Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur neuen Faustvhilologie

nach einem Stoff für gelehrte Arbeit umsehen, die besten Stücke im Walde
schon abgeholzt finden, es ist manchmal ein wahres Elend! Hier thut sich
nnn ein neuer Urwald auf. Zum gedeihlichen Ausbau der neuen Wissenschaft
-- und das scheint in dem neuen Namen wie stillschweigend Inbegriffen --
wird es aber auch gehören, daß sich frische Geister als Fanstphilvlvgen habili-
tiren, daß also dann auch Lehrstühle für die F.nistphilologie gegründet werden,
denn die Arbeit wird bald eine ungelenke Kraft fordern. Aber die Arbeit wird
am Eude selber eine Teilung nötig machen, auch wenn wir uns ans Goethes
Faust beschränken, der doch immer der Mittelpunkt bleibt für weitauslanfende
Studien vor ihm und neben ihm -- der erste und zweite Teil sind in sich so
unterschieden, daß jeder wie ein Arbeitsfeld für sich erscheint, ähnlich in der
Bibel, der Teilung in Altes und Neues Testament, die ja in der theologischen
Wissenschaft auch längst schon gesonderte Fächer mit besondern Vertretern dar¬
stellen. Goethes Faust ist schon oft genng wie eine weltliche Bibel behandelt
worden und ist es vielen, auch ohne daß sie es wissen.

Wie dem aber anch sei, und wie es auch kommen möge -- man müßte
Wohl in das neue Jahrhundert hineinblicken können, um von den schönen
Samenkörnern etwas Rechtes gewachsen zu sehen --, wir möchten an unserm
Teil in geduldiger und gespannter Erwartung dessen, was in München zu
Tage treten wird, doch gleich etwas beitragen zu den Aufgaben und Zielen
der neuen Wissenschaft.

Es wird Kleines und Großes viel zu thun geben. Jenes z. B. im Me¬
trischen, denn wo eine Fanstphilvlogie ist, gehört sich auch eine Fanstmetrik.
Es trifft sich eigen, daß Goethes Faust mit einer schweren Frage an die deutsche
Metrik beginnt und auch mit einer schließt. Wie soll man in Fnusts Monolog
die erste Zeile betonen? es ist mir lauge eine stille Plage, und doch hört man
öffentlich nichts davon. Ist zu sprechen (ich bezeichne von den vier Hebungen
die zwei Ueberhebungen mit dem Gravis):


Hube um !^es! Philosophie -- oder
H-'che nun ach! Philosophie u. s. >v.

Soll also ach oder nun die zweite Hebung erhalten? Davon hängt die Be¬
tonung von Philosophie ab, dem man zwar im Leben den ersten Ton auf die
erste Silbe legt, aber gleich in der dritten Zeile hat Theologie den ersten Ton
auf der zweiten Silbe, als ob französische Silbenzählung waltete:


Und leider auch Theologie u. s. lo.

Es ist ein wahres künstlerisches Leidwesen, daß unser großes Hauptdichtwerk
gleich mit einem solchen Schwanken anfängt, wie es in griechischer nud latei¬
nischer Dichtung nicht möglich wäre. Ja, aber was thun, daß der neuen
Wissenschaft und der nationalen Kunstehre Genüge geschehe? Ja, Wenns etwa
mit der vierten Dimension, die vor etwa zehn Jahren auch in hohen Köpfen


Zur neuen Faustvhilologie

nach einem Stoff für gelehrte Arbeit umsehen, die besten Stücke im Walde
schon abgeholzt finden, es ist manchmal ein wahres Elend! Hier thut sich
nnn ein neuer Urwald auf. Zum gedeihlichen Ausbau der neuen Wissenschaft
— und das scheint in dem neuen Namen wie stillschweigend Inbegriffen —
wird es aber auch gehören, daß sich frische Geister als Fanstphilvlvgen habili-
tiren, daß also dann auch Lehrstühle für die F.nistphilologie gegründet werden,
denn die Arbeit wird bald eine ungelenke Kraft fordern. Aber die Arbeit wird
am Eude selber eine Teilung nötig machen, auch wenn wir uns ans Goethes
Faust beschränken, der doch immer der Mittelpunkt bleibt für weitauslanfende
Studien vor ihm und neben ihm — der erste und zweite Teil sind in sich so
unterschieden, daß jeder wie ein Arbeitsfeld für sich erscheint, ähnlich in der
Bibel, der Teilung in Altes und Neues Testament, die ja in der theologischen
Wissenschaft auch längst schon gesonderte Fächer mit besondern Vertretern dar¬
stellen. Goethes Faust ist schon oft genng wie eine weltliche Bibel behandelt
worden und ist es vielen, auch ohne daß sie es wissen.

Wie dem aber anch sei, und wie es auch kommen möge — man müßte
Wohl in das neue Jahrhundert hineinblicken können, um von den schönen
Samenkörnern etwas Rechtes gewachsen zu sehen —, wir möchten an unserm
Teil in geduldiger und gespannter Erwartung dessen, was in München zu
Tage treten wird, doch gleich etwas beitragen zu den Aufgaben und Zielen
der neuen Wissenschaft.

Es wird Kleines und Großes viel zu thun geben. Jenes z. B. im Me¬
trischen, denn wo eine Fanstphilvlogie ist, gehört sich auch eine Fanstmetrik.
Es trifft sich eigen, daß Goethes Faust mit einer schweren Frage an die deutsche
Metrik beginnt und auch mit einer schließt. Wie soll man in Fnusts Monolog
die erste Zeile betonen? es ist mir lauge eine stille Plage, und doch hört man
öffentlich nichts davon. Ist zu sprechen (ich bezeichne von den vier Hebungen
die zwei Ueberhebungen mit dem Gravis):


Hube um !^es! Philosophie — oder
H-'che nun ach! Philosophie u. s. >v.

Soll also ach oder nun die zweite Hebung erhalten? Davon hängt die Be¬
tonung von Philosophie ab, dem man zwar im Leben den ersten Ton auf die
erste Silbe legt, aber gleich in der dritten Zeile hat Theologie den ersten Ton
auf der zweiten Silbe, als ob französische Silbenzählung waltete:


Und leider auch Theologie u. s. lo.

Es ist ein wahres künstlerisches Leidwesen, daß unser großes Hauptdichtwerk
gleich mit einem solchen Schwanken anfängt, wie es in griechischer nud latei¬
nischer Dichtung nicht möglich wäre. Ja, aber was thun, daß der neuen
Wissenschaft und der nationalen Kunstehre Genüge geschehe? Ja, Wenns etwa
mit der vierten Dimension, die vor etwa zehn Jahren auch in hohen Köpfen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210110"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur neuen Faustvhilologie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_658" prev="#ID_657"> nach einem Stoff für gelehrte Arbeit umsehen, die besten Stücke im Walde<lb/>
schon abgeholzt finden, es ist manchmal ein wahres Elend! Hier thut sich<lb/>
nnn ein neuer Urwald auf. Zum gedeihlichen Ausbau der neuen Wissenschaft<lb/>
&#x2014; und das scheint in dem neuen Namen wie stillschweigend Inbegriffen &#x2014;<lb/>
wird es aber auch gehören, daß sich frische Geister als Fanstphilvlvgen habili-<lb/>
tiren, daß also dann auch Lehrstühle für die F.nistphilologie gegründet werden,<lb/>
denn die Arbeit wird bald eine ungelenke Kraft fordern. Aber die Arbeit wird<lb/>
am Eude selber eine Teilung nötig machen, auch wenn wir uns ans Goethes<lb/>
Faust beschränken, der doch immer der Mittelpunkt bleibt für weitauslanfende<lb/>
Studien vor ihm und neben ihm &#x2014; der erste und zweite Teil sind in sich so<lb/>
unterschieden, daß jeder wie ein Arbeitsfeld für sich erscheint, ähnlich in der<lb/>
Bibel, der Teilung in Altes und Neues Testament, die ja in der theologischen<lb/>
Wissenschaft auch längst schon gesonderte Fächer mit besondern Vertretern dar¬<lb/>
stellen. Goethes Faust ist schon oft genng wie eine weltliche Bibel behandelt<lb/>
worden und ist es vielen, auch ohne daß sie es wissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_659"> Wie dem aber anch sei, und wie es auch kommen möge &#x2014; man müßte<lb/>
Wohl in das neue Jahrhundert hineinblicken können, um von den schönen<lb/>
Samenkörnern etwas Rechtes gewachsen zu sehen &#x2014;, wir möchten an unserm<lb/>
Teil in geduldiger und gespannter Erwartung dessen, was in München zu<lb/>
Tage treten wird, doch gleich etwas beitragen zu den Aufgaben und Zielen<lb/>
der neuen Wissenschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_660" next="#ID_661"> Es wird Kleines und Großes viel zu thun geben. Jenes z. B. im Me¬<lb/>
trischen, denn wo eine Fanstphilvlogie ist, gehört sich auch eine Fanstmetrik.<lb/>
Es trifft sich eigen, daß Goethes Faust mit einer schweren Frage an die deutsche<lb/>
Metrik beginnt und auch mit einer schließt. Wie soll man in Fnusts Monolog<lb/>
die erste Zeile betonen? es ist mir lauge eine stille Plage, und doch hört man<lb/>
öffentlich nichts davon. Ist zu sprechen (ich bezeichne von den vier Hebungen<lb/>
die zwei Ueberhebungen mit dem Gravis):</p><lb/>
          <quote> Hube um !^es! Philosophie &#x2014; oder<lb/>
H-'che nun ach! Philosophie u. s. &gt;v.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_661" prev="#ID_660" next="#ID_662"> Soll also ach oder nun die zweite Hebung erhalten? Davon hängt die Be¬<lb/>
tonung von Philosophie ab, dem man zwar im Leben den ersten Ton auf die<lb/>
erste Silbe legt, aber gleich in der dritten Zeile hat Theologie den ersten Ton<lb/>
auf der zweiten Silbe, als ob französische Silbenzählung waltete:</p><lb/>
          <quote> Und leider auch Theologie u. s. lo.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_662" prev="#ID_661" next="#ID_663"> Es ist ein wahres künstlerisches Leidwesen, daß unser großes Hauptdichtwerk<lb/>
gleich mit einem solchen Schwanken anfängt, wie es in griechischer nud latei¬<lb/>
nischer Dichtung nicht möglich wäre. Ja, aber was thun, daß der neuen<lb/>
Wissenschaft und der nationalen Kunstehre Genüge geschehe? Ja, Wenns etwa<lb/>
mit der vierten Dimension, die vor etwa zehn Jahren auch in hohen Köpfen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] Zur neuen Faustvhilologie nach einem Stoff für gelehrte Arbeit umsehen, die besten Stücke im Walde schon abgeholzt finden, es ist manchmal ein wahres Elend! Hier thut sich nnn ein neuer Urwald auf. Zum gedeihlichen Ausbau der neuen Wissenschaft — und das scheint in dem neuen Namen wie stillschweigend Inbegriffen — wird es aber auch gehören, daß sich frische Geister als Fanstphilvlvgen habili- tiren, daß also dann auch Lehrstühle für die F.nistphilologie gegründet werden, denn die Arbeit wird bald eine ungelenke Kraft fordern. Aber die Arbeit wird am Eude selber eine Teilung nötig machen, auch wenn wir uns ans Goethes Faust beschränken, der doch immer der Mittelpunkt bleibt für weitauslanfende Studien vor ihm und neben ihm — der erste und zweite Teil sind in sich so unterschieden, daß jeder wie ein Arbeitsfeld für sich erscheint, ähnlich in der Bibel, der Teilung in Altes und Neues Testament, die ja in der theologischen Wissenschaft auch längst schon gesonderte Fächer mit besondern Vertretern dar¬ stellen. Goethes Faust ist schon oft genng wie eine weltliche Bibel behandelt worden und ist es vielen, auch ohne daß sie es wissen. Wie dem aber anch sei, und wie es auch kommen möge — man müßte Wohl in das neue Jahrhundert hineinblicken können, um von den schönen Samenkörnern etwas Rechtes gewachsen zu sehen —, wir möchten an unserm Teil in geduldiger und gespannter Erwartung dessen, was in München zu Tage treten wird, doch gleich etwas beitragen zu den Aufgaben und Zielen der neuen Wissenschaft. Es wird Kleines und Großes viel zu thun geben. Jenes z. B. im Me¬ trischen, denn wo eine Fanstphilvlogie ist, gehört sich auch eine Fanstmetrik. Es trifft sich eigen, daß Goethes Faust mit einer schweren Frage an die deutsche Metrik beginnt und auch mit einer schließt. Wie soll man in Fnusts Monolog die erste Zeile betonen? es ist mir lauge eine stille Plage, und doch hört man öffentlich nichts davon. Ist zu sprechen (ich bezeichne von den vier Hebungen die zwei Ueberhebungen mit dem Gravis): Hube um !^es! Philosophie — oder H-'che nun ach! Philosophie u. s. >v. Soll also ach oder nun die zweite Hebung erhalten? Davon hängt die Be¬ tonung von Philosophie ab, dem man zwar im Leben den ersten Ton auf die erste Silbe legt, aber gleich in der dritten Zeile hat Theologie den ersten Ton auf der zweiten Silbe, als ob französische Silbenzählung waltete: Und leider auch Theologie u. s. lo. Es ist ein wahres künstlerisches Leidwesen, daß unser großes Hauptdichtwerk gleich mit einem solchen Schwanken anfängt, wie es in griechischer nud latei¬ nischer Dichtung nicht möglich wäre. Ja, aber was thun, daß der neuen Wissenschaft und der nationalen Kunstehre Genüge geschehe? Ja, Wenns etwa mit der vierten Dimension, die vor etwa zehn Jahren auch in hohen Köpfen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/243>, abgerufen am 24.07.2024.