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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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eröffnet sich der kommenden Jugend ein neuer, herrlicher Tummelplatz, höhere
Ziele werden auftauchen, strengere Maßstäbe den: erwachsenden Manne geläufig
werden.

Mit großem Nachdruck ist von vielen Seiten der Wert des Übersetzens
aus fremden Sprachen betont worden. Geheimrat Ständer sieht darin mit
Recht ein Stück deutscheu Unterrichts, das nicht hoch genug angeschlagen
werden könne (S. 209 bis 210; ähnlich andre S. 224, 231. 570). Nur ein
Bedenken drängt sich ans: wo lernt, wo übt der junge Kandidat diese seine Kunst?
Auf der Universität? Einiges kann wohl auf der Universität auch hierfür ge¬
schehen: ein großer Meister, selbst einer, der in blutiger Selbstironie das Übersetzen
den Tod des Verständnisses nennt, mag auf die eine und andre Weise hier dem
Urteil höhere Gesetze geben; wie hohe Ansprüche in dieser Richtung unsre
Gelehrten an sich stellen, davon haben wir eine Probe soeben beim Aristoteles
erhalten. Aber der eigentliche Ort für die Übungen im lauten, zusammen¬
hängenden Vorübersetzen sind die Universitäten nicht, das sind die Seminarien,
die Gymnasialseminarien vom Jahre 1890. Hier gilt es, nach der überwiegend ge¬
lehrt-kritischen Arbeit der Universität, wiederum künstlerisch gestalten zu lernen,
hier eröffnet sich also ein herrlicher Tummelplatz sür die kommenden "Lehrer¬
geschlechter."

Aber sie kommen nicht: "Gymnasiallehrer kann man doch nicht werden,"
so hieß es immer, und heute mehr denn je, in solchen Kreisen, wo man völlig
freie Wahl hat. Wenn aber das Heil nicht von innen, nicht aus dem Herzen
eines freien, stolzen Lehrerstandes kommen soll, woher denn sonst?

Die Sitzung vom 15. Dezember -- es war ein Montag, der einzige
Montag der Konferenz -- bezeichnet hier hoffentlich einen Wendepunkt. Die
schon erwähnte, keinesfalls böse gemeinte Äußerung des Pastors von
Bodelschwingh über den Religionsunterricht an den Gymnasien (584, vergl. 640)
ward Anlaß zu einer Reihe von Ehrenerklärungen für die Gymnasial¬
lehrer (Höpfner S. 589, Kruse S. 591, Paulsen S. 596, Klix S. 600.
Ständer S. 608, Schrader S. 620 bis 621), bis dann Geheimrat Vohtz vom
Kultusministerium durch Darlegung der finanziellen Schwierigkeit einer bessern
Ausstattung des Lehrerstandes die Bitte an die Versammelten zu begründen
suchte, "soviel an ihnen läge, die pessimistische Stimmung der Lehrer einiger¬
maßen zu mildern und zu zerstreuen und deren Freudigkeit im Berufe durch
die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu erhalten" (S. 630). Es folgte
(S. 634) ein Versuch des Abgeordneten Kropatschek, zahlenmüßig nachzuweisen,
wie wenig Preußen, verglichen mit andern deutschen Staaten, für die höhern
Lehranstalten thue; daun eine bitterböse Bemerkung Schraders (S. 646) über
die Schlußwendung des Geheimrath Bohtz und schließlich geradezu eine Jnter¬
pellation des Präsidiums, worauf sich Herr Bohtz durch die Bemerkung zu
decken suchte, nur thatsächliches Material gegeben zu haben (S. 647). Am


eröffnet sich der kommenden Jugend ein neuer, herrlicher Tummelplatz, höhere
Ziele werden auftauchen, strengere Maßstäbe den: erwachsenden Manne geläufig
werden.

Mit großem Nachdruck ist von vielen Seiten der Wert des Übersetzens
aus fremden Sprachen betont worden. Geheimrat Ständer sieht darin mit
Recht ein Stück deutscheu Unterrichts, das nicht hoch genug angeschlagen
werden könne (S. 209 bis 210; ähnlich andre S. 224, 231. 570). Nur ein
Bedenken drängt sich ans: wo lernt, wo übt der junge Kandidat diese seine Kunst?
Auf der Universität? Einiges kann wohl auf der Universität auch hierfür ge¬
schehen: ein großer Meister, selbst einer, der in blutiger Selbstironie das Übersetzen
den Tod des Verständnisses nennt, mag auf die eine und andre Weise hier dem
Urteil höhere Gesetze geben; wie hohe Ansprüche in dieser Richtung unsre
Gelehrten an sich stellen, davon haben wir eine Probe soeben beim Aristoteles
erhalten. Aber der eigentliche Ort für die Übungen im lauten, zusammen¬
hängenden Vorübersetzen sind die Universitäten nicht, das sind die Seminarien,
die Gymnasialseminarien vom Jahre 1890. Hier gilt es, nach der überwiegend ge¬
lehrt-kritischen Arbeit der Universität, wiederum künstlerisch gestalten zu lernen,
hier eröffnet sich also ein herrlicher Tummelplatz sür die kommenden „Lehrer¬
geschlechter."

Aber sie kommen nicht: „Gymnasiallehrer kann man doch nicht werden,"
so hieß es immer, und heute mehr denn je, in solchen Kreisen, wo man völlig
freie Wahl hat. Wenn aber das Heil nicht von innen, nicht aus dem Herzen
eines freien, stolzen Lehrerstandes kommen soll, woher denn sonst?

Die Sitzung vom 15. Dezember — es war ein Montag, der einzige
Montag der Konferenz — bezeichnet hier hoffentlich einen Wendepunkt. Die
schon erwähnte, keinesfalls böse gemeinte Äußerung des Pastors von
Bodelschwingh über den Religionsunterricht an den Gymnasien (584, vergl. 640)
ward Anlaß zu einer Reihe von Ehrenerklärungen für die Gymnasial¬
lehrer (Höpfner S. 589, Kruse S. 591, Paulsen S. 596, Klix S. 600.
Ständer S. 608, Schrader S. 620 bis 621), bis dann Geheimrat Vohtz vom
Kultusministerium durch Darlegung der finanziellen Schwierigkeit einer bessern
Ausstattung des Lehrerstandes die Bitte an die Versammelten zu begründen
suchte, „soviel an ihnen läge, die pessimistische Stimmung der Lehrer einiger¬
maßen zu mildern und zu zerstreuen und deren Freudigkeit im Berufe durch
die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu erhalten" (S. 630). Es folgte
(S. 634) ein Versuch des Abgeordneten Kropatschek, zahlenmüßig nachzuweisen,
wie wenig Preußen, verglichen mit andern deutschen Staaten, für die höhern
Lehranstalten thue; daun eine bitterböse Bemerkung Schraders (S. 646) über
die Schlußwendung des Geheimrath Bohtz und schließlich geradezu eine Jnter¬
pellation des Präsidiums, worauf sich Herr Bohtz durch die Bemerkung zu
decken suchte, nur thatsächliches Material gegeben zu haben (S. 647). Am


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/137>, abgerufen am 24.07.2024.