Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
>vie ist der deutschen Landwnlschaft helfeln

Wege betrifft, wieder ganz andre Wunsche haben. Dann kommen die wohl¬
habenden Bauern in einigen Gegenden Süddeutschlands. Dann kommt der
zersplitterte Grundbesitz am Rhein, dann wieder die großen Bauergüter der
Marschen. Wir dürfen aber auch die Bevölkerung nicht vergessen, die ohne
nennenswerten eignen Besitz auf dem Lande angesiedelt ist und ihren Erwerb
im Tngelohn findet, sei eS als einzigen, sei es als Nebenverdienst. Abgesehen
davon, daß die Absatzwege dieser Gruppen verschieden sind, so sind auch die
Bedürfnisse der Berufsklassen innerhalb der Gruppen verschieden. Mau sucht
sich zwar über diese Verschiedenheit mit dem einen Worte hinwegzutäuschen,
daß es den Arbeiter" ant gehe, wo es den Arbeitshcrrcn gut geht, aber diese
Täuschung hält bei genaueren Zusehen nicht vor. Hohe Getreidepreise sind
für den Großgrundbesitzer vorteilhaft, für den Arbeiter ist der Nutzen zweifel¬
haft. Mit Lohnerhöhungen beeilt sich der Arbeitsherr auch bei gutem Absatz
uicht; je mehr also die reine Geldwirtschnft ans dem Lande durchgeführt wird,
desto weniger helfe" dem Arbeiter, der sein Getreide gar uicht oder nicht in
ausreichender Meiige selbst baut, die hohe" Preise.

Außer dem Unterschiede der la"bliebe" Berufsklassen fällt aber vor allen,
der Unterschied der landschaftlichen Gruppen ins Gewicht. Eine Landschaft,
die weit über ihr eignes Vedürfms hinaus erzeugt, braucht natürlich begneme
Absatzwege. Eine Landschaft, die unter ihrem Bedürfnis erzeugt, möchte den
Zugang zu ihrem Gebiet erschweren; wohlgemerkt, nicht die ganze Bevölkerung
der Landschaft möchte das, wohl aber die Grundbesitzer, denn desto höhere
Preise können sie stellen. Noch gesteigert wird der Unterschied der landschaft¬
lichen Gruppen durch die Nachbarschaft. Die eine Landschaft findet aus¬
ländische Absatzmärkte und richtet ans die Behauptung dieser Märkte nicht nur
die Art ihrer Erzeugung ein, sonder" auch ihren Handel, nicht bloß den Aus¬
fuhrhandel, souderu auch den Einfuhrhandel. Eine andre Landschaft hat von
der Nachbarschaft die Bedrohung ihres eignen Absatzes zu fürchten und ver¬
langt Maßregeln, um sich dieser Bedrohung zu erwehren.

Man wird sagen, daß diese Unterschiede in jedem großen Lande wieder¬
kehrten, aber die politische Zerrissenheit Deutschlands, die ungleichartige Ent¬
wicklung seiner Teile hat die Unterschiede verschärft.

Wenden wir uns nnn zu deu Gegensätzen in der Beurteilung der land¬
wirtschaftlichen Notlage. Unsre deutsche FreihandelSschnle, deren Katechismus
doch noch viel mehr enthält als den Freihandel, sagt- Es ist nicht wahr, daß
die Landwirtschaft aufgehört habe, ein lohnendes Gewerbe zu sei". Sie ist es
nur dann nicht, wenn die großen Landwirte nicht Gewerbtreibende, sondern
Rentner sein wolle", die ihrem Landbesitz die Mittel zum Aufwand eines
Herrenlebens entnehme". Um sich aufzuhelfen, brauchen sie nnr bescheidner
zu lebe". Aber ihr Besitz ist-nicht durch verschwenderisches Leben, sondern
durch patriotische Opfer, durch Erbteiluug und dergleichen verschuldet. -- Thut


>vie ist der deutschen Landwnlschaft helfeln

Wege betrifft, wieder ganz andre Wunsche haben. Dann kommen die wohl¬
habenden Bauern in einigen Gegenden Süddeutschlands. Dann kommt der
zersplitterte Grundbesitz am Rhein, dann wieder die großen Bauergüter der
Marschen. Wir dürfen aber auch die Bevölkerung nicht vergessen, die ohne
nennenswerten eignen Besitz auf dem Lande angesiedelt ist und ihren Erwerb
im Tngelohn findet, sei eS als einzigen, sei es als Nebenverdienst. Abgesehen
davon, daß die Absatzwege dieser Gruppen verschieden sind, so sind auch die
Bedürfnisse der Berufsklassen innerhalb der Gruppen verschieden. Mau sucht
sich zwar über diese Verschiedenheit mit dem einen Worte hinwegzutäuschen,
daß es den Arbeiter» ant gehe, wo es den Arbeitshcrrcn gut geht, aber diese
Täuschung hält bei genaueren Zusehen nicht vor. Hohe Getreidepreise sind
für den Großgrundbesitzer vorteilhaft, für den Arbeiter ist der Nutzen zweifel¬
haft. Mit Lohnerhöhungen beeilt sich der Arbeitsherr auch bei gutem Absatz
uicht; je mehr also die reine Geldwirtschnft ans dem Lande durchgeführt wird,
desto weniger helfe» dem Arbeiter, der sein Getreide gar uicht oder nicht in
ausreichender Meiige selbst baut, die hohe» Preise.

Außer dem Unterschiede der la»bliebe» Berufsklassen fällt aber vor allen,
der Unterschied der landschaftlichen Gruppen ins Gewicht. Eine Landschaft,
die weit über ihr eignes Vedürfms hinaus erzeugt, braucht natürlich begneme
Absatzwege. Eine Landschaft, die unter ihrem Bedürfnis erzeugt, möchte den
Zugang zu ihrem Gebiet erschweren; wohlgemerkt, nicht die ganze Bevölkerung
der Landschaft möchte das, wohl aber die Grundbesitzer, denn desto höhere
Preise können sie stellen. Noch gesteigert wird der Unterschied der landschaft¬
lichen Gruppen durch die Nachbarschaft. Die eine Landschaft findet aus¬
ländische Absatzmärkte und richtet ans die Behauptung dieser Märkte nicht nur
die Art ihrer Erzeugung ein, sonder» auch ihren Handel, nicht bloß den Aus¬
fuhrhandel, souderu auch den Einfuhrhandel. Eine andre Landschaft hat von
der Nachbarschaft die Bedrohung ihres eignen Absatzes zu fürchten und ver¬
langt Maßregeln, um sich dieser Bedrohung zu erwehren.

Man wird sagen, daß diese Unterschiede in jedem großen Lande wieder¬
kehrten, aber die politische Zerrissenheit Deutschlands, die ungleichartige Ent¬
wicklung seiner Teile hat die Unterschiede verschärft.

Wenden wir uns nnn zu deu Gegensätzen in der Beurteilung der land¬
wirtschaftlichen Notlage. Unsre deutsche FreihandelSschnle, deren Katechismus
doch noch viel mehr enthält als den Freihandel, sagt- Es ist nicht wahr, daß
die Landwirtschaft aufgehört habe, ein lohnendes Gewerbe zu sei». Sie ist es
nur dann nicht, wenn die großen Landwirte nicht Gewerbtreibende, sondern
Rentner sein wolle», die ihrem Landbesitz die Mittel zum Aufwand eines
Herrenlebens entnehme». Um sich aufzuhelfen, brauchen sie nnr bescheidner
zu lebe». Aber ihr Besitz ist-nicht durch verschwenderisches Leben, sondern
durch patriotische Opfer, durch Erbteiluug und dergleichen verschuldet. — Thut


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209771"/>
          <fw type="header" place="top"> &gt;vie ist der deutschen Landwnlschaft helfeln</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1504" prev="#ID_1503"> Wege betrifft, wieder ganz andre Wunsche haben. Dann kommen die wohl¬<lb/>
habenden Bauern in einigen Gegenden Süddeutschlands. Dann kommt der<lb/>
zersplitterte Grundbesitz am Rhein, dann wieder die großen Bauergüter der<lb/>
Marschen. Wir dürfen aber auch die Bevölkerung nicht vergessen, die ohne<lb/>
nennenswerten eignen Besitz auf dem Lande angesiedelt ist und ihren Erwerb<lb/>
im Tngelohn findet, sei eS als einzigen, sei es als Nebenverdienst. Abgesehen<lb/>
davon, daß die Absatzwege dieser Gruppen verschieden sind, so sind auch die<lb/>
Bedürfnisse der Berufsklassen innerhalb der Gruppen verschieden. Mau sucht<lb/>
sich zwar über diese Verschiedenheit mit dem einen Worte hinwegzutäuschen,<lb/>
daß es den Arbeiter» ant gehe, wo es den Arbeitshcrrcn gut geht, aber diese<lb/>
Täuschung hält bei genaueren Zusehen nicht vor. Hohe Getreidepreise sind<lb/>
für den Großgrundbesitzer vorteilhaft, für den Arbeiter ist der Nutzen zweifel¬<lb/>
haft. Mit Lohnerhöhungen beeilt sich der Arbeitsherr auch bei gutem Absatz<lb/>
uicht; je mehr also die reine Geldwirtschnft ans dem Lande durchgeführt wird,<lb/>
desto weniger helfe» dem Arbeiter, der sein Getreide gar uicht oder nicht in<lb/>
ausreichender Meiige selbst baut, die hohe» Preise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1505"> Außer dem Unterschiede der la»bliebe» Berufsklassen fällt aber vor allen,<lb/>
der Unterschied der landschaftlichen Gruppen ins Gewicht. Eine Landschaft,<lb/>
die weit über ihr eignes Vedürfms hinaus erzeugt, braucht natürlich begneme<lb/>
Absatzwege. Eine Landschaft, die unter ihrem Bedürfnis erzeugt, möchte den<lb/>
Zugang zu ihrem Gebiet erschweren; wohlgemerkt, nicht die ganze Bevölkerung<lb/>
der Landschaft möchte das, wohl aber die Grundbesitzer, denn desto höhere<lb/>
Preise können sie stellen. Noch gesteigert wird der Unterschied der landschaft¬<lb/>
lichen Gruppen durch die Nachbarschaft. Die eine Landschaft findet aus¬<lb/>
ländische Absatzmärkte und richtet ans die Behauptung dieser Märkte nicht nur<lb/>
die Art ihrer Erzeugung ein, sonder» auch ihren Handel, nicht bloß den Aus¬<lb/>
fuhrhandel, souderu auch den Einfuhrhandel. Eine andre Landschaft hat von<lb/>
der Nachbarschaft die Bedrohung ihres eignen Absatzes zu fürchten und ver¬<lb/>
langt Maßregeln, um sich dieser Bedrohung zu erwehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1506"> Man wird sagen, daß diese Unterschiede in jedem großen Lande wieder¬<lb/>
kehrten, aber die politische Zerrissenheit Deutschlands, die ungleichartige Ent¬<lb/>
wicklung seiner Teile hat die Unterschiede verschärft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1507" next="#ID_1508"> Wenden wir uns nnn zu deu Gegensätzen in der Beurteilung der land¬<lb/>
wirtschaftlichen Notlage. Unsre deutsche FreihandelSschnle, deren Katechismus<lb/>
doch noch viel mehr enthält als den Freihandel, sagt- Es ist nicht wahr, daß<lb/>
die Landwirtschaft aufgehört habe, ein lohnendes Gewerbe zu sei». Sie ist es<lb/>
nur dann nicht, wenn die großen Landwirte nicht Gewerbtreibende, sondern<lb/>
Rentner sein wolle», die ihrem Landbesitz die Mittel zum Aufwand eines<lb/>
Herrenlebens entnehme». Um sich aufzuhelfen, brauchen sie nnr bescheidner<lb/>
zu lebe». Aber ihr Besitz ist-nicht durch verschwenderisches Leben, sondern<lb/>
durch patriotische Opfer, durch Erbteiluug und dergleichen verschuldet. &#x2014; Thut</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] >vie ist der deutschen Landwnlschaft helfeln Wege betrifft, wieder ganz andre Wunsche haben. Dann kommen die wohl¬ habenden Bauern in einigen Gegenden Süddeutschlands. Dann kommt der zersplitterte Grundbesitz am Rhein, dann wieder die großen Bauergüter der Marschen. Wir dürfen aber auch die Bevölkerung nicht vergessen, die ohne nennenswerten eignen Besitz auf dem Lande angesiedelt ist und ihren Erwerb im Tngelohn findet, sei eS als einzigen, sei es als Nebenverdienst. Abgesehen davon, daß die Absatzwege dieser Gruppen verschieden sind, so sind auch die Bedürfnisse der Berufsklassen innerhalb der Gruppen verschieden. Mau sucht sich zwar über diese Verschiedenheit mit dem einen Worte hinwegzutäuschen, daß es den Arbeiter» ant gehe, wo es den Arbeitshcrrcn gut geht, aber diese Täuschung hält bei genaueren Zusehen nicht vor. Hohe Getreidepreise sind für den Großgrundbesitzer vorteilhaft, für den Arbeiter ist der Nutzen zweifel¬ haft. Mit Lohnerhöhungen beeilt sich der Arbeitsherr auch bei gutem Absatz uicht; je mehr also die reine Geldwirtschnft ans dem Lande durchgeführt wird, desto weniger helfe» dem Arbeiter, der sein Getreide gar uicht oder nicht in ausreichender Meiige selbst baut, die hohe» Preise. Außer dem Unterschiede der la»bliebe» Berufsklassen fällt aber vor allen, der Unterschied der landschaftlichen Gruppen ins Gewicht. Eine Landschaft, die weit über ihr eignes Vedürfms hinaus erzeugt, braucht natürlich begneme Absatzwege. Eine Landschaft, die unter ihrem Bedürfnis erzeugt, möchte den Zugang zu ihrem Gebiet erschweren; wohlgemerkt, nicht die ganze Bevölkerung der Landschaft möchte das, wohl aber die Grundbesitzer, denn desto höhere Preise können sie stellen. Noch gesteigert wird der Unterschied der landschaft¬ lichen Gruppen durch die Nachbarschaft. Die eine Landschaft findet aus¬ ländische Absatzmärkte und richtet ans die Behauptung dieser Märkte nicht nur die Art ihrer Erzeugung ein, sonder» auch ihren Handel, nicht bloß den Aus¬ fuhrhandel, souderu auch den Einfuhrhandel. Eine andre Landschaft hat von der Nachbarschaft die Bedrohung ihres eignen Absatzes zu fürchten und ver¬ langt Maßregeln, um sich dieser Bedrohung zu erwehren. Man wird sagen, daß diese Unterschiede in jedem großen Lande wieder¬ kehrten, aber die politische Zerrissenheit Deutschlands, die ungleichartige Ent¬ wicklung seiner Teile hat die Unterschiede verschärft. Wenden wir uns nnn zu deu Gegensätzen in der Beurteilung der land¬ wirtschaftlichen Notlage. Unsre deutsche FreihandelSschnle, deren Katechismus doch noch viel mehr enthält als den Freihandel, sagt- Es ist nicht wahr, daß die Landwirtschaft aufgehört habe, ein lohnendes Gewerbe zu sei». Sie ist es nur dann nicht, wenn die großen Landwirte nicht Gewerbtreibende, sondern Rentner sein wolle», die ihrem Landbesitz die Mittel zum Aufwand eines Herrenlebens entnehme». Um sich aufzuhelfen, brauchen sie nnr bescheidner zu lebe». Aber ihr Besitz ist-nicht durch verschwenderisches Leben, sondern durch patriotische Opfer, durch Erbteiluug und dergleichen verschuldet. — Thut

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/538>, abgerufen am 23.07.2024.