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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die Wirkungen der Mac Rinley-Bill in Amerika

Die Wichtigkeit Kanadas stieg vor allem aber durch die vor einigen
Jahren vollendete kanadische Pacificbahn. Diese ist, 5351 Kilometer lang und
stellt den kürzesten, bequemsten und sichersten Überlandwcg zwischen Europa,
Ostasien und Nordaustralien dar. Dem Handel Englands und Westeuropas
wird hierdurch für die erwähnten Länder ein bedeutend kürzerer Weg geboten
als durch den Suezkanal. Schon heute besteht aller vierzehn Tage eine Post¬
Verbindung zwischen England und Ostasien ans diesem Wege. Auch die
Reisenden bedienen sich ihrer gern, besonders im Sommer, weil ihr Weg
über kühle Meere führt.

Aber nicht allein für den internationalen Wettbewerb ist die Bahn von
Bedeutung, sondern anch in politischer Beziehung -- liegt sie doch ausschlie߬
lich in englischem Machtbereiche --, und gerade dies ist vor kurzem vielfach
betont wordeu. Dieser Weg mit den beideu Endpunkten Halifax und Port
Movdy (Britisch-Kolumbia) ermöglicht es der britischen Politik, bei etwaigen
kriegerischen Verwicklungen in möglichst kurzer Zeit Truppen und Kriegsgeräte
nach dem Großen Ozean zu schaffen, falls der Weg durch den Suezkanal ge¬
sperrt wäre. Der Weg von Liverpool bis Uokohama durch Kanada beträgt
nur 18 388 Kilometer, d. h. noch nicht einen halben Erdumfang. Außerdem
besitzt Neuschottland und Britisch-Kolumbia vorzügliche Steinkohlenlager, sodaß
die englische Flotte des Großen Ozeans schon jetzt ihren Bedarf aus den
Bergwerken Kolumbiens deckt. Aus dem angeführten wird zur Genüge her¬
vorgehen, wie viel für England hier in Kanada ans dem Spiele steht.

Was treibt nun die Kanadier, sich von England loszusagen? Kanada
ist ein fast ausschließlich Ackerbau und Viehzucht treibendes Land. Die In¬
dustrie steckt noch in den Kinderschuhen, und die reichen Bodenschätze an Gold,
Eisen, Kohlen und Phosphaten werden bisher in größerm Maße uur in den
östlichen Teilen (Neuschottland) ausgebeutet. Die Landwirtschaft, die ja zum
Teil noch ganz jungfräulichen Boden bebaut, verspricht sich nun einen viel
bessern Absatz in den ungleich näher liegenden, bequem zu erreichenden, dicht
bevölkerten, industriereichen Gegenden des nordamerikanischen Ostens und zwar
umso mehr, da der nordamerikanische Boden infolge des Raubbaues schon
müde geworden ist. In der That scheint es auch den Kanadiern gelungen
zu sein, ihren Erzeugnissen in Nordamerika Eingang zu verschaffen. Wenig¬
stens ist die Einfuhr an Getreide nach England außerordentlich zurückgegangen.
So führte Kanada nach England ein: 1886 bis 1887 7 238 223 Hektoliter
Weizen und 900452 Hektoliter Mehl; 1887 bis 1888 aber nur 1576907 Hekto¬
liter Weizen und 773 975 Hektoliter Mehl.

Außerdem ist die Verbindung mit England außerordentlich erschwert dnrch
den frühzeitig eintretende!? und harten Winter. Von Ende November bis
Ende April friert der Lorenzo zu, ein Verkehr ist also volle fünf Monate
lang unmöglich. Der kanadische Handelsmittelpnnkt Montreal ist von da an


Die Wirkungen der Mac Rinley-Bill in Amerika

Die Wichtigkeit Kanadas stieg vor allem aber durch die vor einigen
Jahren vollendete kanadische Pacificbahn. Diese ist, 5351 Kilometer lang und
stellt den kürzesten, bequemsten und sichersten Überlandwcg zwischen Europa,
Ostasien und Nordaustralien dar. Dem Handel Englands und Westeuropas
wird hierdurch für die erwähnten Länder ein bedeutend kürzerer Weg geboten
als durch den Suezkanal. Schon heute besteht aller vierzehn Tage eine Post¬
Verbindung zwischen England und Ostasien ans diesem Wege. Auch die
Reisenden bedienen sich ihrer gern, besonders im Sommer, weil ihr Weg
über kühle Meere führt.

Aber nicht allein für den internationalen Wettbewerb ist die Bahn von
Bedeutung, sondern anch in politischer Beziehung — liegt sie doch ausschlie߬
lich in englischem Machtbereiche —, und gerade dies ist vor kurzem vielfach
betont wordeu. Dieser Weg mit den beideu Endpunkten Halifax und Port
Movdy (Britisch-Kolumbia) ermöglicht es der britischen Politik, bei etwaigen
kriegerischen Verwicklungen in möglichst kurzer Zeit Truppen und Kriegsgeräte
nach dem Großen Ozean zu schaffen, falls der Weg durch den Suezkanal ge¬
sperrt wäre. Der Weg von Liverpool bis Uokohama durch Kanada beträgt
nur 18 388 Kilometer, d. h. noch nicht einen halben Erdumfang. Außerdem
besitzt Neuschottland und Britisch-Kolumbia vorzügliche Steinkohlenlager, sodaß
die englische Flotte des Großen Ozeans schon jetzt ihren Bedarf aus den
Bergwerken Kolumbiens deckt. Aus dem angeführten wird zur Genüge her¬
vorgehen, wie viel für England hier in Kanada ans dem Spiele steht.

Was treibt nun die Kanadier, sich von England loszusagen? Kanada
ist ein fast ausschließlich Ackerbau und Viehzucht treibendes Land. Die In¬
dustrie steckt noch in den Kinderschuhen, und die reichen Bodenschätze an Gold,
Eisen, Kohlen und Phosphaten werden bisher in größerm Maße uur in den
östlichen Teilen (Neuschottland) ausgebeutet. Die Landwirtschaft, die ja zum
Teil noch ganz jungfräulichen Boden bebaut, verspricht sich nun einen viel
bessern Absatz in den ungleich näher liegenden, bequem zu erreichenden, dicht
bevölkerten, industriereichen Gegenden des nordamerikanischen Ostens und zwar
umso mehr, da der nordamerikanische Boden infolge des Raubbaues schon
müde geworden ist. In der That scheint es auch den Kanadiern gelungen
zu sein, ihren Erzeugnissen in Nordamerika Eingang zu verschaffen. Wenig¬
stens ist die Einfuhr an Getreide nach England außerordentlich zurückgegangen.
So führte Kanada nach England ein: 1886 bis 1887 7 238 223 Hektoliter
Weizen und 900452 Hektoliter Mehl; 1887 bis 1888 aber nur 1576907 Hekto¬
liter Weizen und 773 975 Hektoliter Mehl.

Außerdem ist die Verbindung mit England außerordentlich erschwert dnrch
den frühzeitig eintretende!? und harten Winter. Von Ende November bis
Ende April friert der Lorenzo zu, ein Verkehr ist also volle fünf Monate
lang unmöglich. Der kanadische Handelsmittelpnnkt Montreal ist von da an


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[0219] Die Wirkungen der Mac Rinley-Bill in Amerika Die Wichtigkeit Kanadas stieg vor allem aber durch die vor einigen Jahren vollendete kanadische Pacificbahn. Diese ist, 5351 Kilometer lang und stellt den kürzesten, bequemsten und sichersten Überlandwcg zwischen Europa, Ostasien und Nordaustralien dar. Dem Handel Englands und Westeuropas wird hierdurch für die erwähnten Länder ein bedeutend kürzerer Weg geboten als durch den Suezkanal. Schon heute besteht aller vierzehn Tage eine Post¬ Verbindung zwischen England und Ostasien ans diesem Wege. Auch die Reisenden bedienen sich ihrer gern, besonders im Sommer, weil ihr Weg über kühle Meere führt. Aber nicht allein für den internationalen Wettbewerb ist die Bahn von Bedeutung, sondern anch in politischer Beziehung — liegt sie doch ausschlie߬ lich in englischem Machtbereiche —, und gerade dies ist vor kurzem vielfach betont wordeu. Dieser Weg mit den beideu Endpunkten Halifax und Port Movdy (Britisch-Kolumbia) ermöglicht es der britischen Politik, bei etwaigen kriegerischen Verwicklungen in möglichst kurzer Zeit Truppen und Kriegsgeräte nach dem Großen Ozean zu schaffen, falls der Weg durch den Suezkanal ge¬ sperrt wäre. Der Weg von Liverpool bis Uokohama durch Kanada beträgt nur 18 388 Kilometer, d. h. noch nicht einen halben Erdumfang. Außerdem besitzt Neuschottland und Britisch-Kolumbia vorzügliche Steinkohlenlager, sodaß die englische Flotte des Großen Ozeans schon jetzt ihren Bedarf aus den Bergwerken Kolumbiens deckt. Aus dem angeführten wird zur Genüge her¬ vorgehen, wie viel für England hier in Kanada ans dem Spiele steht. Was treibt nun die Kanadier, sich von England loszusagen? Kanada ist ein fast ausschließlich Ackerbau und Viehzucht treibendes Land. Die In¬ dustrie steckt noch in den Kinderschuhen, und die reichen Bodenschätze an Gold, Eisen, Kohlen und Phosphaten werden bisher in größerm Maße uur in den östlichen Teilen (Neuschottland) ausgebeutet. Die Landwirtschaft, die ja zum Teil noch ganz jungfräulichen Boden bebaut, verspricht sich nun einen viel bessern Absatz in den ungleich näher liegenden, bequem zu erreichenden, dicht bevölkerten, industriereichen Gegenden des nordamerikanischen Ostens und zwar umso mehr, da der nordamerikanische Boden infolge des Raubbaues schon müde geworden ist. In der That scheint es auch den Kanadiern gelungen zu sein, ihren Erzeugnissen in Nordamerika Eingang zu verschaffen. Wenig¬ stens ist die Einfuhr an Getreide nach England außerordentlich zurückgegangen. So führte Kanada nach England ein: 1886 bis 1887 7 238 223 Hektoliter Weizen und 900452 Hektoliter Mehl; 1887 bis 1888 aber nur 1576907 Hekto¬ liter Weizen und 773 975 Hektoliter Mehl. Außerdem ist die Verbindung mit England außerordentlich erschwert dnrch den frühzeitig eintretende!? und harten Winter. Von Ende November bis Ende April friert der Lorenzo zu, ein Verkehr ist also volle fünf Monate lang unmöglich. Der kanadische Handelsmittelpnnkt Montreal ist von da an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/219>, abgerufen am 24.07.2024.