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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rokokostudien

die Form eines Schreibens trägt, das an eine nach Kenntnis des Spiels
gelustige Dame gerichtet ist. Die Neigung der Frauen also, die diesem Spiele
den höchsten Glanz verleihen sollte, findet gleich beim Beginne der Litteratur
ihren Ausdruck.

Es empfiehlt sich ans dieser Lehrschrift das hervorzuheben, was zum Ver¬
ständnis litterarischer Schöpfungen nötig ist, die bei ihren Lesern die Kenntnis
des Spieles zur Voraussetzung hatten. (Man denke an Popes lire, Uaxe, ok
tlnz I.voie und an Zachariaes komische Heldengedichte.) Die Karte, mit der
gespielt wird, ist die französische. Durch Weglegen der Achten, Neunen und
Zehner werden ihre zweiundfünfzig Blätter auf vierzig vermindert. Die Zahl
der Spieler ist drei, jeder erhält neun Karten. Wer nicht Kato (Laus xriznärv)
spielen will, kann von seinen Karten nach Belieben weglegen und von den
übrig gebliebenen dreizehn sich andre nehmen. Die Namen der drei höchsten
Triimpfe, die am häufigsten erwähnt werden, sind L8xg.äMtZ (Spadille),
NimiUs und Lüsta.. Der erste und der dritte Matador sind fest bestimmt:
üsMillo ist das Aß in I'iqno, Last" das Aß in 'I'röUö. Die Nanlllö wechselt
nach der Farbe des Spiels: es ist die Zwei in varrölm und voeur, die Sieben
in und 'Iröklö. Der Spieler führt den Namen L'Hvmbre. Er muß,
um sein Spiel zu gewinnen, fünf Stiche machen, nur vier, wenn es ihm ge¬
lingt, die Stiche seiner Gegner so zu teilen, daß der eine drei, der andre zwei
erhält. Im Laufe der Zeit versuchen sich erfinderische Geister in Neugestal¬
tungen des Spieles; die Znhl der Teilnehmer wird vermehrt, man spielt zu
Vieren (Himärills), auch zu Fünfen (vincMIs).

Die Spielweise am Hofe Ludwigs XIV. konnte die spanische Herkunft des
Spieles nicht verleugnen. Es trägt hier noch den Charakter steifer Grandezza.
Der Verfasser des lioM ^on as I/Hourdrö hebt besonders hervor: II.7 a.
as" Max on l'on lmäinö vt <zuo1qu"z lois as bonus gr^os, mais it s'en kaut
bien Mräsr ^ Il'Uomdrö ot ig. Aravikv ^ sisä disn. Gerade diese Gravität,
die die Grazien des Scherzes und der heitern Unterhaltung von dem Spieltische
verscheuchte, stimmte zu der Steifheit und Langenweile, die besonders in der
letzten Zeit des Loloil wie ein Alp auf der Gesellschaft des französischen
Hofes lastete. "Ein spil, wobey man lachen und reden kan, würde dir sehr
veracht werden" berichtet die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans in die
Heimat. Das Pfülzer Naturkind konnte sich in dem öden Glänze von Ver¬
sailles nie recht eingewöhnen. Für ihr lebhaftes Unterhaltungsbedürfnis fand
sie unter den Menschen des Hofes, deren Muße sich zwischen Theater und
endlosem Spiele teilte, keine verwandte Seele. Das Spiel zog sie wenig an.
Sie beschränkte sich auf die Rolle der Zuschauerin. Dabei erregte sie noch
Anstoß bei NoirZisur, ihrem grilligen Gemahl, der nach echtem Spieleraber¬
glauben Unglück fürchtete, wenn sie bei ihm stand. In ihrer Vereinsamung
fühlt sie Trost in dem Verkehr mit den Lieben ihrer Heimat. Ihnen schüttet


Rokokostudien

die Form eines Schreibens trägt, das an eine nach Kenntnis des Spiels
gelustige Dame gerichtet ist. Die Neigung der Frauen also, die diesem Spiele
den höchsten Glanz verleihen sollte, findet gleich beim Beginne der Litteratur
ihren Ausdruck.

Es empfiehlt sich ans dieser Lehrschrift das hervorzuheben, was zum Ver¬
ständnis litterarischer Schöpfungen nötig ist, die bei ihren Lesern die Kenntnis
des Spieles zur Voraussetzung hatten. (Man denke an Popes lire, Uaxe, ok
tlnz I.voie und an Zachariaes komische Heldengedichte.) Die Karte, mit der
gespielt wird, ist die französische. Durch Weglegen der Achten, Neunen und
Zehner werden ihre zweiundfünfzig Blätter auf vierzig vermindert. Die Zahl
der Spieler ist drei, jeder erhält neun Karten. Wer nicht Kato (Laus xriznärv)
spielen will, kann von seinen Karten nach Belieben weglegen und von den
übrig gebliebenen dreizehn sich andre nehmen. Die Namen der drei höchsten
Triimpfe, die am häufigsten erwähnt werden, sind L8xg.äMtZ (Spadille),
NimiUs und Lüsta.. Der erste und der dritte Matador sind fest bestimmt:
üsMillo ist das Aß in I'iqno, Last« das Aß in 'I'röUö. Die Nanlllö wechselt
nach der Farbe des Spiels: es ist die Zwei in varrölm und voeur, die Sieben
in und 'Iröklö. Der Spieler führt den Namen L'Hvmbre. Er muß,
um sein Spiel zu gewinnen, fünf Stiche machen, nur vier, wenn es ihm ge¬
lingt, die Stiche seiner Gegner so zu teilen, daß der eine drei, der andre zwei
erhält. Im Laufe der Zeit versuchen sich erfinderische Geister in Neugestal¬
tungen des Spieles; die Znhl der Teilnehmer wird vermehrt, man spielt zu
Vieren (Himärills), auch zu Fünfen (vincMIs).

Die Spielweise am Hofe Ludwigs XIV. konnte die spanische Herkunft des
Spieles nicht verleugnen. Es trägt hier noch den Charakter steifer Grandezza.
Der Verfasser des lioM ^on as I/Hourdrö hebt besonders hervor: II.7 a.
as« Max on l'on lmäinö vt <zuo1qu«z lois as bonus gr^os, mais it s'en kaut
bien Mräsr ^ Il'Uomdrö ot ig. Aravikv ^ sisä disn. Gerade diese Gravität,
die die Grazien des Scherzes und der heitern Unterhaltung von dem Spieltische
verscheuchte, stimmte zu der Steifheit und Langenweile, die besonders in der
letzten Zeit des Loloil wie ein Alp auf der Gesellschaft des französischen
Hofes lastete. „Ein spil, wobey man lachen und reden kan, würde dir sehr
veracht werden" berichtet die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans in die
Heimat. Das Pfülzer Naturkind konnte sich in dem öden Glänze von Ver¬
sailles nie recht eingewöhnen. Für ihr lebhaftes Unterhaltungsbedürfnis fand
sie unter den Menschen des Hofes, deren Muße sich zwischen Theater und
endlosem Spiele teilte, keine verwandte Seele. Das Spiel zog sie wenig an.
Sie beschränkte sich auf die Rolle der Zuschauerin. Dabei erregte sie noch
Anstoß bei NoirZisur, ihrem grilligen Gemahl, der nach echtem Spieleraber¬
glauben Unglück fürchtete, wenn sie bei ihm stand. In ihrer Vereinsamung
fühlt sie Trost in dem Verkehr mit den Lieben ihrer Heimat. Ihnen schüttet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/203>, abgerufen am 04.07.2024.