der Gesellschaft eine wirkliche<lb/>
Gemeinschaft des Lebens gab, war unsre Schriftsprache fast das einzige Band,<lb/>
das die deutschen Stämme zusammenschloß. Kein Wunder, daß man es mit<lb/>
ängstlicher Sorgfalt zu hüten suchte, daß man die Schriftsprache in Zucht und<lb/>
Pflege nahm, um sie mehr und mehr zu einem Hort des Nationalstolzes und<lb/>
zu dem edelgestalteten Gefäße zu bilden, worin die teuersten Schütze deutscher<lb/>
Geistesarbeit würdig dargeboten werden durften.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_853" next="#ID_854"> Diese Versuche, die deutsche Sprache zu der Wertschätzung und dem Range<lb/>
eines kostbaren Nationalgntes zu erheben, konnten nicht vereinzelten Bemühungen<lb/>
gelingen, sondern nnr einer Gemeinschaft sprachkundiger Männer, die, geleitet<lb/>
von einmütiger Grundsätzen und ausgerüstet mit der idealen Vollmacht eines<lb/>
anerkannten sprachlichen Gerichtshofs, in allen Teilen des Vaterlandes den<lb/>
Sinn für die eingeborne Schönheit und die Veredlung der Muttersprache zu<lb/>
wecken und zu verbreiten trachteten. Seitdem der Sieg der neuhochdeutschen<lb/>
Schriftsprache über die Mundarten entschieden war, nahmen ihren Ausbau und<lb/>
ihre Pflege Gesellschaften in die Hand, die nicht nur Einfluß auf die littera¬<lb/>
rischen Hervorbringungen in ganz Deutschland zu gewinnen suchten, sondern<lb/>
zum Teil auch, um diesem Einfluß größern Nachdruck zu sichern, den Schutz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie „Gelehrtengeschichte." Noch Leibniz erwartete die geistige und damit die politische Wiedergeburt der Nation von einer großartig entworfenen Vereinigung der gesamten wissenschaftlichen Arbeit um einen schöpferischen Mittelpunkt: die Berliner Akademie, in der der deutschen Sprache und Litteratur keine vor¬ nehmere Stelle zugewiesen war, als allen übrigen Teilen der Wissenschaften auch. Aber Schritt für Schritt vollzog sich seitdem die Ablösung der Dichtung von der Wissenschaft; sie war vollendet, als um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts der Stand der Gelehrten seine führende Stellung im Geistes¬ leben an die freien Schriftsteller abgab. Die von Leibniz erstrebte realwissen¬ schaftliche Nativnalkultur war mehr und mehr zurückgetreten hinter einer rein ästhetischen Judividualkultur. Der Weg war also verändert, aber das Ziel blieb bestehen, und keiner unsrer großen Schriftsteller verlor es aus dem Auge: die Einigung Dentschlands. Erst um unsern Klassikern hat sich die Nation als Eins fühlen lernen; erst die von ihnen geschaffene Gemeinschaft der sitt¬ lichen und ästhetischen Bildung, der Ideale und der Entschließungen vermochte sich jener ehernen Form zu bemächtigen, die inzwischen Preußen zubereitet hatte, und ihr jenen alles umschließenden Inhalt einzuschaffen, in dem ein Jahrhunderte gehegter Traum beglückende Gestalt gewann. Weil eine Litteratur, die zur ganzen Nation reden konnte, erst möglich geworden war, seitdem wir eine einheitliche Schriftsprache besaßen, deshalb ist unsre neuhochdeutsche Schriftsprache die älteste Säule der deutschen Einheit und Luthers Bibel die Grundlage einer deutscheu Natiounllitteratur im eigentlichen Sinne. Zu einer Zeit, wo es in Deutschland weder im Staat noch in der Kirche, weder in der Rechtsprechung uoch in der Gesellschaft eine wirkliche Gemeinschaft des Lebens gab, war unsre Schriftsprache fast das einzige Band, das die deutschen Stämme zusammenschloß. Kein Wunder, daß man es mit ängstlicher Sorgfalt zu hüten suchte, daß man die Schriftsprache in Zucht und Pflege nahm, um sie mehr und mehr zu einem Hort des Nationalstolzes und zu dem edelgestalteten Gefäße zu bilden, worin die teuersten Schütze deutscher Geistesarbeit würdig dargeboten werden durften. Diese Versuche, die deutsche Sprache zu der Wertschätzung und dem Range eines kostbaren Nationalgntes zu erheben, konnten nicht vereinzelten Bemühungen gelingen, sondern nnr einer Gemeinschaft sprachkundiger Männer, die, geleitet von einmütiger Grundsätzen und ausgerüstet mit der idealen Vollmacht eines anerkannten sprachlichen Gerichtshofs, in allen Teilen des Vaterlandes den Sinn für die eingeborne Schönheit und die Veredlung der Muttersprache zu wecken und zu verbreiten trachteten. Seitdem der Sieg der neuhochdeutschen Schriftsprache über die Mundarten entschieden war, nahmen ihren Ausbau und ihre Pflege Gesellschaften in die Hand, die nicht nur Einfluß auf die littera¬ rischen Hervorbringungen in ganz Deutschland zu gewinnen suchten, sondern zum Teil auch, um diesem Einfluß größern Nachdruck zu sichern, den Schutz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/310>, abgerufen am 04.07.2024.