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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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von allerlei Dichterinnen

Wie Kinder stehn vor fremdem Gartenthor
Dahinter Blumen Märchentränme wecken,
So stehn mir vor der Hoffnung buntem Flor,
Sehnsüchtig tugend durch geschloßne Hecke".
Und endlich wird die Pforte aufgethan.
Die Kinder stürme" jubelnd auf die Beute;
Wo sind die Blumen, die wir leuchten sahn?
Sie blühn nur einen Tag, und der ist heute.
Die sticht! Du ziehst verletzt die Hand zurück,
Und die ist seellos (!), ohne Duft, deu(!) süßen; --
Die schönste, die bezaubert deinen Blick,
Die schönste -- füllt entblättert dir zu Füßen.
Die schon gepflückten welke" i" der Hand,
N"d achtlos läßt d" sie zu Boden sinken ^
O Zeit, da ich noch vor der Pforte stand
Und sah sie tanig durch daS Gitter bunte"!

Ein andres gelungenes Gedicht ist "Erwartung," das den nervösen Zustand
verliebten Wollens und Nichtwollens hübsch schildert. Auch die Gedichte auf
Bischer verdienen Lob. Im ganzen aber ist die Lyrik nicht das Gebiet, auf
dem sich Ilse Frapan auszeichnet. Ans Umwegen tritt jeuer Charakter einer
selbstherrliche" Natur, die mit allen ihre" guten n"d schlimmen Eigenschaften
so genommen werde" will, wie sie ist, i" ihren Novellen zu Tage, und zwar
dadurch, daß die Erzählerin solche schwer biegsame Nntnren selbst schildert.
Von jenem Selbstgefühl ans nimmt sie ihren Sta"dpn"le für die Betrachtung
der andern Menschen. Was dieser "Engen Welt" an Weite des Hintergrundes
und der Aussicht mangelt, soll die in die Tiefe gehende Charakteristik der
Gestalten ersetzen. Keine geringe Aufgabe! Indem sich die Verfasserin auf die
enge Welt beschränkt und ans die Mitwirkung allgemeiner Ausblicke in die
Gegenwart oder Vergangenheit verzichtet, hofft sie uns durch die Vertiefung
in die Innerlichkeit der Menschennatur, durch die eindringliche Seelenmalerei
im einzelne" und durch deren künstlerische Veranschaulichung fesseln zu könne".
Daher ihr eigentümlicher Stil, namentlich in der ersten Novelle: "Was Gottes
Wille ist," wo eine Menge Einzelheiten an einander gereiht werden, die
Handlung langsam vorwärts geht, bis schließlich die Szene möglich wird, auf
die die ganze Geschichte hinausläuft. Es ist eine schwäbische Dorfgeschichte, die
sich zu einer Schilderung des schwäbischen Stammescharakters erweitert. Mail
ist auch geneigt, anzunehmen, daß ein wirklicher Vorfall in Schwaben der Er¬
zählerin die Anregung zu der Novelle gegeben habe. Bei der Trauung eines
jungen Bauernpaares bleibt die Braut auf die Frage des Pfarrers, ob sie
den neben ihr stehenden Mann als Gatten anerkenne" wolle, zunächst die Ant¬
wort schuldig, und dann sagt sie geradezu "Noi!" Darauf entsteht natürlich
große Bewegung i" der Kirche. Da schiebt sich i" aller Eile die jüngere


von allerlei Dichterinnen

Wie Kinder stehn vor fremdem Gartenthor
Dahinter Blumen Märchentränme wecken,
So stehn mir vor der Hoffnung buntem Flor,
Sehnsüchtig tugend durch geschloßne Hecke».
Und endlich wird die Pforte aufgethan.
Die Kinder stürme» jubelnd auf die Beute;
Wo sind die Blumen, die wir leuchten sahn?
Sie blühn nur einen Tag, und der ist heute.
Die sticht! Du ziehst verletzt die Hand zurück,
Und die ist seellos (!), ohne Duft, deu(!) süßen; —
Die schönste, die bezaubert deinen Blick,
Die schönste — füllt entblättert dir zu Füßen.
Die schon gepflückten welke» i» der Hand,
N»d achtlos läßt d» sie zu Boden sinken ^
O Zeit, da ich noch vor der Pforte stand
Und sah sie tanig durch daS Gitter bunte»!

Ein andres gelungenes Gedicht ist „Erwartung," das den nervösen Zustand
verliebten Wollens und Nichtwollens hübsch schildert. Auch die Gedichte auf
Bischer verdienen Lob. Im ganzen aber ist die Lyrik nicht das Gebiet, auf
dem sich Ilse Frapan auszeichnet. Ans Umwegen tritt jeuer Charakter einer
selbstherrliche» Natur, die mit allen ihre» guten n»d schlimmen Eigenschaften
so genommen werde» will, wie sie ist, i» ihren Novellen zu Tage, und zwar
dadurch, daß die Erzählerin solche schwer biegsame Nntnren selbst schildert.
Von jenem Selbstgefühl ans nimmt sie ihren Sta»dpn»le für die Betrachtung
der andern Menschen. Was dieser „Engen Welt" an Weite des Hintergrundes
und der Aussicht mangelt, soll die in die Tiefe gehende Charakteristik der
Gestalten ersetzen. Keine geringe Aufgabe! Indem sich die Verfasserin auf die
enge Welt beschränkt und ans die Mitwirkung allgemeiner Ausblicke in die
Gegenwart oder Vergangenheit verzichtet, hofft sie uns durch die Vertiefung
in die Innerlichkeit der Menschennatur, durch die eindringliche Seelenmalerei
im einzelne» und durch deren künstlerische Veranschaulichung fesseln zu könne».
Daher ihr eigentümlicher Stil, namentlich in der ersten Novelle: „Was Gottes
Wille ist," wo eine Menge Einzelheiten an einander gereiht werden, die
Handlung langsam vorwärts geht, bis schließlich die Szene möglich wird, auf
die die ganze Geschichte hinausläuft. Es ist eine schwäbische Dorfgeschichte, die
sich zu einer Schilderung des schwäbischen Stammescharakters erweitert. Mail
ist auch geneigt, anzunehmen, daß ein wirklicher Vorfall in Schwaben der Er¬
zählerin die Anregung zu der Novelle gegeben habe. Bei der Trauung eines
jungen Bauernpaares bleibt die Braut auf die Frage des Pfarrers, ob sie
den neben ihr stehenden Mann als Gatten anerkenne» wolle, zunächst die Ant¬
wort schuldig, und dann sagt sie geradezu „Noi!" Darauf entsteht natürlich
große Bewegung i» der Kirche. Da schiebt sich i» aller Eile die jüngere


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[0468] von allerlei Dichterinnen Wie Kinder stehn vor fremdem Gartenthor Dahinter Blumen Märchentränme wecken, So stehn mir vor der Hoffnung buntem Flor, Sehnsüchtig tugend durch geschloßne Hecke». Und endlich wird die Pforte aufgethan. Die Kinder stürme» jubelnd auf die Beute; Wo sind die Blumen, die wir leuchten sahn? Sie blühn nur einen Tag, und der ist heute. Die sticht! Du ziehst verletzt die Hand zurück, Und die ist seellos (!), ohne Duft, deu(!) süßen; — Die schönste, die bezaubert deinen Blick, Die schönste — füllt entblättert dir zu Füßen. Die schon gepflückten welke» i» der Hand, N»d achtlos läßt d» sie zu Boden sinken ^ O Zeit, da ich noch vor der Pforte stand Und sah sie tanig durch daS Gitter bunte»! Ein andres gelungenes Gedicht ist „Erwartung," das den nervösen Zustand verliebten Wollens und Nichtwollens hübsch schildert. Auch die Gedichte auf Bischer verdienen Lob. Im ganzen aber ist die Lyrik nicht das Gebiet, auf dem sich Ilse Frapan auszeichnet. Ans Umwegen tritt jeuer Charakter einer selbstherrliche» Natur, die mit allen ihre» guten n»d schlimmen Eigenschaften so genommen werde» will, wie sie ist, i» ihren Novellen zu Tage, und zwar dadurch, daß die Erzählerin solche schwer biegsame Nntnren selbst schildert. Von jenem Selbstgefühl ans nimmt sie ihren Sta»dpn»le für die Betrachtung der andern Menschen. Was dieser „Engen Welt" an Weite des Hintergrundes und der Aussicht mangelt, soll die in die Tiefe gehende Charakteristik der Gestalten ersetzen. Keine geringe Aufgabe! Indem sich die Verfasserin auf die enge Welt beschränkt und ans die Mitwirkung allgemeiner Ausblicke in die Gegenwart oder Vergangenheit verzichtet, hofft sie uns durch die Vertiefung in die Innerlichkeit der Menschennatur, durch die eindringliche Seelenmalerei im einzelne» und durch deren künstlerische Veranschaulichung fesseln zu könne». Daher ihr eigentümlicher Stil, namentlich in der ersten Novelle: „Was Gottes Wille ist," wo eine Menge Einzelheiten an einander gereiht werden, die Handlung langsam vorwärts geht, bis schließlich die Szene möglich wird, auf die die ganze Geschichte hinausläuft. Es ist eine schwäbische Dorfgeschichte, die sich zu einer Schilderung des schwäbischen Stammescharakters erweitert. Mail ist auch geneigt, anzunehmen, daß ein wirklicher Vorfall in Schwaben der Er¬ zählerin die Anregung zu der Novelle gegeben habe. Bei der Trauung eines jungen Bauernpaares bleibt die Braut auf die Frage des Pfarrers, ob sie den neben ihr stehenden Mann als Gatten anerkenne» wolle, zunächst die Ant¬ wort schuldig, und dann sagt sie geradezu „Noi!" Darauf entsteht natürlich große Bewegung i» der Kirche. Da schiebt sich i» aller Eile die jüngere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/468>, abgerufen am 23.07.2024.