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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Überbürdung

könne": "Herr Doktor, in meinem Buche stehts anders!" Ein sehr harmloses
Vergnügen, aber im sehnlicher wird schon jede Abwechslung lind Unregel-
Mäßigkeit zum Vergnügen, Auch damit ists nichts mehr. Sobald vom Plötz
die fünfnnddreißigste Auflage erscheint, darf sich bei Strafe kein Exemplar der
vierunddreißigsten mehr sehen lassen, wenn auch vielleicht der ganze Unterschied
darin besteht, daß in einem Übungssatze nach den Museen und Kirchen unsrer
Stadt, anstatt nach den Kirchen und Museen gefragt wird. Noch weniger wird
den Schillern heutiger Zeit das Vergnügen gegönnt -- es war ein unaus¬
sprechliches Vergnügen! --, sich über die Herren Lehrer lustig machen zu
können. Wo sind sie hin, die Originale! die komischen Käuze, von denen da^
Wort galt: Jedes Tierl hat sein Manierl! Unsre heutigen Lehrer, auch die
Volksschullehrer, sind alle ohne Ausnahme schön gewachsene, stattliche Herren
mit wohlgepflegten und nach der neuesten Mode geschnittenen Voll- oder
Schnurrbärten und kleiden sich mit vollendeter Eleganz. Jeder von ihnen
könnte, so wie er geht und steht, einen Geheimrat vorstellen, und um den
Offizier zu spielen, braucht er nur die Uniform anzulegen, wie denn viele
Gymnasiallehrer wirklich Reserveoffiziere sind. Keinem von ihnen haftet eine
Spur von Lächerlichkeit an. Vom Standpunkte der Rasseuveredluug aus-
müssen wir bekennen, das; der Lehrerstand seit dreißig Jahren einen wunder¬
baren und höchst erfreulichen Fortschritt gemacht hat. Vom schülerpsycho¬
logischen Staudpunkte aus betrachtet aber ist es ein Nachteil. Tag für Tag
nichts als Muster der Vollkommenheit vor sich zu sehen, das ist -- entsetzlich
langweilig, und es ist Höllenpein, sich an dem Manne, der einen mit freundlich
wohlwollendem Lächeln und ohne äußerlich sichtbare Gewaltthat tagtäglich in
den Schraubstock spannt, nicht einmal mit Spott rächen zu können. Die Welt
ist einmal so komisch eingerichtet, daß jeder vollkommne Zustand ans die Dauer
unerträglich wird. Also ...... sagen wirs nnr gerade heraus die unüber¬
treffliche Vollkommenheit, namentlich die musterhafte Ordnung unsrer Schnleii
ist es, was die Schüler tot macht.

Eine der heutigen annähernd ähnliche Schulordnung habe ich nur sechs
Jahre laug zu erdulden gehabt. Aber obgleich ich mich auch in diesen sechs
Jahren recht glücklich und, wie gesagt, gar nicht überbürdet gefühlt habe, hatte
ich doch gerade genug davon. Wäre ich ans vierzehn Jahre in eine Lehr¬
maschine heutiger .Konstruktion eingespannt gewesen, ich wäre entweder dumm
oder ein verbissener Revolutionär geworden, oder hätte mir das Leben ge¬
nommen.

Aber, wird mau einwenden, der junge Mensch muß doch lernen, seine
Pflichten erfüllen, auch unangenehme Pflichten. Ganz recht, das habe ich anch
gelernt, und glaube bis heute die mir unangenehmen Arbeiten mit derselben
Treue erledigt zu haben wie die angenehmen. Dagegen kommt es jetzt nicht
selten vor, daß junge Leute während der Schulzeit in erzwunguer Pflicht-


Die Überbürdung

könne»: „Herr Doktor, in meinem Buche stehts anders!" Ein sehr harmloses
Vergnügen, aber im sehnlicher wird schon jede Abwechslung lind Unregel-
Mäßigkeit zum Vergnügen, Auch damit ists nichts mehr. Sobald vom Plötz
die fünfnnddreißigste Auflage erscheint, darf sich bei Strafe kein Exemplar der
vierunddreißigsten mehr sehen lassen, wenn auch vielleicht der ganze Unterschied
darin besteht, daß in einem Übungssatze nach den Museen und Kirchen unsrer
Stadt, anstatt nach den Kirchen und Museen gefragt wird. Noch weniger wird
den Schillern heutiger Zeit das Vergnügen gegönnt — es war ein unaus¬
sprechliches Vergnügen! —, sich über die Herren Lehrer lustig machen zu
können. Wo sind sie hin, die Originale! die komischen Käuze, von denen da^
Wort galt: Jedes Tierl hat sein Manierl! Unsre heutigen Lehrer, auch die
Volksschullehrer, sind alle ohne Ausnahme schön gewachsene, stattliche Herren
mit wohlgepflegten und nach der neuesten Mode geschnittenen Voll- oder
Schnurrbärten und kleiden sich mit vollendeter Eleganz. Jeder von ihnen
könnte, so wie er geht und steht, einen Geheimrat vorstellen, und um den
Offizier zu spielen, braucht er nur die Uniform anzulegen, wie denn viele
Gymnasiallehrer wirklich Reserveoffiziere sind. Keinem von ihnen haftet eine
Spur von Lächerlichkeit an. Vom Standpunkte der Rasseuveredluug aus-
müssen wir bekennen, das; der Lehrerstand seit dreißig Jahren einen wunder¬
baren und höchst erfreulichen Fortschritt gemacht hat. Vom schülerpsycho¬
logischen Staudpunkte aus betrachtet aber ist es ein Nachteil. Tag für Tag
nichts als Muster der Vollkommenheit vor sich zu sehen, das ist — entsetzlich
langweilig, und es ist Höllenpein, sich an dem Manne, der einen mit freundlich
wohlwollendem Lächeln und ohne äußerlich sichtbare Gewaltthat tagtäglich in
den Schraubstock spannt, nicht einmal mit Spott rächen zu können. Die Welt
ist einmal so komisch eingerichtet, daß jeder vollkommne Zustand ans die Dauer
unerträglich wird. Also ...... sagen wirs nnr gerade heraus die unüber¬
treffliche Vollkommenheit, namentlich die musterhafte Ordnung unsrer Schnleii
ist es, was die Schüler tot macht.

Eine der heutigen annähernd ähnliche Schulordnung habe ich nur sechs
Jahre laug zu erdulden gehabt. Aber obgleich ich mich auch in diesen sechs
Jahren recht glücklich und, wie gesagt, gar nicht überbürdet gefühlt habe, hatte
ich doch gerade genug davon. Wäre ich ans vierzehn Jahre in eine Lehr¬
maschine heutiger .Konstruktion eingespannt gewesen, ich wäre entweder dumm
oder ein verbissener Revolutionär geworden, oder hätte mir das Leben ge¬
nommen.

Aber, wird mau einwenden, der junge Mensch muß doch lernen, seine
Pflichten erfüllen, auch unangenehme Pflichten. Ganz recht, das habe ich anch
gelernt, und glaube bis heute die mir unangenehmen Arbeiten mit derselben
Treue erledigt zu haben wie die angenehmen. Dagegen kommt es jetzt nicht
selten vor, daß junge Leute während der Schulzeit in erzwunguer Pflicht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/76>, abgerufen am 25.08.2024.