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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Hedda Gabler

Am schwächsten scheint uns die erste Geschichte des Buches, "Das Jvrdausfest";
sie spielt in Nußland und ist russischen Erzählern nachempfunden. Im ganzen
also ein hoffnungsvoller "Antritt" der feinsinnigen Schauspielerin. In Zu¬
kunft möge sie bei dem Grundsatze beharre", nur davon zu erzählen, was sie
gut kennt, und ihre Sprache möge sie von den vielen unnötigen Fremdwörtern
säubern, die sie entstellen.




Hedda Gabler

it keinem seiner frühern Dramen hat Henrik Ibsen seinen Ver¬
ehrern eine geistig und sittlich so tief heruntergekommene Gesell¬
schaft vor Augen geführt, wie mit dem vieraktigen Schauspiele
"Hedda Gabler," das zuerst in München mit starkem Wider¬
spruch, darauf am 19. Februar im Berliner Lessingtheater in
Gegenwart des Dichters unter stürmischem Beifall, gegen deu die Proteste
der zischenden Minderheit nicht aufkommen konnten, aufgeführt wordeu ist.
Natürlich können solche Kraftproben roher Meinungsäußerungen, bei denen
der Klatschende stets über den Zischcr triumphirt, weil er das größere Geräusch
macht, das ästhetische Urteil über den künstlerischen Wert eines Schauspiels
nicht beeinflussen. Aber sie sind.....und das will in der Blütezeit der Cliquen¬
herrschaft und der Reklame viel sagen -- auch nicht mehr imstande, einen
Erfolg vorzuspiegeln, wo in Wirklichkeit ein Mißerfolg vorhanden war. In
dem besondern Falle, der uns hier beschäftigt, handelt es sich nicht etwa um
die rohe Gewalt bezahlter Claqueurs, souderu um den Kampf zwischen blinden
Fanatikern und bestürzten Zweiflern, die bereits an der Gottähnlichkeit ihres
Propheten irre zu werden beginnen. Sie bildeten die Hauptmasse der Be¬
sucher der ersten Vorstellung im Berliner Lessingtheater, und das unbefangene
Publikum, das die litterarische" Bestrebungen noch nicht von dem programm¬
mäßig umschriebenen Standpunkte doktrinärer politischer Parteien betrachtet,
gab bei den spätern Aufführungen seine Stimme so unzweideutig ab, daß das
Schallspiel trotz einer Darstellung, die vom Dichter selbst als vollkommen ge¬
priesen worden war, nach sechs Wiederholungen ebenso geräuschlos in die
Theaterbibliothek versank wie eine Jambentragödie aus der Hohenstaufenzeit.

Die zweifelnden Jbsenfreundc, die bis dahin mit rührendem Eifer, oft mit
einem heldenmütigen "üZ'riiinio <lsU' intsllotto für ihren Patron einen Feldzug


Hedda Gabler

Am schwächsten scheint uns die erste Geschichte des Buches, „Das Jvrdausfest";
sie spielt in Nußland und ist russischen Erzählern nachempfunden. Im ganzen
also ein hoffnungsvoller „Antritt" der feinsinnigen Schauspielerin. In Zu¬
kunft möge sie bei dem Grundsatze beharre», nur davon zu erzählen, was sie
gut kennt, und ihre Sprache möge sie von den vielen unnötigen Fremdwörtern
säubern, die sie entstellen.




Hedda Gabler

it keinem seiner frühern Dramen hat Henrik Ibsen seinen Ver¬
ehrern eine geistig und sittlich so tief heruntergekommene Gesell¬
schaft vor Augen geführt, wie mit dem vieraktigen Schauspiele
„Hedda Gabler," das zuerst in München mit starkem Wider¬
spruch, darauf am 19. Februar im Berliner Lessingtheater in
Gegenwart des Dichters unter stürmischem Beifall, gegen deu die Proteste
der zischenden Minderheit nicht aufkommen konnten, aufgeführt wordeu ist.
Natürlich können solche Kraftproben roher Meinungsäußerungen, bei denen
der Klatschende stets über den Zischcr triumphirt, weil er das größere Geräusch
macht, das ästhetische Urteil über den künstlerischen Wert eines Schauspiels
nicht beeinflussen. Aber sie sind.....und das will in der Blütezeit der Cliquen¬
herrschaft und der Reklame viel sagen — auch nicht mehr imstande, einen
Erfolg vorzuspiegeln, wo in Wirklichkeit ein Mißerfolg vorhanden war. In
dem besondern Falle, der uns hier beschäftigt, handelt es sich nicht etwa um
die rohe Gewalt bezahlter Claqueurs, souderu um den Kampf zwischen blinden
Fanatikern und bestürzten Zweiflern, die bereits an der Gottähnlichkeit ihres
Propheten irre zu werden beginnen. Sie bildeten die Hauptmasse der Be¬
sucher der ersten Vorstellung im Berliner Lessingtheater, und das unbefangene
Publikum, das die litterarische» Bestrebungen noch nicht von dem programm¬
mäßig umschriebenen Standpunkte doktrinärer politischer Parteien betrachtet,
gab bei den spätern Aufführungen seine Stimme so unzweideutig ab, daß das
Schallspiel trotz einer Darstellung, die vom Dichter selbst als vollkommen ge¬
priesen worden war, nach sechs Wiederholungen ebenso geräuschlos in die
Theaterbibliothek versank wie eine Jambentragödie aus der Hohenstaufenzeit.

Die zweifelnden Jbsenfreundc, die bis dahin mit rührendem Eifer, oft mit
einem heldenmütigen «üZ'riiinio <lsU' intsllotto für ihren Patron einen Feldzug


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[0472] Hedda Gabler Am schwächsten scheint uns die erste Geschichte des Buches, „Das Jvrdausfest"; sie spielt in Nußland und ist russischen Erzählern nachempfunden. Im ganzen also ein hoffnungsvoller „Antritt" der feinsinnigen Schauspielerin. In Zu¬ kunft möge sie bei dem Grundsatze beharre», nur davon zu erzählen, was sie gut kennt, und ihre Sprache möge sie von den vielen unnötigen Fremdwörtern säubern, die sie entstellen. Hedda Gabler it keinem seiner frühern Dramen hat Henrik Ibsen seinen Ver¬ ehrern eine geistig und sittlich so tief heruntergekommene Gesell¬ schaft vor Augen geführt, wie mit dem vieraktigen Schauspiele „Hedda Gabler," das zuerst in München mit starkem Wider¬ spruch, darauf am 19. Februar im Berliner Lessingtheater in Gegenwart des Dichters unter stürmischem Beifall, gegen deu die Proteste der zischenden Minderheit nicht aufkommen konnten, aufgeführt wordeu ist. Natürlich können solche Kraftproben roher Meinungsäußerungen, bei denen der Klatschende stets über den Zischcr triumphirt, weil er das größere Geräusch macht, das ästhetische Urteil über den künstlerischen Wert eines Schauspiels nicht beeinflussen. Aber sie sind.....und das will in der Blütezeit der Cliquen¬ herrschaft und der Reklame viel sagen — auch nicht mehr imstande, einen Erfolg vorzuspiegeln, wo in Wirklichkeit ein Mißerfolg vorhanden war. In dem besondern Falle, der uns hier beschäftigt, handelt es sich nicht etwa um die rohe Gewalt bezahlter Claqueurs, souderu um den Kampf zwischen blinden Fanatikern und bestürzten Zweiflern, die bereits an der Gottähnlichkeit ihres Propheten irre zu werden beginnen. Sie bildeten die Hauptmasse der Be¬ sucher der ersten Vorstellung im Berliner Lessingtheater, und das unbefangene Publikum, das die litterarische» Bestrebungen noch nicht von dem programm¬ mäßig umschriebenen Standpunkte doktrinärer politischer Parteien betrachtet, gab bei den spätern Aufführungen seine Stimme so unzweideutig ab, daß das Schallspiel trotz einer Darstellung, die vom Dichter selbst als vollkommen ge¬ priesen worden war, nach sechs Wiederholungen ebenso geräuschlos in die Theaterbibliothek versank wie eine Jambentragödie aus der Hohenstaufenzeit. Die zweifelnden Jbsenfreundc, die bis dahin mit rührendem Eifer, oft mit einem heldenmütigen «üZ'riiinio <lsU' intsllotto für ihren Patron einen Feldzug

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/472>, abgerufen am 03.07.2024.