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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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manches davon mag wohl Verleumdung sein.) Eine gelehrte Engländerin,
Frau Darmestetter, die 1889 ein Buch unter dein Titel His lZnä ok t,ils
Niäölö ^.^of herausgegeben hat, beschäftigt sich auch mit diesen Sekten. Sie
findet, daß deren Mystizismus in dem Satze gipfele: Alles ist Gott, und Gott
ist -- nichts. Die Einteilung Tveevs wird im ganzen richtig sein, nnr sind
gewiß nicht alle, die sich Begarden nannten, solche Freigeister gewesen, auch
hat er unterlassen, hervorzuheben, daß es nicht wenige ganz harmlose
Beghincn gab.

Freilich scheint eine der beiden von ihm mitgeteilten Urkunden das
Gegenteil zu beweisen. Als Johann XXII. in Ungewißheit schwebte, wie weit
die Franziskaner in Ketzerei verfallen wären, und wie weit er seine Unter¬
drückungsmaßregeln ausdehnen sollte, da reichten italienische Bischöfe und Stadt-
vbrigleiten zahlreiche Gutachten bei ihm ein, in denen nachgewiesen wurde, daß
die in ihrem Bereich wohnenden Franziskaner mit der französischen Ketzerei
nichts zu schaffen hätten. Eins dieser Schreiben veröffentlicht nun Tvceo.
Es ist vom Potest der Stadt Massa am 23. Februar 1322 ausgefertigt.
Der Potest^ giebt den Männern und Frauen des dritten Orden des heiligen
Franziskus das Zeugnis, daß sie sich in Massa nud Umgegend eines ehrbaren
Wandels befleißigten, bei Volk und Klerus eines guten Rufes genössen und
sich in allem als gläubige und fromme katholische Christen zeigten, durch deren
exemplarisches Leben Gott geehrt und das Volk zum Eifer fürs Gute ent¬
flammt würde. Er erstatte diesen Bericht, weil er vernommen habe, daß einige
es versucht hätten, die Tertiarier beim Papste anzuschwärzen. Mit jenen
Veghinen in Narbonne, Carcassonne, Toulouse, Aragonien, die sich wider¬
rechtlich den Namen von Tertiariern beilegten, hätten die echten Tertiarier
nichts zu schaffen. Jene Beghinen nähmen keinen in ihre Sekte ans, der nicht
allem Eigentum gänzlich entsagte und betteln ginge; das treffe bei den wirk¬
lichen Tertiariern nicht zu. Aus dem Bericht geht, außer dem Wohlwollen
des Volles und der Behörden für die Tertiarier, zweierlei hervor. Erstens,
daß in Oberitalien alle Beghinen sür Ketzer gehalten wurden, zweitens, daß
die südfranzösische Sektirerei, die man durch die Albigenserkriege ausgerottet
zu habe" glaubte, hundert Jahre später unter anderm Namen wieder auflebte.
Wahrscheinlich war es nnr Widerwille gegen die Hierarchie, revolutionärer
Geist, was sich in das Gewand einer oft abgeschmackten Sektirerei hüllte; sind
doch auch in der Revolution und bis heute die Radikalsten der Pariser Radi¬
kalen ans dem Süden gekommen.

Man sieht, die Lehre Wielifs und der Husitismus waren nur neue
Namen für eine alte Sache, und die Lehre Luthers war den Bewohnern der
deutschen Alpenländer ein Sang vou gutem altem Klang; es ist nicht zu
verwundern, daß sie sozusagen im Handumdrehen protestantisch wurden.
Wird doch in einer von Haupt augeführten Quelle aus dem dreizehnten


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manches davon mag wohl Verleumdung sein.) Eine gelehrte Engländerin,
Frau Darmestetter, die 1889 ein Buch unter dein Titel His lZnä ok t,ils
Niäölö ^.^of herausgegeben hat, beschäftigt sich auch mit diesen Sekten. Sie
findet, daß deren Mystizismus in dem Satze gipfele: Alles ist Gott, und Gott
ist — nichts. Die Einteilung Tveevs wird im ganzen richtig sein, nnr sind
gewiß nicht alle, die sich Begarden nannten, solche Freigeister gewesen, auch
hat er unterlassen, hervorzuheben, daß es nicht wenige ganz harmlose
Beghincn gab.

Freilich scheint eine der beiden von ihm mitgeteilten Urkunden das
Gegenteil zu beweisen. Als Johann XXII. in Ungewißheit schwebte, wie weit
die Franziskaner in Ketzerei verfallen wären, und wie weit er seine Unter¬
drückungsmaßregeln ausdehnen sollte, da reichten italienische Bischöfe und Stadt-
vbrigleiten zahlreiche Gutachten bei ihm ein, in denen nachgewiesen wurde, daß
die in ihrem Bereich wohnenden Franziskaner mit der französischen Ketzerei
nichts zu schaffen hätten. Eins dieser Schreiben veröffentlicht nun Tvceo.
Es ist vom Potest der Stadt Massa am 23. Februar 1322 ausgefertigt.
Der Potest^ giebt den Männern und Frauen des dritten Orden des heiligen
Franziskus das Zeugnis, daß sie sich in Massa nud Umgegend eines ehrbaren
Wandels befleißigten, bei Volk und Klerus eines guten Rufes genössen und
sich in allem als gläubige und fromme katholische Christen zeigten, durch deren
exemplarisches Leben Gott geehrt und das Volk zum Eifer fürs Gute ent¬
flammt würde. Er erstatte diesen Bericht, weil er vernommen habe, daß einige
es versucht hätten, die Tertiarier beim Papste anzuschwärzen. Mit jenen
Veghinen in Narbonne, Carcassonne, Toulouse, Aragonien, die sich wider¬
rechtlich den Namen von Tertiariern beilegten, hätten die echten Tertiarier
nichts zu schaffen. Jene Beghinen nähmen keinen in ihre Sekte ans, der nicht
allem Eigentum gänzlich entsagte und betteln ginge; das treffe bei den wirk¬
lichen Tertiariern nicht zu. Aus dem Bericht geht, außer dem Wohlwollen
des Volles und der Behörden für die Tertiarier, zweierlei hervor. Erstens,
daß in Oberitalien alle Beghinen sür Ketzer gehalten wurden, zweitens, daß
die südfranzösische Sektirerei, die man durch die Albigenserkriege ausgerottet
zu habe» glaubte, hundert Jahre später unter anderm Namen wieder auflebte.
Wahrscheinlich war es nnr Widerwille gegen die Hierarchie, revolutionärer
Geist, was sich in das Gewand einer oft abgeschmackten Sektirerei hüllte; sind
doch auch in der Revolution und bis heute die Radikalsten der Pariser Radi¬
kalen ans dem Süden gekommen.

Man sieht, die Lehre Wielifs und der Husitismus waren nur neue
Namen für eine alte Sache, und die Lehre Luthers war den Bewohnern der
deutschen Alpenländer ein Sang vou gutem altem Klang; es ist nicht zu
verwundern, daß sie sozusagen im Handumdrehen protestantisch wurden.
Wird doch in einer von Haupt augeführten Quelle aus dem dreizehnten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/284>, abgerufen am 24.07.2024.