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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Marineetat im Reichstage

Im Jahre 1894 wird Frankreich eine Kriegsflotte von 40 Panzerschlacht¬
schiffen, 63 geschützten und ungeschützte" Kreuzern, 48 Kanonenbooten und
144 Torpedobooten haben. Es liegt also alle Veranlassung zu der Annahme
vor, daß sofort mit der Kriegserklärung auch die französischen Kreuzer an
unsern Küsten erscheinen, die Schlachtflvtte mit einem Laudungskorps ihnen
unmittelbar folgen würde.

In einem künftigen Kriege würden wir ferner, aller Voraussicht "ach, uicht
allein mit Frankreich und seiner atlantischen Flotte, sondern zugleich auch mit
Nußland und seiner Ostseeflotte zu rechnen haben. Die Stärke der erstern bleibt
sich nicht gleich, doch beträgt sie für gewöhnlich etwa die Hälfte der Gesamt¬
stärke, was jedoch nicht ausschließt, daß im Kriegsfalle Veränderungen eintreten
können und, dem Operationsplane entsprechend, entweder die Mittelmeer- oder
die atlantische Flotte verstärkt wird. Welche Anstrengungen Nußland macht,
um seine Marine, speziell seiue Ostseeflotte zu heben, beweisen die enormen
Summen, die es auf Neubau von Schiffen und die Anlage des neuen
Kriegshafens in Libau verwendet. Seine Ostseeflotte, die noch vor wenigen
Jahren, ehe man in Deutschland den Neubau von Panzerschiffen entstellte,
der deutscheu Flotte uicht gewachsen war, hat diese gegenwärtig überholt.
Einschließlich der im Bau befindlichen Fahrzeuge zählt sie zur Zeit an Panzer-
schiffen achtzehn Schlachtschiffe und vierzehn Schiffe für die Kttftenverteidigung,
sowie neunzehn Kreuzer und zehn Kanonenboote. Von diesen ist die Mehrzahl
der Panzer für die Küsteuverteidigung und der Kreuzer allerdings veraltet.
Die Torpedoflotte besteht aus dreiundzwanzig Fahrzeugen und einer größern
Zahl gänzlich veralteter Boote. In dem Kriegshafen bei Libau ersteht, sobald
sein Bau beendigt sein wird, dem östlichen Teile der deutschen Ostseeküste eine
neue Gefahr. Durch seiue flankirende Lage in nächster Nähe der deutscheu
Grenze bedroht er namentlich die Häfen und den Verkehr dieses Teiles unsrer
Küste, wird überdies früher eisfrei als der Hafen von Kronstäbe.

Den unter Umständen gemeinsam operirendeu Flotten Rußlands und
Frankreichs hat Deutschland unter der Voraussetzung, daß alle im vorigen Jahre
bewilligten Bauten vollendet werden, im Jahre 1894 nur sechzehn Panzer¬
schiffe und achtzehn Panzer der Küstenverteidigung, dreißig Kreuzer, elf
Kanonenboote und 122 Torpedoboote von mehr als fünfzig Tonnen Deplacement
entgegenzustellen. Von diesen Fahrzeugen sind überdies viele bereits veraltet.

Wir haben schon erwähnt, welche nachteiligen Folgen für uns die Unter¬
brechung des Baues von Schlachtschiffen in den Jahren 1881 bis 1887 gehabt
hat. Bestimmend waren damals dieselben Rücksichten, die in Frankreich zu einer
Einschränkung des Baues von Panzerschiffen geführt haben. Ob sich hierbei nicht
auch die damals wiederholt sehr drohende politische Lage geltend gemacht hat,
lassen wir dahingestellt. Diese machte es nötig, zunächst noch einen großen
Teil der verfügbaren Mittel auf die Landarmee zu verwenden. Überdies


Der Marineetat im Reichstage

Im Jahre 1894 wird Frankreich eine Kriegsflotte von 40 Panzerschlacht¬
schiffen, 63 geschützten und ungeschützte» Kreuzern, 48 Kanonenbooten und
144 Torpedobooten haben. Es liegt also alle Veranlassung zu der Annahme
vor, daß sofort mit der Kriegserklärung auch die französischen Kreuzer an
unsern Küsten erscheinen, die Schlachtflvtte mit einem Laudungskorps ihnen
unmittelbar folgen würde.

In einem künftigen Kriege würden wir ferner, aller Voraussicht «ach, uicht
allein mit Frankreich und seiner atlantischen Flotte, sondern zugleich auch mit
Nußland und seiner Ostseeflotte zu rechnen haben. Die Stärke der erstern bleibt
sich nicht gleich, doch beträgt sie für gewöhnlich etwa die Hälfte der Gesamt¬
stärke, was jedoch nicht ausschließt, daß im Kriegsfalle Veränderungen eintreten
können und, dem Operationsplane entsprechend, entweder die Mittelmeer- oder
die atlantische Flotte verstärkt wird. Welche Anstrengungen Nußland macht,
um seine Marine, speziell seiue Ostseeflotte zu heben, beweisen die enormen
Summen, die es auf Neubau von Schiffen und die Anlage des neuen
Kriegshafens in Libau verwendet. Seine Ostseeflotte, die noch vor wenigen
Jahren, ehe man in Deutschland den Neubau von Panzerschiffen entstellte,
der deutscheu Flotte uicht gewachsen war, hat diese gegenwärtig überholt.
Einschließlich der im Bau befindlichen Fahrzeuge zählt sie zur Zeit an Panzer-
schiffen achtzehn Schlachtschiffe und vierzehn Schiffe für die Kttftenverteidigung,
sowie neunzehn Kreuzer und zehn Kanonenboote. Von diesen ist die Mehrzahl
der Panzer für die Küsteuverteidigung und der Kreuzer allerdings veraltet.
Die Torpedoflotte besteht aus dreiundzwanzig Fahrzeugen und einer größern
Zahl gänzlich veralteter Boote. In dem Kriegshafen bei Libau ersteht, sobald
sein Bau beendigt sein wird, dem östlichen Teile der deutschen Ostseeküste eine
neue Gefahr. Durch seiue flankirende Lage in nächster Nähe der deutscheu
Grenze bedroht er namentlich die Häfen und den Verkehr dieses Teiles unsrer
Küste, wird überdies früher eisfrei als der Hafen von Kronstäbe.

Den unter Umständen gemeinsam operirendeu Flotten Rußlands und
Frankreichs hat Deutschland unter der Voraussetzung, daß alle im vorigen Jahre
bewilligten Bauten vollendet werden, im Jahre 1894 nur sechzehn Panzer¬
schiffe und achtzehn Panzer der Küstenverteidigung, dreißig Kreuzer, elf
Kanonenboote und 122 Torpedoboote von mehr als fünfzig Tonnen Deplacement
entgegenzustellen. Von diesen Fahrzeugen sind überdies viele bereits veraltet.

Wir haben schon erwähnt, welche nachteiligen Folgen für uns die Unter¬
brechung des Baues von Schlachtschiffen in den Jahren 1881 bis 1887 gehabt
hat. Bestimmend waren damals dieselben Rücksichten, die in Frankreich zu einer
Einschränkung des Baues von Panzerschiffen geführt haben. Ob sich hierbei nicht
auch die damals wiederholt sehr drohende politische Lage geltend gemacht hat,
lassen wir dahingestellt. Diese machte es nötig, zunächst noch einen großen
Teil der verfügbaren Mittel auf die Landarmee zu verwenden. Überdies


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[0168] Der Marineetat im Reichstage Im Jahre 1894 wird Frankreich eine Kriegsflotte von 40 Panzerschlacht¬ schiffen, 63 geschützten und ungeschützte» Kreuzern, 48 Kanonenbooten und 144 Torpedobooten haben. Es liegt also alle Veranlassung zu der Annahme vor, daß sofort mit der Kriegserklärung auch die französischen Kreuzer an unsern Küsten erscheinen, die Schlachtflvtte mit einem Laudungskorps ihnen unmittelbar folgen würde. In einem künftigen Kriege würden wir ferner, aller Voraussicht «ach, uicht allein mit Frankreich und seiner atlantischen Flotte, sondern zugleich auch mit Nußland und seiner Ostseeflotte zu rechnen haben. Die Stärke der erstern bleibt sich nicht gleich, doch beträgt sie für gewöhnlich etwa die Hälfte der Gesamt¬ stärke, was jedoch nicht ausschließt, daß im Kriegsfalle Veränderungen eintreten können und, dem Operationsplane entsprechend, entweder die Mittelmeer- oder die atlantische Flotte verstärkt wird. Welche Anstrengungen Nußland macht, um seine Marine, speziell seiue Ostseeflotte zu heben, beweisen die enormen Summen, die es auf Neubau von Schiffen und die Anlage des neuen Kriegshafens in Libau verwendet. Seine Ostseeflotte, die noch vor wenigen Jahren, ehe man in Deutschland den Neubau von Panzerschiffen entstellte, der deutscheu Flotte uicht gewachsen war, hat diese gegenwärtig überholt. Einschließlich der im Bau befindlichen Fahrzeuge zählt sie zur Zeit an Panzer- schiffen achtzehn Schlachtschiffe und vierzehn Schiffe für die Kttftenverteidigung, sowie neunzehn Kreuzer und zehn Kanonenboote. Von diesen ist die Mehrzahl der Panzer für die Küsteuverteidigung und der Kreuzer allerdings veraltet. Die Torpedoflotte besteht aus dreiundzwanzig Fahrzeugen und einer größern Zahl gänzlich veralteter Boote. In dem Kriegshafen bei Libau ersteht, sobald sein Bau beendigt sein wird, dem östlichen Teile der deutschen Ostseeküste eine neue Gefahr. Durch seiue flankirende Lage in nächster Nähe der deutscheu Grenze bedroht er namentlich die Häfen und den Verkehr dieses Teiles unsrer Küste, wird überdies früher eisfrei als der Hafen von Kronstäbe. Den unter Umständen gemeinsam operirendeu Flotten Rußlands und Frankreichs hat Deutschland unter der Voraussetzung, daß alle im vorigen Jahre bewilligten Bauten vollendet werden, im Jahre 1894 nur sechzehn Panzer¬ schiffe und achtzehn Panzer der Küstenverteidigung, dreißig Kreuzer, elf Kanonenboote und 122 Torpedoboote von mehr als fünfzig Tonnen Deplacement entgegenzustellen. Von diesen Fahrzeugen sind überdies viele bereits veraltet. Wir haben schon erwähnt, welche nachteiligen Folgen für uns die Unter¬ brechung des Baues von Schlachtschiffen in den Jahren 1881 bis 1887 gehabt hat. Bestimmend waren damals dieselben Rücksichten, die in Frankreich zu einer Einschränkung des Baues von Panzerschiffen geführt haben. Ob sich hierbei nicht auch die damals wiederholt sehr drohende politische Lage geltend gemacht hat, lassen wir dahingestellt. Diese machte es nötig, zunächst noch einen großen Teil der verfügbaren Mittel auf die Landarmee zu verwenden. Überdies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/168>, abgerufen am 24.07.2024.