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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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darum seine Wirkung verfehlt. Er ist auch gar nicht im Geschmack des
Dichters selbst; denn wenn man es nicht schon früher aus seiner "Prosa"
wüßte, so muß mau es jetzt aus seiner "Atomistik des Willens" wissen, daß
Hamerling ein sehr kritischer Kopf war, der die hocherregte Stimmung seiner
Lyrik und Epik nicht in die wissenschaftliche Betrachtung herübernahm. Der
Ton, in dem die Freunde von Hamerling sprechen, erinnert vielfach an den
der Wagnerianer: sie verehren in ihm nicht bloß den Künstler, sondern auch
den Weisen, den Führer, den zündenden nationalen Sänger in den heimischen
Kämpfen ums Deutschtum. In dieser Hitze seiner Verehrer ist wohl der Grund
dafür zu suchen, daß Hamerling noch immer keine nüchtern wissenschaftliche
Würdigung gefunden hat, die er doch jedenfalls verdient, und die weit mehr
zur Erhaltung seines Andenkens beitragen würde, als sämtliche Schriften von
Kleinere und Pvlzer. Aber man scheint sich vor einer kühlern Betrachtung
Hamerlings zur Zeit noch zu scheuen, er hat auch nach seinem Tode kein
Glück mit deu Rezensenten, über die er sich Zeit seines Lebens so viel geärgert
hat. Seine Einsamkeit und sein infolge seiner außerordentlichen Empfindlichkeit
sehr sparsamer Verkehr mit gelehrten Zeitgenossen scheint auch jetzt für sein
Andenken nachteilig zu sein.

Da gewinnen die soeben erschienenen Persönlichen Erinnerungen um
Robert Hamerling von P. K. Nosegger (Wien, A. Hartleben, 1891) einen
besondern Wert. Nosegger war sein bester, intimster Freund während der
letzten fünfzehn Jahre seines Lebens. Aus einem ursprünglich schülerhaften
Verhältnis des um mehr als zwölf Jahre jüngern Volksdichters zu dem be¬
rühmten Epiker hatte sich rasch ein kollegial freundschaftlicher Verkehr ent¬
wickelt. Im Januar 1868 hatten sie sich zum erstenmale gesehen, und ein
Jahr darauf hatte Hamerling Roseggers erstes Buch "Zither und Hackbrett,"
Gedichte in der steirischen Mundart, mit einer Vorrede versehen, die dem jungen
Dichter als glänzende Empfehlung diente. Im September 1874 hatte sich
Hamerling schon von Nosegger die Anrede mit "Herr Professor" dringlichst
verbeten. Schließlich ward Nosegger ansdrücklich von ihm dazu berufen, für
sein gutes Andenken in der Welt zu sorgen. Im Frühjahre 1889, als es
mit Hamerlings Gesundheit schon sehr schlecht stand und sein langer, trauriger
Todeskampf begann, bat er Nosegger, wenn er später einmal unrichtig be¬
urteilt werden sollte, dies zu berichtigen. Und Nosegger fügt hinzu: "Soweit
es in meiner Macht steht, will ich seinen Wunsch erfüllen." Das also ist
der Zweck der "Erinnerungen."

Sie sind auch nichts weniger als eine kritische Würdigung des Dichters.
Auch Nosegger spricht nur in enthusiastischer Weise von seinem "großen
Freunde," den die Welt nicht gekannt, ja verkannt haben soll. Zwei Urteile
Roseggers über Hamerlings Selbstbiographie mögen beweisen, daß er zu einer
litterarischen Beurteilung Hamerlings auch kaum berufen ist. Von den


darum seine Wirkung verfehlt. Er ist auch gar nicht im Geschmack des
Dichters selbst; denn wenn man es nicht schon früher aus seiner „Prosa"
wüßte, so muß mau es jetzt aus seiner „Atomistik des Willens" wissen, daß
Hamerling ein sehr kritischer Kopf war, der die hocherregte Stimmung seiner
Lyrik und Epik nicht in die wissenschaftliche Betrachtung herübernahm. Der
Ton, in dem die Freunde von Hamerling sprechen, erinnert vielfach an den
der Wagnerianer: sie verehren in ihm nicht bloß den Künstler, sondern auch
den Weisen, den Führer, den zündenden nationalen Sänger in den heimischen
Kämpfen ums Deutschtum. In dieser Hitze seiner Verehrer ist wohl der Grund
dafür zu suchen, daß Hamerling noch immer keine nüchtern wissenschaftliche
Würdigung gefunden hat, die er doch jedenfalls verdient, und die weit mehr
zur Erhaltung seines Andenkens beitragen würde, als sämtliche Schriften von
Kleinere und Pvlzer. Aber man scheint sich vor einer kühlern Betrachtung
Hamerlings zur Zeit noch zu scheuen, er hat auch nach seinem Tode kein
Glück mit deu Rezensenten, über die er sich Zeit seines Lebens so viel geärgert
hat. Seine Einsamkeit und sein infolge seiner außerordentlichen Empfindlichkeit
sehr sparsamer Verkehr mit gelehrten Zeitgenossen scheint auch jetzt für sein
Andenken nachteilig zu sein.

Da gewinnen die soeben erschienenen Persönlichen Erinnerungen um
Robert Hamerling von P. K. Nosegger (Wien, A. Hartleben, 1891) einen
besondern Wert. Nosegger war sein bester, intimster Freund während der
letzten fünfzehn Jahre seines Lebens. Aus einem ursprünglich schülerhaften
Verhältnis des um mehr als zwölf Jahre jüngern Volksdichters zu dem be¬
rühmten Epiker hatte sich rasch ein kollegial freundschaftlicher Verkehr ent¬
wickelt. Im Januar 1868 hatten sie sich zum erstenmale gesehen, und ein
Jahr darauf hatte Hamerling Roseggers erstes Buch „Zither und Hackbrett,"
Gedichte in der steirischen Mundart, mit einer Vorrede versehen, die dem jungen
Dichter als glänzende Empfehlung diente. Im September 1874 hatte sich
Hamerling schon von Nosegger die Anrede mit „Herr Professor" dringlichst
verbeten. Schließlich ward Nosegger ansdrücklich von ihm dazu berufen, für
sein gutes Andenken in der Welt zu sorgen. Im Frühjahre 1889, als es
mit Hamerlings Gesundheit schon sehr schlecht stand und sein langer, trauriger
Todeskampf begann, bat er Nosegger, wenn er später einmal unrichtig be¬
urteilt werden sollte, dies zu berichtigen. Und Nosegger fügt hinzu: „Soweit
es in meiner Macht steht, will ich seinen Wunsch erfüllen." Das also ist
der Zweck der „Erinnerungen."

Sie sind auch nichts weniger als eine kritische Würdigung des Dichters.
Auch Nosegger spricht nur in enthusiastischer Weise von seinem „großen
Freunde," den die Welt nicht gekannt, ja verkannt haben soll. Zwei Urteile
Roseggers über Hamerlings Selbstbiographie mögen beweisen, daß er zu einer
litterarischen Beurteilung Hamerlings auch kaum berufen ist. Von den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/286>, abgerufen am 24.07.2024.