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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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schrittstheorieu mit unserm Glaubenssätze, daß der einzelne Mensch, wie auch
Fichte lehrt, Selbstzweck ist, erscheinen sie als unannehmbar, weil sie teils
nebelhaft und phantastisch sind, teils der Erfahrung oder der vernünftigen
Überlegung widersprechen.

Bei manchen Darwinianern finden wir folgende Ansicht. Nachdem alle
Thätigkeiten, zu denen der Mensch seiner jetzigen Organisation nach befähigt
ist, gehörig eingeübt worden sein werden, werden sie, gleich den Bewegungen
einer in Gang gebrachten Maschine, ohne Absicht und Überlegung "automatisch"
ablaufen, etwa wie die Jnstinkthandlungen der Tiere. Mittlerweile wird sich
aus den vollkommensten der menschlichen Individuen eine neue Gattung höherer
Wesen mit erweitertem Gefühls- und Thätigieitskrcise entwickelt haben. Wahr¬
scheinlich, fügen wir bei, werden dann die Kunsterzeugnisse der in Arbeitstiere
verwandelten Menschen von jener höher" Gattung ebenso benutzt werden, wie
von uns das Erzeugnis der Bienen, und wir werden dann vielleicht zu dem
Zwecke gezüchtet werden, den Menschen höherer Ordnung Türme, Fernröhre,
elektrische Maschinen und Flügel zum Verkehr mit den Marsbewohnern an¬
zufertigen, die ja nach den Versicherungen phantasievoller Sterngucker eben¬
falls fliegen können. Den Gedanken an eine automatische Thätigkeit legt
nun allerdings die Fabrik- wie die Schreib- und Rechenstubenarbeit unsrer
Zeit ziemlich nahe; aber durch die mit immer rasenderer Schnelligkeit ein¬
ander jagenden Veränderungen wird das automatische Wesen, wo immer
es sich einrichten will, bald wieder aufgescheucht und in Verwirrung gebracht.
Was aber die Fortentwicklung der vollkommensten Menschen zu Wesen höherer
Ordnung anlangt, so denken gerade die Vollkommensten am wenigsten daran,
sich Flügel oder sonstige neue Glieder wachsen zu lassen und mousrrg. zu
werden; eben die vollkommensten Menschen wollen vor allem voll¬
kommene Menschen sein und bleiben.

Auch nicht einmal in dem Sinne ist eine Fortentwicklung wahrscheinlich,
daß sie sich auf eine feinere Ausbildung des Gehirns beschränkte, durch die
der Mensch zu höheren geistigen Leistungen befähigt würde. Eine Erhöhung
der Geisteskraft ist innerhalb der geschichtlichen Zeit nicht nachweisbar. Sehr
richtig bemerkte jüngst ein Geschichtsphilvsoph in den Preußischen Jahr¬
büchern, daß es lächerlich sein würde, wenn jemand Homer oder Dante oder
Rafael oder Titian oder Mozart übertreffen wollte. Jedes Zeitalter bringt
Geisteserzeugnisse hervor, die vollkommen in ihrer Art, daher schlechthin un¬
übertrefflich sind. Spätere Zeiten mögen Andersartiges erzeugen, was wieder
in seiner Art vollkommen ist, aber über die Kunstwerke der alten Zeit kann
sich das nicht stellen, sondern nur neben sie als ebenbürtig. Daß wir heute
in den Naturwissenschaften weit rascher fortschreiten als frühere Zeiten, ist
kein Beweis für unsre höhere Geisteskraft; vielmehr gehörte mehr Geisteskraft
dazu, den rechten Weg der Forschung zu finden, als auf dem gefundenen


schrittstheorieu mit unserm Glaubenssätze, daß der einzelne Mensch, wie auch
Fichte lehrt, Selbstzweck ist, erscheinen sie als unannehmbar, weil sie teils
nebelhaft und phantastisch sind, teils der Erfahrung oder der vernünftigen
Überlegung widersprechen.

Bei manchen Darwinianern finden wir folgende Ansicht. Nachdem alle
Thätigkeiten, zu denen der Mensch seiner jetzigen Organisation nach befähigt
ist, gehörig eingeübt worden sein werden, werden sie, gleich den Bewegungen
einer in Gang gebrachten Maschine, ohne Absicht und Überlegung „automatisch"
ablaufen, etwa wie die Jnstinkthandlungen der Tiere. Mittlerweile wird sich
aus den vollkommensten der menschlichen Individuen eine neue Gattung höherer
Wesen mit erweitertem Gefühls- und Thätigieitskrcise entwickelt haben. Wahr¬
scheinlich, fügen wir bei, werden dann die Kunsterzeugnisse der in Arbeitstiere
verwandelten Menschen von jener höher« Gattung ebenso benutzt werden, wie
von uns das Erzeugnis der Bienen, und wir werden dann vielleicht zu dem
Zwecke gezüchtet werden, den Menschen höherer Ordnung Türme, Fernröhre,
elektrische Maschinen und Flügel zum Verkehr mit den Marsbewohnern an¬
zufertigen, die ja nach den Versicherungen phantasievoller Sterngucker eben¬
falls fliegen können. Den Gedanken an eine automatische Thätigkeit legt
nun allerdings die Fabrik- wie die Schreib- und Rechenstubenarbeit unsrer
Zeit ziemlich nahe; aber durch die mit immer rasenderer Schnelligkeit ein¬
ander jagenden Veränderungen wird das automatische Wesen, wo immer
es sich einrichten will, bald wieder aufgescheucht und in Verwirrung gebracht.
Was aber die Fortentwicklung der vollkommensten Menschen zu Wesen höherer
Ordnung anlangt, so denken gerade die Vollkommensten am wenigsten daran,
sich Flügel oder sonstige neue Glieder wachsen zu lassen und mousrrg. zu
werden; eben die vollkommensten Menschen wollen vor allem voll¬
kommene Menschen sein und bleiben.

Auch nicht einmal in dem Sinne ist eine Fortentwicklung wahrscheinlich,
daß sie sich auf eine feinere Ausbildung des Gehirns beschränkte, durch die
der Mensch zu höheren geistigen Leistungen befähigt würde. Eine Erhöhung
der Geisteskraft ist innerhalb der geschichtlichen Zeit nicht nachweisbar. Sehr
richtig bemerkte jüngst ein Geschichtsphilvsoph in den Preußischen Jahr¬
büchern, daß es lächerlich sein würde, wenn jemand Homer oder Dante oder
Rafael oder Titian oder Mozart übertreffen wollte. Jedes Zeitalter bringt
Geisteserzeugnisse hervor, die vollkommen in ihrer Art, daher schlechthin un¬
übertrefflich sind. Spätere Zeiten mögen Andersartiges erzeugen, was wieder
in seiner Art vollkommen ist, aber über die Kunstwerke der alten Zeit kann
sich das nicht stellen, sondern nur neben sie als ebenbürtig. Daß wir heute
in den Naturwissenschaften weit rascher fortschreiten als frühere Zeiten, ist
kein Beweis für unsre höhere Geisteskraft; vielmehr gehörte mehr Geisteskraft
dazu, den rechten Weg der Forschung zu finden, als auf dem gefundenen


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[0510] schrittstheorieu mit unserm Glaubenssätze, daß der einzelne Mensch, wie auch Fichte lehrt, Selbstzweck ist, erscheinen sie als unannehmbar, weil sie teils nebelhaft und phantastisch sind, teils der Erfahrung oder der vernünftigen Überlegung widersprechen. Bei manchen Darwinianern finden wir folgende Ansicht. Nachdem alle Thätigkeiten, zu denen der Mensch seiner jetzigen Organisation nach befähigt ist, gehörig eingeübt worden sein werden, werden sie, gleich den Bewegungen einer in Gang gebrachten Maschine, ohne Absicht und Überlegung „automatisch" ablaufen, etwa wie die Jnstinkthandlungen der Tiere. Mittlerweile wird sich aus den vollkommensten der menschlichen Individuen eine neue Gattung höherer Wesen mit erweitertem Gefühls- und Thätigieitskrcise entwickelt haben. Wahr¬ scheinlich, fügen wir bei, werden dann die Kunsterzeugnisse der in Arbeitstiere verwandelten Menschen von jener höher« Gattung ebenso benutzt werden, wie von uns das Erzeugnis der Bienen, und wir werden dann vielleicht zu dem Zwecke gezüchtet werden, den Menschen höherer Ordnung Türme, Fernröhre, elektrische Maschinen und Flügel zum Verkehr mit den Marsbewohnern an¬ zufertigen, die ja nach den Versicherungen phantasievoller Sterngucker eben¬ falls fliegen können. Den Gedanken an eine automatische Thätigkeit legt nun allerdings die Fabrik- wie die Schreib- und Rechenstubenarbeit unsrer Zeit ziemlich nahe; aber durch die mit immer rasenderer Schnelligkeit ein¬ ander jagenden Veränderungen wird das automatische Wesen, wo immer es sich einrichten will, bald wieder aufgescheucht und in Verwirrung gebracht. Was aber die Fortentwicklung der vollkommensten Menschen zu Wesen höherer Ordnung anlangt, so denken gerade die Vollkommensten am wenigsten daran, sich Flügel oder sonstige neue Glieder wachsen zu lassen und mousrrg. zu werden; eben die vollkommensten Menschen wollen vor allem voll¬ kommene Menschen sein und bleiben. Auch nicht einmal in dem Sinne ist eine Fortentwicklung wahrscheinlich, daß sie sich auf eine feinere Ausbildung des Gehirns beschränkte, durch die der Mensch zu höheren geistigen Leistungen befähigt würde. Eine Erhöhung der Geisteskraft ist innerhalb der geschichtlichen Zeit nicht nachweisbar. Sehr richtig bemerkte jüngst ein Geschichtsphilvsoph in den Preußischen Jahr¬ büchern, daß es lächerlich sein würde, wenn jemand Homer oder Dante oder Rafael oder Titian oder Mozart übertreffen wollte. Jedes Zeitalter bringt Geisteserzeugnisse hervor, die vollkommen in ihrer Art, daher schlechthin un¬ übertrefflich sind. Spätere Zeiten mögen Andersartiges erzeugen, was wieder in seiner Art vollkommen ist, aber über die Kunstwerke der alten Zeit kann sich das nicht stellen, sondern nur neben sie als ebenbürtig. Daß wir heute in den Naturwissenschaften weit rascher fortschreiten als frühere Zeiten, ist kein Beweis für unsre höhere Geisteskraft; vielmehr gehörte mehr Geisteskraft dazu, den rechten Weg der Forschung zu finden, als auf dem gefundenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/510>, abgerufen am 23.07.2024.