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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Robert Hamerling

und Denker alles ans sich selbst geschöpft haben? Sie haben es verstanden,
frühere Geistesarbeiten in sich zu konzentriren, ihnen die passendste und ihrer
Zeit inundgerechteste Form zu geben. Ich stehe nicht an, viele Gedanken
meiner besten Gedichte als von andern stammend zu bezeichnen, und glaube
dadurch den Wert der Gedichte nicht zu schmälern."

Dieses Gespräch beleuchtet am besten die Verschiedenheit der beiden Freunde,
erklärt aber auch die Liebe, die sie zu einander hegten. Durch die Begeisterung
für die Poesie, durch Gemeinsamkeit ihrer idealistischen Weltanschauung, ihres
sittlichen Pathos fanden sie sich; weil aber jeder von ihnen in ganz andrer
Weise künstlerisch begabt war, blieben sie sich täglich neu, interessant, einer
dem andern ein unerschöpfliches Wunder, und darum bewunderten sie sich
gegenseitig. Es ist durchaus stilgerecht, wenn Nosegger das reiche Lob, daS
ihm der "große und hochverehrte" Freund zu erteilen pflegte, ebenso offenherzig
mitteilt, wie die gelegentliche Kritik, die Hamerling an seiner Sprache übte,
deren Anstriazismen besonders seinen Tadel herausforderten. Nicht Eitelkeit,
über die schließlich der vielgefeierte und über seine Lobredner gelegentlich auch
spottende "liebenswürdige" Volksdichter doch hinaus ist, sondern künstlerischer
Sinn hat ihn da richtig geleitet, und nur für jene Philister, die auch Hamerling
so gründlich haßte, hat Nosegger die gegen den Vorwurf der Eitelkeit sich
verwahrende Vorrede geschrieben. Sie hätte wegbleiben können.

Das Bild, daS Nosegger mit seinen Mitteilungen von mündlichen und
schriftlichen Äußerungen Hamerlings, von seiner Lebensweise, von der Art
seines Verkehrs u. dergl. in. in uns hinterläßt, ist reich an lichten wie an
dunkeln Stellen, so liebevoll, ja zärtlich und vorsichtig auch Nosegger seineu
Pinsel führen mag. Schon äußerlich machte .Hamerling den Eindruck eiues
ungewöhnlichen Menschen. In seinen jüngern Jahren war er mit seinem stolz
und hoch getragenen Römerkopf und den langen nach rückwärts gekämmten
Haaren ein auffallend schöner Mann, in dessen Auftreten sich ein gewisses
Selbstgefühl offenbarte. In der That war sich Hamerling stets seines Dichter¬
berufes bewußt, und das Gefühl eines tiefen Unterschiedes von den "Philistern"
kam in seinen vertraulichen Äußerungen oft zum Durchbruch. Aber dieses
Gefühl lagerte sich wie eine Art von priesterlicher Weihe über seine Erscheinung,
es raubte ihr die Gemütlichkeit, die Natürlichkeit; es dauerte lauge, bis sich
Nosegger in seinem Umgang heimisch fühlen konnte. Hamerling war es
mit diesem Hochgefühl von seinein Beruf ernst; fehlte ihm die unbefangene
Einfalt, so uneben er es mit den sittlichen Ansprüchen an sich selbst umso strenger,
und er hat sich während seiner mehr als dreißigjährigen Krankheit als ein
wahrer Held im Leiden erwiesen. Es verband sich mit seinem Hochgefühl
doch auch menschliche Güte, die er auch in der großen Liebe für den jungen
Nosegger bekundete, den er ununterbrochen neidlos förderte. Aber sie äußerte
sich auch in andrer Form: er hing mit rührender Treue an seinen Eltern,


Robert Hamerling

und Denker alles ans sich selbst geschöpft haben? Sie haben es verstanden,
frühere Geistesarbeiten in sich zu konzentriren, ihnen die passendste und ihrer
Zeit inundgerechteste Form zu geben. Ich stehe nicht an, viele Gedanken
meiner besten Gedichte als von andern stammend zu bezeichnen, und glaube
dadurch den Wert der Gedichte nicht zu schmälern."

Dieses Gespräch beleuchtet am besten die Verschiedenheit der beiden Freunde,
erklärt aber auch die Liebe, die sie zu einander hegten. Durch die Begeisterung
für die Poesie, durch Gemeinsamkeit ihrer idealistischen Weltanschauung, ihres
sittlichen Pathos fanden sie sich; weil aber jeder von ihnen in ganz andrer
Weise künstlerisch begabt war, blieben sie sich täglich neu, interessant, einer
dem andern ein unerschöpfliches Wunder, und darum bewunderten sie sich
gegenseitig. Es ist durchaus stilgerecht, wenn Nosegger das reiche Lob, daS
ihm der „große und hochverehrte" Freund zu erteilen pflegte, ebenso offenherzig
mitteilt, wie die gelegentliche Kritik, die Hamerling an seiner Sprache übte,
deren Anstriazismen besonders seinen Tadel herausforderten. Nicht Eitelkeit,
über die schließlich der vielgefeierte und über seine Lobredner gelegentlich auch
spottende „liebenswürdige" Volksdichter doch hinaus ist, sondern künstlerischer
Sinn hat ihn da richtig geleitet, und nur für jene Philister, die auch Hamerling
so gründlich haßte, hat Nosegger die gegen den Vorwurf der Eitelkeit sich
verwahrende Vorrede geschrieben. Sie hätte wegbleiben können.

Das Bild, daS Nosegger mit seinen Mitteilungen von mündlichen und
schriftlichen Äußerungen Hamerlings, von seiner Lebensweise, von der Art
seines Verkehrs u. dergl. in. in uns hinterläßt, ist reich an lichten wie an
dunkeln Stellen, so liebevoll, ja zärtlich und vorsichtig auch Nosegger seineu
Pinsel führen mag. Schon äußerlich machte .Hamerling den Eindruck eiues
ungewöhnlichen Menschen. In seinen jüngern Jahren war er mit seinem stolz
und hoch getragenen Römerkopf und den langen nach rückwärts gekämmten
Haaren ein auffallend schöner Mann, in dessen Auftreten sich ein gewisses
Selbstgefühl offenbarte. In der That war sich Hamerling stets seines Dichter¬
berufes bewußt, und das Gefühl eines tiefen Unterschiedes von den „Philistern"
kam in seinen vertraulichen Äußerungen oft zum Durchbruch. Aber dieses
Gefühl lagerte sich wie eine Art von priesterlicher Weihe über seine Erscheinung,
es raubte ihr die Gemütlichkeit, die Natürlichkeit; es dauerte lauge, bis sich
Nosegger in seinem Umgang heimisch fühlen konnte. Hamerling war es
mit diesem Hochgefühl von seinein Beruf ernst; fehlte ihm die unbefangene
Einfalt, so uneben er es mit den sittlichen Ansprüchen an sich selbst umso strenger,
und er hat sich während seiner mehr als dreißigjährigen Krankheit als ein
wahrer Held im Leiden erwiesen. Es verband sich mit seinem Hochgefühl
doch auch menschliche Güte, die er auch in der großen Liebe für den jungen
Nosegger bekundete, den er ununterbrochen neidlos förderte. Aber sie äußerte
sich auch in andrer Form: er hing mit rührender Treue an seinen Eltern,


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[0289] Robert Hamerling und Denker alles ans sich selbst geschöpft haben? Sie haben es verstanden, frühere Geistesarbeiten in sich zu konzentriren, ihnen die passendste und ihrer Zeit inundgerechteste Form zu geben. Ich stehe nicht an, viele Gedanken meiner besten Gedichte als von andern stammend zu bezeichnen, und glaube dadurch den Wert der Gedichte nicht zu schmälern." Dieses Gespräch beleuchtet am besten die Verschiedenheit der beiden Freunde, erklärt aber auch die Liebe, die sie zu einander hegten. Durch die Begeisterung für die Poesie, durch Gemeinsamkeit ihrer idealistischen Weltanschauung, ihres sittlichen Pathos fanden sie sich; weil aber jeder von ihnen in ganz andrer Weise künstlerisch begabt war, blieben sie sich täglich neu, interessant, einer dem andern ein unerschöpfliches Wunder, und darum bewunderten sie sich gegenseitig. Es ist durchaus stilgerecht, wenn Nosegger das reiche Lob, daS ihm der „große und hochverehrte" Freund zu erteilen pflegte, ebenso offenherzig mitteilt, wie die gelegentliche Kritik, die Hamerling an seiner Sprache übte, deren Anstriazismen besonders seinen Tadel herausforderten. Nicht Eitelkeit, über die schließlich der vielgefeierte und über seine Lobredner gelegentlich auch spottende „liebenswürdige" Volksdichter doch hinaus ist, sondern künstlerischer Sinn hat ihn da richtig geleitet, und nur für jene Philister, die auch Hamerling so gründlich haßte, hat Nosegger die gegen den Vorwurf der Eitelkeit sich verwahrende Vorrede geschrieben. Sie hätte wegbleiben können. Das Bild, daS Nosegger mit seinen Mitteilungen von mündlichen und schriftlichen Äußerungen Hamerlings, von seiner Lebensweise, von der Art seines Verkehrs u. dergl. in. in uns hinterläßt, ist reich an lichten wie an dunkeln Stellen, so liebevoll, ja zärtlich und vorsichtig auch Nosegger seineu Pinsel führen mag. Schon äußerlich machte .Hamerling den Eindruck eiues ungewöhnlichen Menschen. In seinen jüngern Jahren war er mit seinem stolz und hoch getragenen Römerkopf und den langen nach rückwärts gekämmten Haaren ein auffallend schöner Mann, in dessen Auftreten sich ein gewisses Selbstgefühl offenbarte. In der That war sich Hamerling stets seines Dichter¬ berufes bewußt, und das Gefühl eines tiefen Unterschiedes von den „Philistern" kam in seinen vertraulichen Äußerungen oft zum Durchbruch. Aber dieses Gefühl lagerte sich wie eine Art von priesterlicher Weihe über seine Erscheinung, es raubte ihr die Gemütlichkeit, die Natürlichkeit; es dauerte lauge, bis sich Nosegger in seinem Umgang heimisch fühlen konnte. Hamerling war es mit diesem Hochgefühl von seinein Beruf ernst; fehlte ihm die unbefangene Einfalt, so uneben er es mit den sittlichen Ansprüchen an sich selbst umso strenger, und er hat sich während seiner mehr als dreißigjährigen Krankheit als ein wahrer Held im Leiden erwiesen. Es verband sich mit seinem Hochgefühl doch auch menschliche Güte, die er auch in der großen Liebe für den jungen Nosegger bekundete, den er ununterbrochen neidlos förderte. Aber sie äußerte sich auch in andrer Form: er hing mit rührender Treue an seinen Eltern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/289>, abgerufen am 04.07.2024.