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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Nationalismus

Asien, Gallien, Britannien, Germanien römisches Wesen verpflanzte, so trügt
hente der Europäer überall hin dasselbe eine, gleiche Wesen, die Grundlagen
europäischer Kultur. Einheitlich ist seine Kultur, einheitlich auch sein Streben,
sich die fremden Länder und Völker zu unterwerfen. In Europa selbst aber
verhindert diese Einheit der Kultur nicht eine bedenkliche Verschärfung der
nationalen Gegensätze.

Unsre Herrschaft über die außereuropäischen Rassen ergiebt sich aus
unsrer höhern Kulturkraft. Wir leiten ans ihr das Recht unsrer Herrschaft
ab, das unsern Eroberungen in den andern Weltteilen die sittliche Recht¬
fertigung verleiht. Überlegenheit der Kultur giebt Recht ans Herrschaft; oder
anders ausgedrückt: willst du über andre herrschen, so herrsche durch die Macht
der Kultur. Wenn dies ein Grundgesetz unsrer internationalen und natio¬
nalen Politik ist, so muß auch jede Herrschaft, die diesem Gesetz widerspricht,
als rechtlos anerkannt werden. Eine Herrschaft, die, von niederm Kulturvolk
über höheres ausgeübt, kulturfeindlich wirkt, besteht zu Unrecht. Wir ver¬
dammen eine Unterwerfung fremder Völker, die dieses Rechts der Kultur ent¬
behrend, bloß auf der rohen physischen Übermacht ruht und deshalb unfähig
ist, das unterworfene Volk für den Verlust der Freiheit zu entschädigen, sei
es dnrch Erziehung des rohern Naturvolkes, sei es durch Gewährung fester
Formen, sicherer Ordnung für die Fortentwicklung des bereits in das euro¬
päische Kulturleben eingetretenen Stammes. Wo dieses Recht einem erobernden
Volle nicht zur Seite steht, da ist Barbarei, Wandalismus, da geschieht der
größte Frevel, den ein Volk an einem andern verüben kann. Dieses Recht ist
nicht bloß in wilden Zuständen, sondern auch in den europäischen Verhält¬
nissen maßgebend. Es wird um so bedeutender, je mehr in neuerer Zeit die
staatliche Herrschaft zugleich eine nationale wird. In früherer Zeit, wo der
Fürst die staatliche Herrschaft vorwiegend vertrat, konnten eher Stämme ver-
schiedner Art und Kulturhöhe staatlich verbunden sein, ohne einander Gewalt
anzuthun, als heute, wo der Staat eine nationale Herrschaft auszuüben mehr
als früher geneigt ist. Im dreizehnten, im sechzehnten Jahrhundert konnte
ein deutscher Kaiser die verschiedensten Völker beherrschen, ohne daß notwendig
das eine von dem andern, das schwächere von dem stärkern, die Oberherrschaft
vertretenden mißhandelt, bedrückt wurde. Wenn dennoch damals z. B. die
italienischen Staaten die deutsche Herrschaft als nationalen Druck empfanden,
so wäre heute eine solche Herrschaft, eben weil sie weit schärfer die Natio¬
nalität des herrschenden Staates empfinden ließe, völlig unerträglich. Slonimski
weist richtig darauf hin, wie einst der Nationalismus eine befreiende Idee war,
wie in seinem Namen die Völker die Fremdherrschaft abwarfen. Doch darf
mich darauf hingedeutet werden, daß die Spanier von 1809 wie die Deutschen
von 1813 wohl kaum so erbittert für die nationale Freiheit gefochten hätten
ohne die stachelnde Erinnerung an die rohe Gewaltsamkeit der französischen


Der Nationalismus

Asien, Gallien, Britannien, Germanien römisches Wesen verpflanzte, so trügt
hente der Europäer überall hin dasselbe eine, gleiche Wesen, die Grundlagen
europäischer Kultur. Einheitlich ist seine Kultur, einheitlich auch sein Streben,
sich die fremden Länder und Völker zu unterwerfen. In Europa selbst aber
verhindert diese Einheit der Kultur nicht eine bedenkliche Verschärfung der
nationalen Gegensätze.

Unsre Herrschaft über die außereuropäischen Rassen ergiebt sich aus
unsrer höhern Kulturkraft. Wir leiten ans ihr das Recht unsrer Herrschaft
ab, das unsern Eroberungen in den andern Weltteilen die sittliche Recht¬
fertigung verleiht. Überlegenheit der Kultur giebt Recht ans Herrschaft; oder
anders ausgedrückt: willst du über andre herrschen, so herrsche durch die Macht
der Kultur. Wenn dies ein Grundgesetz unsrer internationalen und natio¬
nalen Politik ist, so muß auch jede Herrschaft, die diesem Gesetz widerspricht,
als rechtlos anerkannt werden. Eine Herrschaft, die, von niederm Kulturvolk
über höheres ausgeübt, kulturfeindlich wirkt, besteht zu Unrecht. Wir ver¬
dammen eine Unterwerfung fremder Völker, die dieses Rechts der Kultur ent¬
behrend, bloß auf der rohen physischen Übermacht ruht und deshalb unfähig
ist, das unterworfene Volk für den Verlust der Freiheit zu entschädigen, sei
es dnrch Erziehung des rohern Naturvolkes, sei es durch Gewährung fester
Formen, sicherer Ordnung für die Fortentwicklung des bereits in das euro¬
päische Kulturleben eingetretenen Stammes. Wo dieses Recht einem erobernden
Volle nicht zur Seite steht, da ist Barbarei, Wandalismus, da geschieht der
größte Frevel, den ein Volk an einem andern verüben kann. Dieses Recht ist
nicht bloß in wilden Zuständen, sondern auch in den europäischen Verhält¬
nissen maßgebend. Es wird um so bedeutender, je mehr in neuerer Zeit die
staatliche Herrschaft zugleich eine nationale wird. In früherer Zeit, wo der
Fürst die staatliche Herrschaft vorwiegend vertrat, konnten eher Stämme ver-
schiedner Art und Kulturhöhe staatlich verbunden sein, ohne einander Gewalt
anzuthun, als heute, wo der Staat eine nationale Herrschaft auszuüben mehr
als früher geneigt ist. Im dreizehnten, im sechzehnten Jahrhundert konnte
ein deutscher Kaiser die verschiedensten Völker beherrschen, ohne daß notwendig
das eine von dem andern, das schwächere von dem stärkern, die Oberherrschaft
vertretenden mißhandelt, bedrückt wurde. Wenn dennoch damals z. B. die
italienischen Staaten die deutsche Herrschaft als nationalen Druck empfanden,
so wäre heute eine solche Herrschaft, eben weil sie weit schärfer die Natio¬
nalität des herrschenden Staates empfinden ließe, völlig unerträglich. Slonimski
weist richtig darauf hin, wie einst der Nationalismus eine befreiende Idee war,
wie in seinem Namen die Völker die Fremdherrschaft abwarfen. Doch darf
mich darauf hingedeutet werden, daß die Spanier von 1809 wie die Deutschen
von 1813 wohl kaum so erbittert für die nationale Freiheit gefochten hätten
ohne die stachelnde Erinnerung an die rohe Gewaltsamkeit der französischen


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[0127] Der Nationalismus Asien, Gallien, Britannien, Germanien römisches Wesen verpflanzte, so trügt hente der Europäer überall hin dasselbe eine, gleiche Wesen, die Grundlagen europäischer Kultur. Einheitlich ist seine Kultur, einheitlich auch sein Streben, sich die fremden Länder und Völker zu unterwerfen. In Europa selbst aber verhindert diese Einheit der Kultur nicht eine bedenkliche Verschärfung der nationalen Gegensätze. Unsre Herrschaft über die außereuropäischen Rassen ergiebt sich aus unsrer höhern Kulturkraft. Wir leiten ans ihr das Recht unsrer Herrschaft ab, das unsern Eroberungen in den andern Weltteilen die sittliche Recht¬ fertigung verleiht. Überlegenheit der Kultur giebt Recht ans Herrschaft; oder anders ausgedrückt: willst du über andre herrschen, so herrsche durch die Macht der Kultur. Wenn dies ein Grundgesetz unsrer internationalen und natio¬ nalen Politik ist, so muß auch jede Herrschaft, die diesem Gesetz widerspricht, als rechtlos anerkannt werden. Eine Herrschaft, die, von niederm Kulturvolk über höheres ausgeübt, kulturfeindlich wirkt, besteht zu Unrecht. Wir ver¬ dammen eine Unterwerfung fremder Völker, die dieses Rechts der Kultur ent¬ behrend, bloß auf der rohen physischen Übermacht ruht und deshalb unfähig ist, das unterworfene Volk für den Verlust der Freiheit zu entschädigen, sei es dnrch Erziehung des rohern Naturvolkes, sei es durch Gewährung fester Formen, sicherer Ordnung für die Fortentwicklung des bereits in das euro¬ päische Kulturleben eingetretenen Stammes. Wo dieses Recht einem erobernden Volle nicht zur Seite steht, da ist Barbarei, Wandalismus, da geschieht der größte Frevel, den ein Volk an einem andern verüben kann. Dieses Recht ist nicht bloß in wilden Zuständen, sondern auch in den europäischen Verhält¬ nissen maßgebend. Es wird um so bedeutender, je mehr in neuerer Zeit die staatliche Herrschaft zugleich eine nationale wird. In früherer Zeit, wo der Fürst die staatliche Herrschaft vorwiegend vertrat, konnten eher Stämme ver- schiedner Art und Kulturhöhe staatlich verbunden sein, ohne einander Gewalt anzuthun, als heute, wo der Staat eine nationale Herrschaft auszuüben mehr als früher geneigt ist. Im dreizehnten, im sechzehnten Jahrhundert konnte ein deutscher Kaiser die verschiedensten Völker beherrschen, ohne daß notwendig das eine von dem andern, das schwächere von dem stärkern, die Oberherrschaft vertretenden mißhandelt, bedrückt wurde. Wenn dennoch damals z. B. die italienischen Staaten die deutsche Herrschaft als nationalen Druck empfanden, so wäre heute eine solche Herrschaft, eben weil sie weit schärfer die Natio¬ nalität des herrschenden Staates empfinden ließe, völlig unerträglich. Slonimski weist richtig darauf hin, wie einst der Nationalismus eine befreiende Idee war, wie in seinem Namen die Völker die Fremdherrschaft abwarfen. Doch darf mich darauf hingedeutet werden, daß die Spanier von 1809 wie die Deutschen von 1813 wohl kaum so erbittert für die nationale Freiheit gefochten hätten ohne die stachelnde Erinnerung an die rohe Gewaltsamkeit der französischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/127>, abgerufen am 24.07.2024.