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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Allerhand Svrachdmnmheiten

Widersprüche, wunderbare Gegenströmungen bemerken. Die einen entstehen
aus dem Streben nach Kürze, dein übertriebenen Streben natürlich, die andern
ans dem Streben nach Wichtigkeit und Breite; die einen stammen daher, daß
beim Unterricht in den fremden Sprachen zu wenig die Übereinstimmung des
Deutschen, die andern daher, daß zu wenig die Abweichung des Deutschem
beachtet wird; die einen sind die Folge einer schauderhaften Abstumpfung des
Sprachgefühls, vollständigen Sprachstumpfsinnes, in andern kann sich der
logische Scharfsinn nicht genug thun; hier werden zwei Erscheinungen plötzlich
verwechselt, vermengt, zusammengeworfen, die bisher jedermann streng unter¬
schieden hatte, dort wird plötzlich etwas differenzirt ohne das geringste Be¬
dürfnis. So gewiß Klarheit und Deutlichkeit das oberste Gesetz der Sprache
ist, die Schönheit erst an zweiter Stelle in Frage kommt, so gewiß ist es doch
auch, daß das Streben nach Schürfe und Bestimmtheit des Ausdrucks zum
Nachteil der Schönheit übertrieben werden kann. Das geschieht unzweifelhaft
mit dem häßlichen, breitspurigen Kanzleiwort bezw. Und wenn nur wirklich
größere Deutlichkeit damit erreicht würde! Sollte es aber wirklich einen
Menschen geben, der es nicht verstünde, wenn man ihm sagt, ein Eckhaus
liege an der Beethoven- und Rhodestraße?") Es geschieht aber auch denn,
wenn vor lauter Logik die einfache, natürliche Wortstellung zerstört wird.
Diesen Fall will ich zunächst besprechen.

Wortstellung -- das ist auch ein trauriges Kapitel unsrer Sprachlehre.
Zu den mancherlei Dummheiten, die unsre Jungen im deutschen Unterricht lernen
müssen, und die man natürlich auch dein Ausländer wieder weismacht, der
Deutsch lernen möchte, gehört auch die, daß es im Deutschen keine bestimmten
Regeln über die Wortstellung gebe; auch da soll überall die "größte Freiheit"
herrschen. Wer unser elendes heutiges Papierdeutsch ansieht, kaun wohl auf
solche Gedanken kommen; wer aber die Ohren aufmacht und hört, wie gesprochen
wird, von Hoch und Niedrig gesprochen wird, der müßte doch wahrhaftig
einmal andrer Meinung werden.

Durch alle gebildeten Sprachen geht das Gesetz, daß die Präpositionen
(an, bei, nach, für, in, vor, mit u. s. w.) unmittelbar vor dem Worte



Auf dem bairischen Bahnhofe in Leipzig wird, ehe der Zug abgeht, in den Warte¬
sälen vom Portier abgerufen: Abfahrt in der Richtung nach Kieritzsch, Borna, Rochlitz,
Penig u.s.w. Dieses in der Richtung hat mir und andern schon oft großes Bergnügen gemacht.
Früher hieß es einfach: Abfahrt nach Kieritzsch, Borna, Rochlitz, Penig. Da mag sich nun
wohl ein großer Logiker einmal gesagt haben: der Zug geht doch nicht bloß nach diesen
Hcmptstationen, sondern auch nach deu dazwischen liegenden kleinern, die man aber doch un¬
möglich alle herzählen kann. Wer weiß: vielleicht hat sich auch einer, der uach Lobstädt
wollte und sitzen geblieben war, weil Lobstädt nicht mit abgerufen wurde, beschwert, und
die Direktion hat dann zu dem Auskunftsmittel gegriffen, statt nach rufen zu lassen: in der
Richtung uach. Nun kann sich niemand mehr beschwere". Ja ja, es geht nichts über deu
großen Logiker!
Allerhand Svrachdmnmheiten

Widersprüche, wunderbare Gegenströmungen bemerken. Die einen entstehen
aus dem Streben nach Kürze, dein übertriebenen Streben natürlich, die andern
ans dem Streben nach Wichtigkeit und Breite; die einen stammen daher, daß
beim Unterricht in den fremden Sprachen zu wenig die Übereinstimmung des
Deutschen, die andern daher, daß zu wenig die Abweichung des Deutschem
beachtet wird; die einen sind die Folge einer schauderhaften Abstumpfung des
Sprachgefühls, vollständigen Sprachstumpfsinnes, in andern kann sich der
logische Scharfsinn nicht genug thun; hier werden zwei Erscheinungen plötzlich
verwechselt, vermengt, zusammengeworfen, die bisher jedermann streng unter¬
schieden hatte, dort wird plötzlich etwas differenzirt ohne das geringste Be¬
dürfnis. So gewiß Klarheit und Deutlichkeit das oberste Gesetz der Sprache
ist, die Schönheit erst an zweiter Stelle in Frage kommt, so gewiß ist es doch
auch, daß das Streben nach Schürfe und Bestimmtheit des Ausdrucks zum
Nachteil der Schönheit übertrieben werden kann. Das geschieht unzweifelhaft
mit dem häßlichen, breitspurigen Kanzleiwort bezw. Und wenn nur wirklich
größere Deutlichkeit damit erreicht würde! Sollte es aber wirklich einen
Menschen geben, der es nicht verstünde, wenn man ihm sagt, ein Eckhaus
liege an der Beethoven- und Rhodestraße?") Es geschieht aber auch denn,
wenn vor lauter Logik die einfache, natürliche Wortstellung zerstört wird.
Diesen Fall will ich zunächst besprechen.

Wortstellung — das ist auch ein trauriges Kapitel unsrer Sprachlehre.
Zu den mancherlei Dummheiten, die unsre Jungen im deutschen Unterricht lernen
müssen, und die man natürlich auch dein Ausländer wieder weismacht, der
Deutsch lernen möchte, gehört auch die, daß es im Deutschen keine bestimmten
Regeln über die Wortstellung gebe; auch da soll überall die „größte Freiheit"
herrschen. Wer unser elendes heutiges Papierdeutsch ansieht, kaun wohl auf
solche Gedanken kommen; wer aber die Ohren aufmacht und hört, wie gesprochen
wird, von Hoch und Niedrig gesprochen wird, der müßte doch wahrhaftig
einmal andrer Meinung werden.

Durch alle gebildeten Sprachen geht das Gesetz, daß die Präpositionen
(an, bei, nach, für, in, vor, mit u. s. w.) unmittelbar vor dem Worte



Auf dem bairischen Bahnhofe in Leipzig wird, ehe der Zug abgeht, in den Warte¬
sälen vom Portier abgerufen: Abfahrt in der Richtung nach Kieritzsch, Borna, Rochlitz,
Penig u.s.w. Dieses in der Richtung hat mir und andern schon oft großes Bergnügen gemacht.
Früher hieß es einfach: Abfahrt nach Kieritzsch, Borna, Rochlitz, Penig. Da mag sich nun
wohl ein großer Logiker einmal gesagt haben: der Zug geht doch nicht bloß nach diesen
Hcmptstationen, sondern auch nach deu dazwischen liegenden kleinern, die man aber doch un¬
möglich alle herzählen kann. Wer weiß: vielleicht hat sich auch einer, der uach Lobstädt
wollte und sitzen geblieben war, weil Lobstädt nicht mit abgerufen wurde, beschwert, und
die Direktion hat dann zu dem Auskunftsmittel gegriffen, statt nach rufen zu lassen: in der
Richtung uach. Nun kann sich niemand mehr beschwere». Ja ja, es geht nichts über deu
großen Logiker!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/247>, abgerufen am 24.07.2024.