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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Wilhelm Raabe

eines aristokratischen Menschen, der mit all seiner vielgeprüften Lebenserfahrung
und mit all seiner reichen Bildung, in jeder Zeile er selbst, auf den Markt
tritt. Sie verlangt Hingebung, genaueste Aufmerksamkeit, Kvnzentrirung des
Lesers. Mit den Dingen zu spielen, ernst zu spielen, verstehen nur wenige,
die ebeu nicht "Philister" sein dürfen.

In kurzer Zeit sind nach einander von Raabe wieder drei Bücher er¬
schienen, zwei ältere in neuen Auflagen, nämlich Abu Telfan oder Die
Heimkehr vom Mondgebirge, ein Roman aus dem Jahre 1867, in dritter,
durchgesehener Auflage, sodann "die internationale Liebesgeschichte": Christoph
Pensum aus dem Jahre 1872 in zweiter Auflage, und endlich ganz neu:
Stvpfkuchen, eine See- und Mordgeschichte (sämtlich im Verlage von Otto
Zanke, Berlin, 1890 bis 1891). Aus der Lektüre dieser drei Bücher haben
wir unsre Charakteristik des Dichters gewonnen.

Es ist bezeichnend für den Romantiker Raabe, daß er in dem Vorwort zur
zweiten Auflage von "Christoph Pensum" mit Absicht die Entstehungszeit dieser
internationalen Liebesgeschichte angiebt: "Es ist geschrieben worden in der
Zeit vom August 1871 bis zum September 1872! Die Wunden der Helden
waren uoch nicht verharscht, die Thränen der Kinder, der Mütter, der
Gattinnen, der Bräute und Schwestern noch nicht getrocknet, die Gräber der
Gefallenen uoch uicht nbergrttnt; aber in Deutschland gings schon -- so früh
nach dem furchtbaren Kriege und schweren Siege -- recht wunderlich her.
Wie während oder nach einer großen Feuersbrunst in der Gasse das Sirupfaß
platzt, und der Pöbel und die Buben anfangen zu kecken, so war im deutschen
Volke der Geldsack aufgegangen, und die Thaler rollten anch in den Gossen, und
nur zu viele Hände griffen auch darnach. Es hatte fast den Anschein, als
sollte dieses der größte Gewinn sein, den das geeinigte Vaterland aus seinem
großen Erfolg in der Weltgeschichte hervorholen könnte! Was blieb dn dem
einsamen Poeten in seiner Angst und seinem Ekel, in seinem unbeachteten
Winkel übrig, als in den trockenen Scherz, in den ganz unpathetischen Spaß
auszuweichen, die Schellenkappe über die Ohren zu ziehen und die Pritsche zu
nehmen? Es ist übrigens immer ein Vorrecht anstündiger Leute gewesen, in
bedenklichen Zeiten lieber für sich den Narren zu spielen, als in großer Ge¬
sellschaft unter den Lumpen ein Lump zu sein." Nicht alle Schaffenden haben
so gedacht, und nicht bloß die Realisten und Naturalisten haben zahllose Ver¬
suche gemacht, ihrer Entrüstung über den Hexensabbath Ausdruck zu geben,
sondern auch Idealisten wie Hamerling (Homunculus) oder Dichter wie
Gottfried Keller (Martin Salander) haben in poetischer Form Stellung zu
dieser, nicht bloß in Dcntschlnnd unerquicklichen Zeit des Tanzes ums goldne
Kalb genommen. Die Romantik Naabes offenbart sich in der Abwendung von
der Gegenwart zu reinem Spiel der Phantasie. Übrigens gehört diese "inter¬
nationale Liebesgeschichte" zu Randes anmutigsten und muntersten Erzählungen,


Neues von Wilhelm Raabe

eines aristokratischen Menschen, der mit all seiner vielgeprüften Lebenserfahrung
und mit all seiner reichen Bildung, in jeder Zeile er selbst, auf den Markt
tritt. Sie verlangt Hingebung, genaueste Aufmerksamkeit, Kvnzentrirung des
Lesers. Mit den Dingen zu spielen, ernst zu spielen, verstehen nur wenige,
die ebeu nicht „Philister" sein dürfen.

In kurzer Zeit sind nach einander von Raabe wieder drei Bücher er¬
schienen, zwei ältere in neuen Auflagen, nämlich Abu Telfan oder Die
Heimkehr vom Mondgebirge, ein Roman aus dem Jahre 1867, in dritter,
durchgesehener Auflage, sodann „die internationale Liebesgeschichte": Christoph
Pensum aus dem Jahre 1872 in zweiter Auflage, und endlich ganz neu:
Stvpfkuchen, eine See- und Mordgeschichte (sämtlich im Verlage von Otto
Zanke, Berlin, 1890 bis 1891). Aus der Lektüre dieser drei Bücher haben
wir unsre Charakteristik des Dichters gewonnen.

Es ist bezeichnend für den Romantiker Raabe, daß er in dem Vorwort zur
zweiten Auflage von „Christoph Pensum" mit Absicht die Entstehungszeit dieser
internationalen Liebesgeschichte angiebt: „Es ist geschrieben worden in der
Zeit vom August 1871 bis zum September 1872! Die Wunden der Helden
waren uoch nicht verharscht, die Thränen der Kinder, der Mütter, der
Gattinnen, der Bräute und Schwestern noch nicht getrocknet, die Gräber der
Gefallenen uoch uicht nbergrttnt; aber in Deutschland gings schon — so früh
nach dem furchtbaren Kriege und schweren Siege — recht wunderlich her.
Wie während oder nach einer großen Feuersbrunst in der Gasse das Sirupfaß
platzt, und der Pöbel und die Buben anfangen zu kecken, so war im deutschen
Volke der Geldsack aufgegangen, und die Thaler rollten anch in den Gossen, und
nur zu viele Hände griffen auch darnach. Es hatte fast den Anschein, als
sollte dieses der größte Gewinn sein, den das geeinigte Vaterland aus seinem
großen Erfolg in der Weltgeschichte hervorholen könnte! Was blieb dn dem
einsamen Poeten in seiner Angst und seinem Ekel, in seinem unbeachteten
Winkel übrig, als in den trockenen Scherz, in den ganz unpathetischen Spaß
auszuweichen, die Schellenkappe über die Ohren zu ziehen und die Pritsche zu
nehmen? Es ist übrigens immer ein Vorrecht anstündiger Leute gewesen, in
bedenklichen Zeiten lieber für sich den Narren zu spielen, als in großer Ge¬
sellschaft unter den Lumpen ein Lump zu sein." Nicht alle Schaffenden haben
so gedacht, und nicht bloß die Realisten und Naturalisten haben zahllose Ver¬
suche gemacht, ihrer Entrüstung über den Hexensabbath Ausdruck zu geben,
sondern auch Idealisten wie Hamerling (Homunculus) oder Dichter wie
Gottfried Keller (Martin Salander) haben in poetischer Form Stellung zu
dieser, nicht bloß in Dcntschlnnd unerquicklichen Zeit des Tanzes ums goldne
Kalb genommen. Die Romantik Naabes offenbart sich in der Abwendung von
der Gegenwart zu reinem Spiel der Phantasie. Übrigens gehört diese „inter¬
nationale Liebesgeschichte" zu Randes anmutigsten und muntersten Erzählungen,


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[0154] Neues von Wilhelm Raabe eines aristokratischen Menschen, der mit all seiner vielgeprüften Lebenserfahrung und mit all seiner reichen Bildung, in jeder Zeile er selbst, auf den Markt tritt. Sie verlangt Hingebung, genaueste Aufmerksamkeit, Kvnzentrirung des Lesers. Mit den Dingen zu spielen, ernst zu spielen, verstehen nur wenige, die ebeu nicht „Philister" sein dürfen. In kurzer Zeit sind nach einander von Raabe wieder drei Bücher er¬ schienen, zwei ältere in neuen Auflagen, nämlich Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge, ein Roman aus dem Jahre 1867, in dritter, durchgesehener Auflage, sodann „die internationale Liebesgeschichte": Christoph Pensum aus dem Jahre 1872 in zweiter Auflage, und endlich ganz neu: Stvpfkuchen, eine See- und Mordgeschichte (sämtlich im Verlage von Otto Zanke, Berlin, 1890 bis 1891). Aus der Lektüre dieser drei Bücher haben wir unsre Charakteristik des Dichters gewonnen. Es ist bezeichnend für den Romantiker Raabe, daß er in dem Vorwort zur zweiten Auflage von „Christoph Pensum" mit Absicht die Entstehungszeit dieser internationalen Liebesgeschichte angiebt: „Es ist geschrieben worden in der Zeit vom August 1871 bis zum September 1872! Die Wunden der Helden waren uoch nicht verharscht, die Thränen der Kinder, der Mütter, der Gattinnen, der Bräute und Schwestern noch nicht getrocknet, die Gräber der Gefallenen uoch uicht nbergrttnt; aber in Deutschland gings schon — so früh nach dem furchtbaren Kriege und schweren Siege — recht wunderlich her. Wie während oder nach einer großen Feuersbrunst in der Gasse das Sirupfaß platzt, und der Pöbel und die Buben anfangen zu kecken, so war im deutschen Volke der Geldsack aufgegangen, und die Thaler rollten anch in den Gossen, und nur zu viele Hände griffen auch darnach. Es hatte fast den Anschein, als sollte dieses der größte Gewinn sein, den das geeinigte Vaterland aus seinem großen Erfolg in der Weltgeschichte hervorholen könnte! Was blieb dn dem einsamen Poeten in seiner Angst und seinem Ekel, in seinem unbeachteten Winkel übrig, als in den trockenen Scherz, in den ganz unpathetischen Spaß auszuweichen, die Schellenkappe über die Ohren zu ziehen und die Pritsche zu nehmen? Es ist übrigens immer ein Vorrecht anstündiger Leute gewesen, in bedenklichen Zeiten lieber für sich den Narren zu spielen, als in großer Ge¬ sellschaft unter den Lumpen ein Lump zu sein." Nicht alle Schaffenden haben so gedacht, und nicht bloß die Realisten und Naturalisten haben zahllose Ver¬ suche gemacht, ihrer Entrüstung über den Hexensabbath Ausdruck zu geben, sondern auch Idealisten wie Hamerling (Homunculus) oder Dichter wie Gottfried Keller (Martin Salander) haben in poetischer Form Stellung zu dieser, nicht bloß in Dcntschlnnd unerquicklichen Zeit des Tanzes ums goldne Kalb genommen. Die Romantik Naabes offenbart sich in der Abwendung von der Gegenwart zu reinem Spiel der Phantasie. Übrigens gehört diese „inter¬ nationale Liebesgeschichte" zu Randes anmutigsten und muntersten Erzählungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/154>, abgerufen am 24.07.2024.