Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

Wort geworden, die Konferenz habe dem Realgymnasium den Garaus gemacht
und das Gymnasium in ein Realgymnasium verwandelt "mit e bissel Griechisch."
Ernste Leute sollten dergleichen nicht nachsprechen, zumal nachdem sie die Ver¬
handlungen gelesen haben. Die vierte Frage des Ministers handelte vom Latein
auf dem Realgymnasium. Die Antwort aller drei Sprecher zu der Frage
(Matthias, Paulsen, Albrecht) lautete dahin, daß ein verminderter Lateinbetrieb
ans dem Realgymnasium keine irgendwie nennenswerte Bedeutung mehr haben
würde. Wie soll nun das Realgymnasium seine Ziele in all den andern Haupt¬
fächern einigermaßen erreichen -- "es hat eigentlich nur Hauptfächer" (Deiters,
S. 300) --, wenn es dort, von den meist nur zwei oder drei Wochenstunden, die
Zeit absparen muß, um zu einer wesentlichen Verminderung der Gesamtstundenzahl
zu kommen? Damit ist das Realgymnasium, so wie es ist, unhaltbar geworden
(S. 279, 360, 729). Vorübergehend tauchte in der Versammlung der Gedanke
auf, das Latein auf dem Realgymnasium zu verstörtem "Ein lateinisches
Gymnasium ohne Griechisch -- so meinte ein großer Verehrer des Lateinischen
(S. 331) -- liegt gar nicht außer dem Bereich der Möglichkeit." Es lohnt,
einen Augenblick hierbei zu verweilen. Unter den dreizehn Eingaben deutscher
Universitäten, worin der preußische Kultusminister dringend gebeten wurde,
festzuhalten an der altsprachlichen Grundlage der Gymnasien, haben sechs
(Leipzig, Tübingen, Bonn, München, Kiel und Straßburg) mit besonder"!
Nachdruck auf das Griechische hingewiesen. Und diese Eingaben tragen die
Unterschriften von Lehrern aus allen Fakultäten. Unter den nichtphilologischen
Mitgliedern der Konferenz erkennt Virchow auch von seinem engmedizinischen
Standpunkte aus, "in erster Linie das Griechische an"; freilich erscheint ihm
das Ergebnis, das von unsern höhern Schulen in den beiden alten Sprachen
erzielt werde -- wie viel sieht denn der vielbeschäftigte davon? -- so gering,
daß er nicht begreift, wie es möglich sei, mit solcher Hartnäckigkeit diese "Lieb¬
haberei" festzuhalten (S. 117, 761). Etwas anders urteilt Helmholtz. Für
ihn sind die Zwecke, die ihm als die wichtigsten erscheinen, "fast allein mit
dem Griechischen verknüpft." Das Latein scheint ihm nur eine Nebenrücksicht
zu verdienen. "Für die Geistesbildung, so wie ich sie mir denke, das heißt
für die feine Bildung des Geschmackes, nicht bloß sür sprachliche, sondern auch
sür sittliche und ästhetische Dinge kommt es relativ wenig in Betracht"
(S. 202, 763). Paulsen, der dem Latein auf dem Realgymnasium kräftig
das Wort redet, auf dem Gymnasium ist er für Herabsetzung der Lateinstunden,
während Griechisch und Deutsch für seine Empfindung in unsern jetzigen
Gymnasien die fruchtbarsten und begehrtesten Gegenstände sind (S. 232). "Das
Griechische -- sagt er (S. 286) -- ist notwendig für alle, die im höhern
Sinne eine Einsicht erlangen wollen in die gesamte Entwicklung unsers geistig-
geschichtlicheu Lebens." Früher urteilte Paulsen ja ein wenig anders: um so
wertvoller muß uns jetzt dies Zeugnis des wahrheitsuchenden Mannes sein.


Grenzboten II 1391 17
Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz

Wort geworden, die Konferenz habe dem Realgymnasium den Garaus gemacht
und das Gymnasium in ein Realgymnasium verwandelt „mit e bissel Griechisch."
Ernste Leute sollten dergleichen nicht nachsprechen, zumal nachdem sie die Ver¬
handlungen gelesen haben. Die vierte Frage des Ministers handelte vom Latein
auf dem Realgymnasium. Die Antwort aller drei Sprecher zu der Frage
(Matthias, Paulsen, Albrecht) lautete dahin, daß ein verminderter Lateinbetrieb
ans dem Realgymnasium keine irgendwie nennenswerte Bedeutung mehr haben
würde. Wie soll nun das Realgymnasium seine Ziele in all den andern Haupt¬
fächern einigermaßen erreichen — „es hat eigentlich nur Hauptfächer" (Deiters,
S. 300) —, wenn es dort, von den meist nur zwei oder drei Wochenstunden, die
Zeit absparen muß, um zu einer wesentlichen Verminderung der Gesamtstundenzahl
zu kommen? Damit ist das Realgymnasium, so wie es ist, unhaltbar geworden
(S. 279, 360, 729). Vorübergehend tauchte in der Versammlung der Gedanke
auf, das Latein auf dem Realgymnasium zu verstörtem „Ein lateinisches
Gymnasium ohne Griechisch — so meinte ein großer Verehrer des Lateinischen
(S. 331) — liegt gar nicht außer dem Bereich der Möglichkeit." Es lohnt,
einen Augenblick hierbei zu verweilen. Unter den dreizehn Eingaben deutscher
Universitäten, worin der preußische Kultusminister dringend gebeten wurde,
festzuhalten an der altsprachlichen Grundlage der Gymnasien, haben sechs
(Leipzig, Tübingen, Bonn, München, Kiel und Straßburg) mit besonder»!
Nachdruck auf das Griechische hingewiesen. Und diese Eingaben tragen die
Unterschriften von Lehrern aus allen Fakultäten. Unter den nichtphilologischen
Mitgliedern der Konferenz erkennt Virchow auch von seinem engmedizinischen
Standpunkte aus, „in erster Linie das Griechische an"; freilich erscheint ihm
das Ergebnis, das von unsern höhern Schulen in den beiden alten Sprachen
erzielt werde — wie viel sieht denn der vielbeschäftigte davon? — so gering,
daß er nicht begreift, wie es möglich sei, mit solcher Hartnäckigkeit diese „Lieb¬
haberei" festzuhalten (S. 117, 761). Etwas anders urteilt Helmholtz. Für
ihn sind die Zwecke, die ihm als die wichtigsten erscheinen, „fast allein mit
dem Griechischen verknüpft." Das Latein scheint ihm nur eine Nebenrücksicht
zu verdienen. „Für die Geistesbildung, so wie ich sie mir denke, das heißt
für die feine Bildung des Geschmackes, nicht bloß sür sprachliche, sondern auch
sür sittliche und ästhetische Dinge kommt es relativ wenig in Betracht"
(S. 202, 763). Paulsen, der dem Latein auf dem Realgymnasium kräftig
das Wort redet, auf dem Gymnasium ist er für Herabsetzung der Lateinstunden,
während Griechisch und Deutsch für seine Empfindung in unsern jetzigen
Gymnasien die fruchtbarsten und begehrtesten Gegenstände sind (S. 232). „Das
Griechische — sagt er (S. 286) — ist notwendig für alle, die im höhern
Sinne eine Einsicht erlangen wollen in die gesamte Entwicklung unsers geistig-
geschichtlicheu Lebens." Früher urteilte Paulsen ja ein wenig anders: um so
wertvoller muß uns jetzt dies Zeugnis des wahrheitsuchenden Mannes sein.


Grenzboten II 1391 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210000"/>
          <fw type="header" place="top"> Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_344" prev="#ID_343" next="#ID_345"> Wort geworden, die Konferenz habe dem Realgymnasium den Garaus gemacht<lb/>
und das Gymnasium in ein Realgymnasium verwandelt &#x201E;mit e bissel Griechisch."<lb/>
Ernste Leute sollten dergleichen nicht nachsprechen, zumal nachdem sie die Ver¬<lb/>
handlungen gelesen haben. Die vierte Frage des Ministers handelte vom Latein<lb/>
auf dem Realgymnasium. Die Antwort aller drei Sprecher zu der Frage<lb/>
(Matthias, Paulsen, Albrecht) lautete dahin, daß ein verminderter Lateinbetrieb<lb/>
ans dem Realgymnasium keine irgendwie nennenswerte Bedeutung mehr haben<lb/>
würde. Wie soll nun das Realgymnasium seine Ziele in all den andern Haupt¬<lb/>
fächern einigermaßen erreichen &#x2014; &#x201E;es hat eigentlich nur Hauptfächer" (Deiters,<lb/>
S. 300) &#x2014;, wenn es dort, von den meist nur zwei oder drei Wochenstunden, die<lb/>
Zeit absparen muß, um zu einer wesentlichen Verminderung der Gesamtstundenzahl<lb/>
zu kommen? Damit ist das Realgymnasium, so wie es ist, unhaltbar geworden<lb/>
(S. 279, 360, 729). Vorübergehend tauchte in der Versammlung der Gedanke<lb/>
auf, das Latein auf dem Realgymnasium zu verstörtem &#x201E;Ein lateinisches<lb/>
Gymnasium ohne Griechisch &#x2014; so meinte ein großer Verehrer des Lateinischen<lb/>
(S. 331) &#x2014; liegt gar nicht außer dem Bereich der Möglichkeit." Es lohnt,<lb/>
einen Augenblick hierbei zu verweilen. Unter den dreizehn Eingaben deutscher<lb/>
Universitäten, worin der preußische Kultusminister dringend gebeten wurde,<lb/>
festzuhalten an der altsprachlichen Grundlage der Gymnasien, haben sechs<lb/>
(Leipzig, Tübingen, Bonn, München, Kiel und Straßburg) mit besonder»!<lb/>
Nachdruck auf das Griechische hingewiesen. Und diese Eingaben tragen die<lb/>
Unterschriften von Lehrern aus allen Fakultäten. Unter den nichtphilologischen<lb/>
Mitgliedern der Konferenz erkennt Virchow auch von seinem engmedizinischen<lb/>
Standpunkte aus, &#x201E;in erster Linie das Griechische an"; freilich erscheint ihm<lb/>
das Ergebnis, das von unsern höhern Schulen in den beiden alten Sprachen<lb/>
erzielt werde &#x2014; wie viel sieht denn der vielbeschäftigte davon? &#x2014; so gering,<lb/>
daß er nicht begreift, wie es möglich sei, mit solcher Hartnäckigkeit diese &#x201E;Lieb¬<lb/>
haberei" festzuhalten (S. 117, 761). Etwas anders urteilt Helmholtz. Für<lb/>
ihn sind die Zwecke, die ihm als die wichtigsten erscheinen, &#x201E;fast allein mit<lb/>
dem Griechischen verknüpft." Das Latein scheint ihm nur eine Nebenrücksicht<lb/>
zu verdienen. &#x201E;Für die Geistesbildung, so wie ich sie mir denke, das heißt<lb/>
für die feine Bildung des Geschmackes, nicht bloß sür sprachliche, sondern auch<lb/>
sür sittliche und ästhetische Dinge kommt es relativ wenig in Betracht"<lb/>
(S. 202, 763). Paulsen, der dem Latein auf dem Realgymnasium kräftig<lb/>
das Wort redet, auf dem Gymnasium ist er für Herabsetzung der Lateinstunden,<lb/>
während Griechisch und Deutsch für seine Empfindung in unsern jetzigen<lb/>
Gymnasien die fruchtbarsten und begehrtesten Gegenstände sind (S. 232). &#x201E;Das<lb/>
Griechische &#x2014; sagt er (S. 286) &#x2014; ist notwendig für alle, die im höhern<lb/>
Sinne eine Einsicht erlangen wollen in die gesamte Entwicklung unsers geistig-<lb/>
geschichtlicheu Lebens." Früher urteilte Paulsen ja ein wenig anders: um so<lb/>
wertvoller muß uns jetzt dies Zeugnis des wahrheitsuchenden Mannes sein.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1391 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Weitere Randbemerkungen zur Dezemberkonferenz Wort geworden, die Konferenz habe dem Realgymnasium den Garaus gemacht und das Gymnasium in ein Realgymnasium verwandelt „mit e bissel Griechisch." Ernste Leute sollten dergleichen nicht nachsprechen, zumal nachdem sie die Ver¬ handlungen gelesen haben. Die vierte Frage des Ministers handelte vom Latein auf dem Realgymnasium. Die Antwort aller drei Sprecher zu der Frage (Matthias, Paulsen, Albrecht) lautete dahin, daß ein verminderter Lateinbetrieb ans dem Realgymnasium keine irgendwie nennenswerte Bedeutung mehr haben würde. Wie soll nun das Realgymnasium seine Ziele in all den andern Haupt¬ fächern einigermaßen erreichen — „es hat eigentlich nur Hauptfächer" (Deiters, S. 300) —, wenn es dort, von den meist nur zwei oder drei Wochenstunden, die Zeit absparen muß, um zu einer wesentlichen Verminderung der Gesamtstundenzahl zu kommen? Damit ist das Realgymnasium, so wie es ist, unhaltbar geworden (S. 279, 360, 729). Vorübergehend tauchte in der Versammlung der Gedanke auf, das Latein auf dem Realgymnasium zu verstörtem „Ein lateinisches Gymnasium ohne Griechisch — so meinte ein großer Verehrer des Lateinischen (S. 331) — liegt gar nicht außer dem Bereich der Möglichkeit." Es lohnt, einen Augenblick hierbei zu verweilen. Unter den dreizehn Eingaben deutscher Universitäten, worin der preußische Kultusminister dringend gebeten wurde, festzuhalten an der altsprachlichen Grundlage der Gymnasien, haben sechs (Leipzig, Tübingen, Bonn, München, Kiel und Straßburg) mit besonder»! Nachdruck auf das Griechische hingewiesen. Und diese Eingaben tragen die Unterschriften von Lehrern aus allen Fakultäten. Unter den nichtphilologischen Mitgliedern der Konferenz erkennt Virchow auch von seinem engmedizinischen Standpunkte aus, „in erster Linie das Griechische an"; freilich erscheint ihm das Ergebnis, das von unsern höhern Schulen in den beiden alten Sprachen erzielt werde — wie viel sieht denn der vielbeschäftigte davon? — so gering, daß er nicht begreift, wie es möglich sei, mit solcher Hartnäckigkeit diese „Lieb¬ haberei" festzuhalten (S. 117, 761). Etwas anders urteilt Helmholtz. Für ihn sind die Zwecke, die ihm als die wichtigsten erscheinen, „fast allein mit dem Griechischen verknüpft." Das Latein scheint ihm nur eine Nebenrücksicht zu verdienen. „Für die Geistesbildung, so wie ich sie mir denke, das heißt für die feine Bildung des Geschmackes, nicht bloß sür sprachliche, sondern auch sür sittliche und ästhetische Dinge kommt es relativ wenig in Betracht" (S. 202, 763). Paulsen, der dem Latein auf dem Realgymnasium kräftig das Wort redet, auf dem Gymnasium ist er für Herabsetzung der Lateinstunden, während Griechisch und Deutsch für seine Empfindung in unsern jetzigen Gymnasien die fruchtbarsten und begehrtesten Gegenstände sind (S. 232). „Das Griechische — sagt er (S. 286) — ist notwendig für alle, die im höhern Sinne eine Einsicht erlangen wollen in die gesamte Entwicklung unsers geistig- geschichtlicheu Lebens." Früher urteilte Paulsen ja ein wenig anders: um so wertvoller muß uns jetzt dies Zeugnis des wahrheitsuchenden Mannes sein. Grenzboten II 1391 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/133>, abgerufen am 24.07.2024.