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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zeichen des Umschwungs

Wir bestätigen gern, daß auf dem Gebiete der innern Politik bereits
einige sehr bedeutsame Erfolge aufzuweisen sind. Daß die Einkommensteuer-
Vorlage unter Dach gebracht werden konnte, bedeutet einen so wesentlichen Fort¬
schritt, daß wir dein Finanzminister dazu nur unsern aufrichtigsten Glückwunsch
sagen können. Die Schnelligkeit und Energie, mit der diese für das Interesse
der Einzelnen gewiß lästige und drückende Maßnahme durchgesetzt wurde, steht
in der Geschichte unsers Verwaltungswesens fast einzig da. Noch ist Miqnel
kein Jahr Minister, und schon ist die Aufgabe gelöst, zu deren Durchführung er
wesentlich berufen worden ist. Es können in Zukunft nur noch kleinere Aufgaben
an ihn herantreten, wenn er in dieser Stellung bleibt, und es ist vielleicht
nicht unwahrscheinlich, daß man für nötig halten wird, seiner Energie ein
weiteres Feld zu öffnen.

Ein zweiter, kaum minder bedeutsamer Erfolg läßt sich mit voller Sicher¬
heit für die nächste Zukunft vorhersagen: die Annahme der Sperrgeldervorlnge
mit einer Modifikation, der dem Negierungsentwurf in protestantischen Augen
das Odium nimmt, das man wohl als einen zweiten Gang nach Kanossa be¬
zeichnen würde. Die Regierung hat allen Grund, den Konservativen dafür
dankbar zu sein, daß sie den Mittelweg gefunden haben, der der protestan¬
tischen Kirche erträglich und dem Zentrum annehmbar erscheint; denn eine
Quelle der Aufreizung und Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsschichten ist
damit glücklich verschlossen.

Endlich bezeichnen wir es als einen Erfolg, daß die Frage der Unter¬
offiziersprämien in der Form des Windthorstschen Antrages ihre Lösung ge¬
funden hat, eine Form, die wir zwar nicht für die denkbar beste halten
-- Hammachers Antrag war entschieden vorzuziehen --, die aber die Idee des
Regiernngsantrages rettet und der Armee einen nicht hoch genug anzuschlagen¬
den Nutzen bringt.

Aus alledem ergiebt sich, daß die Regierung von den so verschiedenartigen
Elementen unsrer Landtags- und Reichstngsvertretung eine sehr erkleckliche
Positive Arbeitsleistung zu erzielen gewußt hat, und wir halten es für eine
Pflicht politischer Loyalität, ausdrücklich hervorzuheben, daß hier ein großes
Persönliches Verdienst des Finanzministers und des Reichskanzlers vorliegt.

Auch das Wiederauftreten einer offiziösen Presse gilt uns als Fortschritt.
Die öffentliche Meinung muß wissen können, was die Regierung null, sonst
"irrlichterirt" sie hin und her, wie es Jahre hindurch geschehen ist. Freilich,
nicht alle Wünsche sind uns damit erfüllt. Das Schulgesetz hat Windthorst
in der unergründlichen Tiefe seiner Taschen s-et oalsiulas grasvas versteckt. Die
künftige Lösung der Landgemeindevrdnungsfrage läßt sich noch durchaus nicht
übersehen, und dasselbe gilt von andern wirtschaftlichen Zuknnftssorgen,
es gilt auch von der Sorge des Augenblicks, dem österreichisch-deutscheu
Handelsabkommen, worin sich Fragen der äußern nud der innern Politik von


Zeichen des Umschwungs

Wir bestätigen gern, daß auf dem Gebiete der innern Politik bereits
einige sehr bedeutsame Erfolge aufzuweisen sind. Daß die Einkommensteuer-
Vorlage unter Dach gebracht werden konnte, bedeutet einen so wesentlichen Fort¬
schritt, daß wir dein Finanzminister dazu nur unsern aufrichtigsten Glückwunsch
sagen können. Die Schnelligkeit und Energie, mit der diese für das Interesse
der Einzelnen gewiß lästige und drückende Maßnahme durchgesetzt wurde, steht
in der Geschichte unsers Verwaltungswesens fast einzig da. Noch ist Miqnel
kein Jahr Minister, und schon ist die Aufgabe gelöst, zu deren Durchführung er
wesentlich berufen worden ist. Es können in Zukunft nur noch kleinere Aufgaben
an ihn herantreten, wenn er in dieser Stellung bleibt, und es ist vielleicht
nicht unwahrscheinlich, daß man für nötig halten wird, seiner Energie ein
weiteres Feld zu öffnen.

Ein zweiter, kaum minder bedeutsamer Erfolg läßt sich mit voller Sicher¬
heit für die nächste Zukunft vorhersagen: die Annahme der Sperrgeldervorlnge
mit einer Modifikation, der dem Negierungsentwurf in protestantischen Augen
das Odium nimmt, das man wohl als einen zweiten Gang nach Kanossa be¬
zeichnen würde. Die Regierung hat allen Grund, den Konservativen dafür
dankbar zu sein, daß sie den Mittelweg gefunden haben, der der protestan¬
tischen Kirche erträglich und dem Zentrum annehmbar erscheint; denn eine
Quelle der Aufreizung und Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsschichten ist
damit glücklich verschlossen.

Endlich bezeichnen wir es als einen Erfolg, daß die Frage der Unter¬
offiziersprämien in der Form des Windthorstschen Antrages ihre Lösung ge¬
funden hat, eine Form, die wir zwar nicht für die denkbar beste halten
— Hammachers Antrag war entschieden vorzuziehen —, die aber die Idee des
Regiernngsantrages rettet und der Armee einen nicht hoch genug anzuschlagen¬
den Nutzen bringt.

Aus alledem ergiebt sich, daß die Regierung von den so verschiedenartigen
Elementen unsrer Landtags- und Reichstngsvertretung eine sehr erkleckliche
Positive Arbeitsleistung zu erzielen gewußt hat, und wir halten es für eine
Pflicht politischer Loyalität, ausdrücklich hervorzuheben, daß hier ein großes
Persönliches Verdienst des Finanzministers und des Reichskanzlers vorliegt.

Auch das Wiederauftreten einer offiziösen Presse gilt uns als Fortschritt.
Die öffentliche Meinung muß wissen können, was die Regierung null, sonst
„irrlichterirt" sie hin und her, wie es Jahre hindurch geschehen ist. Freilich,
nicht alle Wünsche sind uns damit erfüllt. Das Schulgesetz hat Windthorst
in der unergründlichen Tiefe seiner Taschen s-et oalsiulas grasvas versteckt. Die
künftige Lösung der Landgemeindevrdnungsfrage läßt sich noch durchaus nicht
übersehen, und dasselbe gilt von andern wirtschaftlichen Zuknnftssorgen,
es gilt auch von der Sorge des Augenblicks, dem österreichisch-deutscheu
Handelsabkommen, worin sich Fragen der äußern nud der innern Politik von


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[0491] Zeichen des Umschwungs Wir bestätigen gern, daß auf dem Gebiete der innern Politik bereits einige sehr bedeutsame Erfolge aufzuweisen sind. Daß die Einkommensteuer- Vorlage unter Dach gebracht werden konnte, bedeutet einen so wesentlichen Fort¬ schritt, daß wir dein Finanzminister dazu nur unsern aufrichtigsten Glückwunsch sagen können. Die Schnelligkeit und Energie, mit der diese für das Interesse der Einzelnen gewiß lästige und drückende Maßnahme durchgesetzt wurde, steht in der Geschichte unsers Verwaltungswesens fast einzig da. Noch ist Miqnel kein Jahr Minister, und schon ist die Aufgabe gelöst, zu deren Durchführung er wesentlich berufen worden ist. Es können in Zukunft nur noch kleinere Aufgaben an ihn herantreten, wenn er in dieser Stellung bleibt, und es ist vielleicht nicht unwahrscheinlich, daß man für nötig halten wird, seiner Energie ein weiteres Feld zu öffnen. Ein zweiter, kaum minder bedeutsamer Erfolg läßt sich mit voller Sicher¬ heit für die nächste Zukunft vorhersagen: die Annahme der Sperrgeldervorlnge mit einer Modifikation, der dem Negierungsentwurf in protestantischen Augen das Odium nimmt, das man wohl als einen zweiten Gang nach Kanossa be¬ zeichnen würde. Die Regierung hat allen Grund, den Konservativen dafür dankbar zu sein, daß sie den Mittelweg gefunden haben, der der protestan¬ tischen Kirche erträglich und dem Zentrum annehmbar erscheint; denn eine Quelle der Aufreizung und Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsschichten ist damit glücklich verschlossen. Endlich bezeichnen wir es als einen Erfolg, daß die Frage der Unter¬ offiziersprämien in der Form des Windthorstschen Antrages ihre Lösung ge¬ funden hat, eine Form, die wir zwar nicht für die denkbar beste halten — Hammachers Antrag war entschieden vorzuziehen —, die aber die Idee des Regiernngsantrages rettet und der Armee einen nicht hoch genug anzuschlagen¬ den Nutzen bringt. Aus alledem ergiebt sich, daß die Regierung von den so verschiedenartigen Elementen unsrer Landtags- und Reichstngsvertretung eine sehr erkleckliche Positive Arbeitsleistung zu erzielen gewußt hat, und wir halten es für eine Pflicht politischer Loyalität, ausdrücklich hervorzuheben, daß hier ein großes Persönliches Verdienst des Finanzministers und des Reichskanzlers vorliegt. Auch das Wiederauftreten einer offiziösen Presse gilt uns als Fortschritt. Die öffentliche Meinung muß wissen können, was die Regierung null, sonst „irrlichterirt" sie hin und her, wie es Jahre hindurch geschehen ist. Freilich, nicht alle Wünsche sind uns damit erfüllt. Das Schulgesetz hat Windthorst in der unergründlichen Tiefe seiner Taschen s-et oalsiulas grasvas versteckt. Die künftige Lösung der Landgemeindevrdnungsfrage läßt sich noch durchaus nicht übersehen, und dasselbe gilt von andern wirtschaftlichen Zuknnftssorgen, es gilt auch von der Sorge des Augenblicks, dem österreichisch-deutscheu Handelsabkommen, worin sich Fragen der äußern nud der innern Politik von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/491>, abgerufen am 23.07.2024.