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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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kümmre. Nichts hat er von seinem Professor ans der Universität besser ge¬
lernt, als das Niederschimpfen des Gegners. So unbeholfen, schüchtern und
ängstlich der junge Nibelnngenforscher sonst ist, so wild und roh wird er,
wenn er auf eine andre Ansicht stößt, als die Lachmannschc, daß nämlich ^
und nicht L! die älteste Handschrift des Nibelungenliedes sei. Da perlt es
nur so aus seinem Munde von anmutigen Ausdrücken wie Verbohrtheit, hirn¬
verbrannter Dünkelhaftigkeit, frevelhafter Blödsinnigkeit, nackter Frechheit,
schwindelnden Größenwahn, dilettantischer Kiuderfaselei, denknnfähigen und
sittlich unzurechnungsfähigen Subjekten u. s. w. Haus Hoffmann hat hier
eine sehr wurde Stelle in unsrer wissenschaftlichen Kritik berührt. Es ist
leider wahr: nirgends finden wir eine solche Sprache, ein so unerhörtes
Deutsch, einen so flegelhaften Ton wie in unsern fachwissenschaftlichen Zeit¬
schriften, insbesondre da, wo eine "Autorität" ihren Gegner niederschmettert
und sich vor ihren Jüngern in ganzer Größe aufbläht. Ju diesen ungehörigen
Ton fällt denn nnn auch der Kandidat Dinse, als er in dem prüfenden
Professor Klickmann einen wütenden Verteidiger der verpöntem Handschrift L
erkennt. Klickmann bleibt ihm an Grobheit nichts schuldig und läßt den un¬
verschämten Widersacher vom inlwnm durchfallen. Wer sich selbst einmal
einer derartigen Prüfung unterzogen hat, der wird die Schilderung dieser
Szene mit innigem Vergnügen lesen. Für Dinse hat der Vorgang trübe
Folgen. Seine Braut, Anna Gebhart, sagt sich von ihm los, und mit Thränen
in den Augen liest der Ärmste die von ihm für unecht erklärte Strophe aus
dem alten Liede:


Nit tollis vies voi'vnüöi dos Künig-hö luidült,
^Is lo alio lisbo Isiclo us ullsr ^jun^isw

Wie sich nun Anna selbst als junge Lehrerin ans Nibelungenlied macht und
als "Studiosus Geiseler" mit Christian Dinse in gelehrten Briefverkehr tritt,
wie sich beide endlich doch noch wiederfinden und sich nach fünfundzwanzig
Jahren heiraten, nachdem Christinn endlich seinen höchsten Gehalt von sechs¬
hundert Thalern erreicht hat, wie das Pärchen Hand in Hand auf den Wällen
spazieren geht, sie verblüht und vertrocknet, er mit seinein alten verblichnen
Flügelmantel, der ihm den Beinamen "Archäopteryx" eingebracht hat, das
alles ist überaus rührend und humorvoll geschildert.

Den wunderlichen, an Ruhmsucht und Größenwahn leidenden Zeichen¬
lehrer Spilling vom Stolpeuburger Gymnasium hat Hans Hoffmann zum
Helden einer als selbständiger Band in demselben Verlage erschienenen Novelle:
Ruhm gemacht. Seine Kunst, ans einem ernsten, fast tragischen Hintergrunde
heitere und schalkhafte Szenen zu entwerfen und selbst die abgeschmacktesten,
lächerlichsten Meuscheu unserm Herzen näher zu bringen, ist in dieser Novelle
geradezu erstaunlich. Spilling, an dem seine Mutter schon in seiner Kindheit
einen Narren gefressen hat, gilt in dein entlegenen elsässischen Städtchen


kümmre. Nichts hat er von seinem Professor ans der Universität besser ge¬
lernt, als das Niederschimpfen des Gegners. So unbeholfen, schüchtern und
ängstlich der junge Nibelnngenforscher sonst ist, so wild und roh wird er,
wenn er auf eine andre Ansicht stößt, als die Lachmannschc, daß nämlich ^
und nicht L! die älteste Handschrift des Nibelungenliedes sei. Da perlt es
nur so aus seinem Munde von anmutigen Ausdrücken wie Verbohrtheit, hirn¬
verbrannter Dünkelhaftigkeit, frevelhafter Blödsinnigkeit, nackter Frechheit,
schwindelnden Größenwahn, dilettantischer Kiuderfaselei, denknnfähigen und
sittlich unzurechnungsfähigen Subjekten u. s. w. Haus Hoffmann hat hier
eine sehr wurde Stelle in unsrer wissenschaftlichen Kritik berührt. Es ist
leider wahr: nirgends finden wir eine solche Sprache, ein so unerhörtes
Deutsch, einen so flegelhaften Ton wie in unsern fachwissenschaftlichen Zeit¬
schriften, insbesondre da, wo eine „Autorität" ihren Gegner niederschmettert
und sich vor ihren Jüngern in ganzer Größe aufbläht. Ju diesen ungehörigen
Ton fällt denn nnn auch der Kandidat Dinse, als er in dem prüfenden
Professor Klickmann einen wütenden Verteidiger der verpöntem Handschrift L
erkennt. Klickmann bleibt ihm an Grobheit nichts schuldig und läßt den un¬
verschämten Widersacher vom inlwnm durchfallen. Wer sich selbst einmal
einer derartigen Prüfung unterzogen hat, der wird die Schilderung dieser
Szene mit innigem Vergnügen lesen. Für Dinse hat der Vorgang trübe
Folgen. Seine Braut, Anna Gebhart, sagt sich von ihm los, und mit Thränen
in den Augen liest der Ärmste die von ihm für unecht erklärte Strophe aus
dem alten Liede:


Nit tollis vies voi'vnüöi dos Künig-hö luidült,
^Is lo alio lisbo Isiclo us ullsr ^jun^isw

Wie sich nun Anna selbst als junge Lehrerin ans Nibelungenlied macht und
als „Studiosus Geiseler" mit Christian Dinse in gelehrten Briefverkehr tritt,
wie sich beide endlich doch noch wiederfinden und sich nach fünfundzwanzig
Jahren heiraten, nachdem Christinn endlich seinen höchsten Gehalt von sechs¬
hundert Thalern erreicht hat, wie das Pärchen Hand in Hand auf den Wällen
spazieren geht, sie verblüht und vertrocknet, er mit seinein alten verblichnen
Flügelmantel, der ihm den Beinamen „Archäopteryx" eingebracht hat, das
alles ist überaus rührend und humorvoll geschildert.

Den wunderlichen, an Ruhmsucht und Größenwahn leidenden Zeichen¬
lehrer Spilling vom Stolpeuburger Gymnasium hat Hans Hoffmann zum
Helden einer als selbständiger Band in demselben Verlage erschienenen Novelle:
Ruhm gemacht. Seine Kunst, ans einem ernsten, fast tragischen Hintergrunde
heitere und schalkhafte Szenen zu entwerfen und selbst die abgeschmacktesten,
lächerlichsten Meuscheu unserm Herzen näher zu bringen, ist in dieser Novelle
geradezu erstaunlich. Spilling, an dem seine Mutter schon in seiner Kindheit
einen Narren gefressen hat, gilt in dein entlegenen elsässischen Städtchen


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[0298] kümmre. Nichts hat er von seinem Professor ans der Universität besser ge¬ lernt, als das Niederschimpfen des Gegners. So unbeholfen, schüchtern und ängstlich der junge Nibelnngenforscher sonst ist, so wild und roh wird er, wenn er auf eine andre Ansicht stößt, als die Lachmannschc, daß nämlich ^ und nicht L! die älteste Handschrift des Nibelungenliedes sei. Da perlt es nur so aus seinem Munde von anmutigen Ausdrücken wie Verbohrtheit, hirn¬ verbrannter Dünkelhaftigkeit, frevelhafter Blödsinnigkeit, nackter Frechheit, schwindelnden Größenwahn, dilettantischer Kiuderfaselei, denknnfähigen und sittlich unzurechnungsfähigen Subjekten u. s. w. Haus Hoffmann hat hier eine sehr wurde Stelle in unsrer wissenschaftlichen Kritik berührt. Es ist leider wahr: nirgends finden wir eine solche Sprache, ein so unerhörtes Deutsch, einen so flegelhaften Ton wie in unsern fachwissenschaftlichen Zeit¬ schriften, insbesondre da, wo eine „Autorität" ihren Gegner niederschmettert und sich vor ihren Jüngern in ganzer Größe aufbläht. Ju diesen ungehörigen Ton fällt denn nnn auch der Kandidat Dinse, als er in dem prüfenden Professor Klickmann einen wütenden Verteidiger der verpöntem Handschrift L erkennt. Klickmann bleibt ihm an Grobheit nichts schuldig und läßt den un¬ verschämten Widersacher vom inlwnm durchfallen. Wer sich selbst einmal einer derartigen Prüfung unterzogen hat, der wird die Schilderung dieser Szene mit innigem Vergnügen lesen. Für Dinse hat der Vorgang trübe Folgen. Seine Braut, Anna Gebhart, sagt sich von ihm los, und mit Thränen in den Augen liest der Ärmste die von ihm für unecht erklärte Strophe aus dem alten Liede: Nit tollis vies voi'vnüöi dos Künig-hö luidült, ^Is lo alio lisbo Isiclo us ullsr ^jun^isw Wie sich nun Anna selbst als junge Lehrerin ans Nibelungenlied macht und als „Studiosus Geiseler" mit Christian Dinse in gelehrten Briefverkehr tritt, wie sich beide endlich doch noch wiederfinden und sich nach fünfundzwanzig Jahren heiraten, nachdem Christinn endlich seinen höchsten Gehalt von sechs¬ hundert Thalern erreicht hat, wie das Pärchen Hand in Hand auf den Wällen spazieren geht, sie verblüht und vertrocknet, er mit seinein alten verblichnen Flügelmantel, der ihm den Beinamen „Archäopteryx" eingebracht hat, das alles ist überaus rührend und humorvoll geschildert. Den wunderlichen, an Ruhmsucht und Größenwahn leidenden Zeichen¬ lehrer Spilling vom Stolpeuburger Gymnasium hat Hans Hoffmann zum Helden einer als selbständiger Band in demselben Verlage erschienenen Novelle: Ruhm gemacht. Seine Kunst, ans einem ernsten, fast tragischen Hintergrunde heitere und schalkhafte Szenen zu entwerfen und selbst die abgeschmacktesten, lächerlichsten Meuscheu unserm Herzen näher zu bringen, ist in dieser Novelle geradezu erstaunlich. Spilling, an dem seine Mutter schon in seiner Kindheit einen Narren gefressen hat, gilt in dein entlegenen elsässischen Städtchen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/298>, abgerufen am 24.07.2024.