Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nokokostndien

für rasche Einwurzelung und weitres Gedeihen günstig. In der wegen ihres
"artigen Frauenzimmers" im siebzehnten Jahrhundert weithin berühmten Stadt
brachte man allen Tvilettenfragen die regste Teilnahme entgegen, begeisterte man
sich rasch für die neuesten und zierlichsten Schöpfungen des französischen Geistes.
Nur machte mau sich das Fremde nicht in blinder Nachahmung zu eigen,
sondern verstand es, ihm durch kleine eigne Zuthaten und Umbildungen ein
eigentümliches Gepräge zu geben. Die so geschaffene Leipziger Mode "fran¬
zösisch halb, halb deutsch" wurde wieder das bewunderte Vorbild weiter Kreise,
eine "Pythia der Provinzialen." Besondre Sorgfalt wendete man der Pflege
des Gesichtes zu.


Die Schöne malte sich mit Rosen ihre Wange",
Und Lilien blühten aus, die in der Nacht vergangen.
Im ganzen Leipzig war kein einzig Mädchen alt.
So sehr verbesserte die Schminke die Gestalt.

So schildert Zacharias Spott die Morgenarbeit der Leipziger Schönen. Sie
hatten Grund, zu diesen malerischen Künsten ihre Zuflucht zu nehmen.
Manche waren bemüht, mit ihrer Hilfe die für den Teint gefährlichen Wir¬
kungen des grade von den Frauen Leipzigs mit Leidenschaft gepflegten Kasfee-
genusfes zu verbergen. Von ihm bemerkt ein Beobachter aus dem Jahre 17 U!,
er mache eine gelbe Haut, "wie solches das Leipziger Frauenzimmer gar
deutlich beweiset."

Diese modischen Neigungen der Frauen trafen leider oft feindlich zusammen
mit den Ansichten der Obrigkeit. Die Väter der Stadt, der schweren Ver¬
antwortlichkeit für die wirtschaftliche Wohlfahrt und das Seelenheil ihrer Schutz¬
befohlenen sich wohl bewußt, suchten mit einer rührenden Ausdauer der Zu¬
nahme des Luxus zu steuern und den Strom der fremden Modell rechtzeitig
einzudämmen. Die gehäuftem Kleidverordnungen des siebzehnten Jahrhunderts
"1634, 1640. 1652. 1661, 1664, 167Z, 1680) legen -- wie anderwärts -- ein
ebenso beredtes Zeugnis ab für den löblichen Eifer des Magistrats und für
die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen. Mußte doch der Rat in den: Nanclawnr
^nun 1664 bekennen, er habe "fast wehmütig und mit Schmerzen" gesehen,
wie wenig die von ihm erlassenen Verordnungen beachtet würden. Änliche
Klagen wiederholen sich. Nicht belehrt durch solche trübe Erfahrungen unter¬
nahm die Obrigkeit den Kampf gegen die Hydra von neuem und richtete auch
uns den jüngsten Eindringling, die Musche, ihr Augenmerk. Stolz verkündete
die Kleiderordnung von 1680: "Alle unzüchtige, freche und zu allerhand
Ueppigkeit, großen Aergerniß, Verschwendung und vielen Kosten Anlaß gebende
neue Moden und darunter zugleich mit die Entblößung der Brüste, worüber
Gott- und Ehrliebende Meuscheu einen Abscheu haben, schwache Pflästergen,
welche zum Uebermuth in die Gesichter bißher geklebt worden .... wollen wir
verbothen haben." Man sieht hieraus, daß sich in der Zeit von 167!! bis


Grenzboten l 1391 v!'.
Nokokostndien

für rasche Einwurzelung und weitres Gedeihen günstig. In der wegen ihres
„artigen Frauenzimmers" im siebzehnten Jahrhundert weithin berühmten Stadt
brachte man allen Tvilettenfragen die regste Teilnahme entgegen, begeisterte man
sich rasch für die neuesten und zierlichsten Schöpfungen des französischen Geistes.
Nur machte mau sich das Fremde nicht in blinder Nachahmung zu eigen,
sondern verstand es, ihm durch kleine eigne Zuthaten und Umbildungen ein
eigentümliches Gepräge zu geben. Die so geschaffene Leipziger Mode „fran¬
zösisch halb, halb deutsch" wurde wieder das bewunderte Vorbild weiter Kreise,
eine „Pythia der Provinzialen." Besondre Sorgfalt wendete man der Pflege
des Gesichtes zu.


Die Schöne malte sich mit Rosen ihre Wange»,
Und Lilien blühten aus, die in der Nacht vergangen.
Im ganzen Leipzig war kein einzig Mädchen alt.
So sehr verbesserte die Schminke die Gestalt.

So schildert Zacharias Spott die Morgenarbeit der Leipziger Schönen. Sie
hatten Grund, zu diesen malerischen Künsten ihre Zuflucht zu nehmen.
Manche waren bemüht, mit ihrer Hilfe die für den Teint gefährlichen Wir¬
kungen des grade von den Frauen Leipzigs mit Leidenschaft gepflegten Kasfee-
genusfes zu verbergen. Von ihm bemerkt ein Beobachter aus dem Jahre 17 U!,
er mache eine gelbe Haut, „wie solches das Leipziger Frauenzimmer gar
deutlich beweiset."

Diese modischen Neigungen der Frauen trafen leider oft feindlich zusammen
mit den Ansichten der Obrigkeit. Die Väter der Stadt, der schweren Ver¬
antwortlichkeit für die wirtschaftliche Wohlfahrt und das Seelenheil ihrer Schutz¬
befohlenen sich wohl bewußt, suchten mit einer rührenden Ausdauer der Zu¬
nahme des Luxus zu steuern und den Strom der fremden Modell rechtzeitig
einzudämmen. Die gehäuftem Kleidverordnungen des siebzehnten Jahrhunderts
«1634, 1640. 1652. 1661, 1664, 167Z, 1680) legen — wie anderwärts — ein
ebenso beredtes Zeugnis ab für den löblichen Eifer des Magistrats und für
die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen. Mußte doch der Rat in den: Nanclawnr
^nun 1664 bekennen, er habe „fast wehmütig und mit Schmerzen" gesehen,
wie wenig die von ihm erlassenen Verordnungen beachtet würden. Änliche
Klagen wiederholen sich. Nicht belehrt durch solche trübe Erfahrungen unter¬
nahm die Obrigkeit den Kampf gegen die Hydra von neuem und richtete auch
uns den jüngsten Eindringling, die Musche, ihr Augenmerk. Stolz verkündete
die Kleiderordnung von 1680: „Alle unzüchtige, freche und zu allerhand
Ueppigkeit, großen Aergerniß, Verschwendung und vielen Kosten Anlaß gebende
neue Moden und darunter zugleich mit die Entblößung der Brüste, worüber
Gott- und Ehrliebende Meuscheu einen Abscheu haben, schwache Pflästergen,
welche zum Uebermuth in die Gesichter bißher geklebt worden .... wollen wir
verbothen haben." Man sieht hieraus, daß sich in der Zeit von 167!! bis


Grenzboten l 1391 v!'.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209754"/>
          <fw type="header" place="top"> Nokokostndien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1454" prev="#ID_1453"> für rasche Einwurzelung und weitres Gedeihen günstig. In der wegen ihres<lb/>
&#x201E;artigen Frauenzimmers" im siebzehnten Jahrhundert weithin berühmten Stadt<lb/>
brachte man allen Tvilettenfragen die regste Teilnahme entgegen, begeisterte man<lb/>
sich rasch für die neuesten und zierlichsten Schöpfungen des französischen Geistes.<lb/>
Nur machte mau sich das Fremde nicht in blinder Nachahmung zu eigen,<lb/>
sondern verstand es, ihm durch kleine eigne Zuthaten und Umbildungen ein<lb/>
eigentümliches Gepräge zu geben. Die so geschaffene Leipziger Mode &#x201E;fran¬<lb/>
zösisch halb, halb deutsch" wurde wieder das bewunderte Vorbild weiter Kreise,<lb/>
eine &#x201E;Pythia der Provinzialen." Besondre Sorgfalt wendete man der Pflege<lb/>
des Gesichtes zu.</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_59" type="poem">
              <l> Die Schöne malte sich mit Rosen ihre Wange»,<lb/>
Und Lilien blühten aus, die in der Nacht vergangen.<lb/>
Im ganzen Leipzig war kein einzig Mädchen alt.<lb/>
So sehr verbesserte die Schminke die Gestalt.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1455"> So schildert Zacharias Spott die Morgenarbeit der Leipziger Schönen. Sie<lb/>
hatten Grund, zu diesen malerischen Künsten ihre Zuflucht zu nehmen.<lb/>
Manche waren bemüht, mit ihrer Hilfe die für den Teint gefährlichen Wir¬<lb/>
kungen des grade von den Frauen Leipzigs mit Leidenschaft gepflegten Kasfee-<lb/>
genusfes zu verbergen. Von ihm bemerkt ein Beobachter aus dem Jahre 17 U!,<lb/>
er mache eine gelbe Haut, &#x201E;wie solches das Leipziger Frauenzimmer gar<lb/>
deutlich beweiset."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1456" next="#ID_1457"> Diese modischen Neigungen der Frauen trafen leider oft feindlich zusammen<lb/>
mit den Ansichten der Obrigkeit. Die Väter der Stadt, der schweren Ver¬<lb/>
antwortlichkeit für die wirtschaftliche Wohlfahrt und das Seelenheil ihrer Schutz¬<lb/>
befohlenen sich wohl bewußt, suchten mit einer rührenden Ausdauer der Zu¬<lb/>
nahme des Luxus zu steuern und den Strom der fremden Modell rechtzeitig<lb/>
einzudämmen. Die gehäuftem Kleidverordnungen des siebzehnten Jahrhunderts<lb/>
«1634, 1640. 1652. 1661, 1664, 167Z, 1680) legen &#x2014; wie anderwärts &#x2014; ein<lb/>
ebenso beredtes Zeugnis ab für den löblichen Eifer des Magistrats und für<lb/>
die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen. Mußte doch der Rat in den: Nanclawnr<lb/>
^nun 1664 bekennen, er habe &#x201E;fast wehmütig und mit Schmerzen" gesehen,<lb/>
wie wenig die von ihm erlassenen Verordnungen beachtet würden. Änliche<lb/>
Klagen wiederholen sich. Nicht belehrt durch solche trübe Erfahrungen unter¬<lb/>
nahm die Obrigkeit den Kampf gegen die Hydra von neuem und richtete auch<lb/>
uns den jüngsten Eindringling, die Musche, ihr Augenmerk. Stolz verkündete<lb/>
die Kleiderordnung von 1680: &#x201E;Alle unzüchtige, freche und zu allerhand<lb/>
Ueppigkeit, großen Aergerniß, Verschwendung und vielen Kosten Anlaß gebende<lb/>
neue Moden und darunter zugleich mit die Entblößung der Brüste, worüber<lb/>
Gott- und Ehrliebende Meuscheu einen Abscheu haben, schwache Pflästergen,<lb/>
welche zum Uebermuth in die Gesichter bißher geklebt worden .... wollen wir<lb/>
verbothen haben."  Man sieht hieraus, daß sich in der Zeit von 167!! bis</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten l 1391 v!'.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] Nokokostndien für rasche Einwurzelung und weitres Gedeihen günstig. In der wegen ihres „artigen Frauenzimmers" im siebzehnten Jahrhundert weithin berühmten Stadt brachte man allen Tvilettenfragen die regste Teilnahme entgegen, begeisterte man sich rasch für die neuesten und zierlichsten Schöpfungen des französischen Geistes. Nur machte mau sich das Fremde nicht in blinder Nachahmung zu eigen, sondern verstand es, ihm durch kleine eigne Zuthaten und Umbildungen ein eigentümliches Gepräge zu geben. Die so geschaffene Leipziger Mode „fran¬ zösisch halb, halb deutsch" wurde wieder das bewunderte Vorbild weiter Kreise, eine „Pythia der Provinzialen." Besondre Sorgfalt wendete man der Pflege des Gesichtes zu. Die Schöne malte sich mit Rosen ihre Wange», Und Lilien blühten aus, die in der Nacht vergangen. Im ganzen Leipzig war kein einzig Mädchen alt. So sehr verbesserte die Schminke die Gestalt. So schildert Zacharias Spott die Morgenarbeit der Leipziger Schönen. Sie hatten Grund, zu diesen malerischen Künsten ihre Zuflucht zu nehmen. Manche waren bemüht, mit ihrer Hilfe die für den Teint gefährlichen Wir¬ kungen des grade von den Frauen Leipzigs mit Leidenschaft gepflegten Kasfee- genusfes zu verbergen. Von ihm bemerkt ein Beobachter aus dem Jahre 17 U!, er mache eine gelbe Haut, „wie solches das Leipziger Frauenzimmer gar deutlich beweiset." Diese modischen Neigungen der Frauen trafen leider oft feindlich zusammen mit den Ansichten der Obrigkeit. Die Väter der Stadt, der schweren Ver¬ antwortlichkeit für die wirtschaftliche Wohlfahrt und das Seelenheil ihrer Schutz¬ befohlenen sich wohl bewußt, suchten mit einer rührenden Ausdauer der Zu¬ nahme des Luxus zu steuern und den Strom der fremden Modell rechtzeitig einzudämmen. Die gehäuftem Kleidverordnungen des siebzehnten Jahrhunderts «1634, 1640. 1652. 1661, 1664, 167Z, 1680) legen — wie anderwärts — ein ebenso beredtes Zeugnis ab für den löblichen Eifer des Magistrats und für die Erfolglosigkeit seiner Bemühungen. Mußte doch der Rat in den: Nanclawnr ^nun 1664 bekennen, er habe „fast wehmütig und mit Schmerzen" gesehen, wie wenig die von ihm erlassenen Verordnungen beachtet würden. Änliche Klagen wiederholen sich. Nicht belehrt durch solche trübe Erfahrungen unter¬ nahm die Obrigkeit den Kampf gegen die Hydra von neuem und richtete auch uns den jüngsten Eindringling, die Musche, ihr Augenmerk. Stolz verkündete die Kleiderordnung von 1680: „Alle unzüchtige, freche und zu allerhand Ueppigkeit, großen Aergerniß, Verschwendung und vielen Kosten Anlaß gebende neue Moden und darunter zugleich mit die Entblößung der Brüste, worüber Gott- und Ehrliebende Meuscheu einen Abscheu haben, schwache Pflästergen, welche zum Uebermuth in die Gesichter bißher geklebt worden .... wollen wir verbothen haben." Man sieht hieraus, daß sich in der Zeit von 167!! bis Grenzboten l 1391 v!'.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/521>, abgerufen am 23.07.2024.