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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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es nicht betrachtet werden. Erst dadurch, daß die L'Hombrekarte in zierlichen
Frauenhänden allgemeines Ansehen erlangte und sich lange Zeit hindurch be¬
wahrte, erhält das Spiel sür das gesellige Leben der Rokokvwelt seinen Zauber.
Seine Kenntnis wird bald zu den unerläßlichen Forderungen weiblicher ga¬
lanter Bildung in deu tonangebenden Kreisen des Adels und des Bürgertums
gerechnet. Daß unter diesen meist frühzeitig betriebenen L'Hombrestudien die
Ausbildung häuslicher Tugend vielfach zu kurz kam, ist eine oft wiederkehrende
Klage. "An die Kunst, hauszuhalten -- heißt es einmal bei Gottsched -- war
ohnedem bei solchen Kindern nicht zu denken, die bei einer Tasse Kaffee, einem
Spiegel und der Lomberkarte erzogen waren." Die durch die Kunst des
L'Hvmbre erst in den Vollbesitz modischer Bildung gelangten Dämchen glaubten
mit Geringschätzung auf alle die hinabblicken zu können, die in einem ihrer
Auffassung nach simpel,? Tagewerk ohne galantes Spiel ein glänz- und reiz¬
loses Dasein führten. Wie rümpfte man das Näschen über die vom Schimmer
der Galanterie nicht verklärten einfachen schlesischen Mädchen. Man hielt sich
über ihren Gesang auf, man spottete über ihren Mangel an Grazie beim
Tanzen, mau lachte darüber, daß sie feuerrot würden, "wenn sie ein Mäulgen
gäben," das vernichtendste Urteil glaubte man aber über sie zu sprechen, wenn
man ihnen vorwarf:


Sie würden Lilns xroLI) das l.'vadi'L-Tischgen drückn".

Ihr Landsmann Stoppe nahm sich der Verlästerten ritterlich an. Zur Frende
gewiß mancher tüchtigen Mutter rief er den dünkelhaften Zierpttppchen zu:


O lernt ein Mcidgen erst genane Wirthschaft treiben,
So läßt sie von sich selbst die eitlen Possen bleiben.
Denn Wirthschaft überwogt Zussoi und 1,'omdro-Spiel,
Wenn man auf einen Satz auch zehnmal Lolo machte.

Doch durch solche banausische Bedenken ließen sich höherstrebeude Geister
uicht schrecken. Die L'Hombreknrten erwiesen sich bei den geselligen Zusammen¬
künften der Frauen schnell als unentbehrlich. Daß muntere Reden die Arbeit
begleiteten, versteht sich von selbst. Gerade in der Zeit, wo der Trank der
Levante als neues Kulturelement seine erregende und gesclligende Macht auf
Männer und Frauen ausübte, erhielten diese traulichen Zusammenkünfte er¬
höhten Reiz. Wie sich bei den Männern "Knaster, Pfeifen und Fidibus" gern
zum Mokka gesellen, fo erscheint bei den Frauen die Verbindung der Kaffee¬
kanne und der L'Hombrekarte als ganz natürlich. Die in Amarcmthes Frauen¬
zimmerlexikon (1715) aufgestellte Definition des Kaffeekränzchens hebt diese
beiden Seiten scharf hervor: "Eine tägliche oder wöchentliche Zusammenkunft
und Versammlung einiger vertrauter Frauenzimmer, welche nach der Reihe
herumgeht, worbeh sie sich mit Oall'ö trinken und I/ombro-Spiel alvei'tirsn
und ergötzen."


Grenzboten 11 1891 20

es nicht betrachtet werden. Erst dadurch, daß die L'Hombrekarte in zierlichen
Frauenhänden allgemeines Ansehen erlangte und sich lange Zeit hindurch be¬
wahrte, erhält das Spiel sür das gesellige Leben der Rokokvwelt seinen Zauber.
Seine Kenntnis wird bald zu den unerläßlichen Forderungen weiblicher ga¬
lanter Bildung in deu tonangebenden Kreisen des Adels und des Bürgertums
gerechnet. Daß unter diesen meist frühzeitig betriebenen L'Hombrestudien die
Ausbildung häuslicher Tugend vielfach zu kurz kam, ist eine oft wiederkehrende
Klage. „An die Kunst, hauszuhalten — heißt es einmal bei Gottsched — war
ohnedem bei solchen Kindern nicht zu denken, die bei einer Tasse Kaffee, einem
Spiegel und der Lomberkarte erzogen waren." Die durch die Kunst des
L'Hvmbre erst in den Vollbesitz modischer Bildung gelangten Dämchen glaubten
mit Geringschätzung auf alle die hinabblicken zu können, die in einem ihrer
Auffassung nach simpel,? Tagewerk ohne galantes Spiel ein glänz- und reiz¬
loses Dasein führten. Wie rümpfte man das Näschen über die vom Schimmer
der Galanterie nicht verklärten einfachen schlesischen Mädchen. Man hielt sich
über ihren Gesang auf, man spottete über ihren Mangel an Grazie beim
Tanzen, mau lachte darüber, daß sie feuerrot würden, „wenn sie ein Mäulgen
gäben," das vernichtendste Urteil glaubte man aber über sie zu sprechen, wenn
man ihnen vorwarf:


Sie würden Lilns xroLI) das l.'vadi'L-Tischgen drückn«.

Ihr Landsmann Stoppe nahm sich der Verlästerten ritterlich an. Zur Frende
gewiß mancher tüchtigen Mutter rief er den dünkelhaften Zierpttppchen zu:


O lernt ein Mcidgen erst genane Wirthschaft treiben,
So läßt sie von sich selbst die eitlen Possen bleiben.
Denn Wirthschaft überwogt Zussoi und 1,'omdro-Spiel,
Wenn man auf einen Satz auch zehnmal Lolo machte.

Doch durch solche banausische Bedenken ließen sich höherstrebeude Geister
uicht schrecken. Die L'Hombreknrten erwiesen sich bei den geselligen Zusammen¬
künften der Frauen schnell als unentbehrlich. Daß muntere Reden die Arbeit
begleiteten, versteht sich von selbst. Gerade in der Zeit, wo der Trank der
Levante als neues Kulturelement seine erregende und gesclligende Macht auf
Männer und Frauen ausübte, erhielten diese traulichen Zusammenkünfte er¬
höhten Reiz. Wie sich bei den Männern „Knaster, Pfeifen und Fidibus" gern
zum Mokka gesellen, fo erscheint bei den Frauen die Verbindung der Kaffee¬
kanne und der L'Hombrekarte als ganz natürlich. Die in Amarcmthes Frauen¬
zimmerlexikon (1715) aufgestellte Definition des Kaffeekränzchens hebt diese
beiden Seiten scharf hervor: „Eine tägliche oder wöchentliche Zusammenkunft
und Versammlung einiger vertrauter Frauenzimmer, welche nach der Reihe
herumgeht, worbeh sie sich mit Oall'ö trinken und I/ombro-Spiel alvei'tirsn
und ergötzen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/205>, abgerufen am 24.07.2024.