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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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von allerlei Dichterinnen

schienen, nur erinnern an Banmbach, Ganghofer, Ebers. Namentlich der letzte
ist wieder wegen seiner "Drei Märchen" gefeiert worden, und wieder mit Un¬
recht, denn er hatte nur Novellen mit märchenhaften Aufputz geschrieben.
Keiner aber hält den Vergleich mit den Märchen der Kurz ans. Sie kommen
alle über das Moralisiren nicht hinaus, es fehlt ihnen die reiche Phantasie,
die den Dichter und darum auch den Leser gläubig macht, sie bleiben kühl und
ironisch, sie sind eben doch nicht Dichter genug. Isolde Kurz ist es aber in
reichem Maße. Die Bilder und Bildchen, die vor ihren Rügen schweben, sind
so schön, so lieblich, so heiter, so reich an deutsamer Symbolik, daß mau un¬
aufhörlich im Anschauen verweilen möchte, weil sie so viel Freude und Genuß
bereiten. Es fehlt zwar auch bei ihr uicht an moralisirenden Absichten, aber
der Gedankengehalt geht doch völlig in der Erfindung ans, und die Erfindung
ist so schlicht und klar, daß sie sich uus schon nach dem ersten Lesen dauernd
einprägt.

Wie schön und unmittelbar wirksam ist das Märchen von den "Goldenen
Träumen," d. h. in Prosa: von der Poesie. Ein armer Schneider erhält zu
seinen elf Kindern noch ein zwölftes, worüber er nicht gerade erbaut ist. Da
naht der Wiege des Kindes eine schöne Fee; sie kann zwar ihm oder den
Eltern gar nichts schenken, aber sie will doch Gutes thun, und da begabt sie
das .Kind mit "goldenen Träumen." Es ist ein seltsames Geschenk. Der
Knabe wächst als ein stiller, in sich gekehrter, bescheidner Mensch heran; er ist
anspruchslos, weil er eine unerschöpfliche Heiterkeit in sich birgt. Wenn er
die Augen schließt, kvuuueu ihm die goldenen Träume, die ihn Hunger und
Durst vergessen lassen. Darüber wird er freilich ein Nichtsthuer, lernt kein
Gewerbe, kaun sich nichts verdienen. Weil er aber so gut und so bescheiden
ist, erhalten ihn, nach dein Tode der Seinigen, die Leute im Dorfe, bis auch
ihre Güte und Geduld zu Ende geht. Ans Hunger verkauft er nun seine
goldenen Träume; der Mann aber, der sie ihm abkauft, hat sich dem Teufel
verschrieben, und das reiche Gold, das Hans der Träumer jetzt besitzt, ist
höllischer Art. Es richtet Unheil an, zerfließt ihm und andern unter den
Händen, bis sich Haus in dem höchsten materiellen Glücke nach seiner frühern
Armut, aber auch nach dem beseligenden Besitz der goldenen Träume zurück¬
sehnt. Die Fee verhilft ihm wieder dazu, rettet ihn aus den Klauen
des Teufels, und Hans beschließt sein Leben in demselben Dorfe und in
derselben Armut, in der er es begonnen hat; aber nnn scharen sich alle
Kinder des Dorfes um seinen Großvaterstuhl, !u dem er seine Träume
erzählt.

Das ist die Erfindung, ganz kahl wiedergegeben; die Ausführung aber
strömt über von schönen Einzelheiten. Wie Goethes Märchen von tanzenden,
goldverzehrenden Irrlichtern erzählt, so ähnlich hat Isolde Kurz die goldnen
Träume beschrieben; zuweilen erinnert ihre Phantasie auch an Schwind. Wenn


, Greuzlwten I 1891
von allerlei Dichterinnen

schienen, nur erinnern an Banmbach, Ganghofer, Ebers. Namentlich der letzte
ist wieder wegen seiner „Drei Märchen" gefeiert worden, und wieder mit Un¬
recht, denn er hatte nur Novellen mit märchenhaften Aufputz geschrieben.
Keiner aber hält den Vergleich mit den Märchen der Kurz ans. Sie kommen
alle über das Moralisiren nicht hinaus, es fehlt ihnen die reiche Phantasie,
die den Dichter und darum auch den Leser gläubig macht, sie bleiben kühl und
ironisch, sie sind eben doch nicht Dichter genug. Isolde Kurz ist es aber in
reichem Maße. Die Bilder und Bildchen, die vor ihren Rügen schweben, sind
so schön, so lieblich, so heiter, so reich an deutsamer Symbolik, daß mau un¬
aufhörlich im Anschauen verweilen möchte, weil sie so viel Freude und Genuß
bereiten. Es fehlt zwar auch bei ihr uicht an moralisirenden Absichten, aber
der Gedankengehalt geht doch völlig in der Erfindung ans, und die Erfindung
ist so schlicht und klar, daß sie sich uus schon nach dem ersten Lesen dauernd
einprägt.

Wie schön und unmittelbar wirksam ist das Märchen von den „Goldenen
Träumen," d. h. in Prosa: von der Poesie. Ein armer Schneider erhält zu
seinen elf Kindern noch ein zwölftes, worüber er nicht gerade erbaut ist. Da
naht der Wiege des Kindes eine schöne Fee; sie kann zwar ihm oder den
Eltern gar nichts schenken, aber sie will doch Gutes thun, und da begabt sie
das .Kind mit „goldenen Träumen." Es ist ein seltsames Geschenk. Der
Knabe wächst als ein stiller, in sich gekehrter, bescheidner Mensch heran; er ist
anspruchslos, weil er eine unerschöpfliche Heiterkeit in sich birgt. Wenn er
die Augen schließt, kvuuueu ihm die goldenen Träume, die ihn Hunger und
Durst vergessen lassen. Darüber wird er freilich ein Nichtsthuer, lernt kein
Gewerbe, kaun sich nichts verdienen. Weil er aber so gut und so bescheiden
ist, erhalten ihn, nach dein Tode der Seinigen, die Leute im Dorfe, bis auch
ihre Güte und Geduld zu Ende geht. Ans Hunger verkauft er nun seine
goldenen Träume; der Mann aber, der sie ihm abkauft, hat sich dem Teufel
verschrieben, und das reiche Gold, das Hans der Träumer jetzt besitzt, ist
höllischer Art. Es richtet Unheil an, zerfließt ihm und andern unter den
Händen, bis sich Haus in dem höchsten materiellen Glücke nach seiner frühern
Armut, aber auch nach dem beseligenden Besitz der goldenen Träume zurück¬
sehnt. Die Fee verhilft ihm wieder dazu, rettet ihn aus den Klauen
des Teufels, und Hans beschließt sein Leben in demselben Dorfe und in
derselben Armut, in der er es begonnen hat; aber nnn scharen sich alle
Kinder des Dorfes um seinen Großvaterstuhl, !u dem er seine Träume
erzählt.

Das ist die Erfindung, ganz kahl wiedergegeben; die Ausführung aber
strömt über von schönen Einzelheiten. Wie Goethes Märchen von tanzenden,
goldverzehrenden Irrlichtern erzählt, so ähnlich hat Isolde Kurz die goldnen
Träume beschrieben; zuweilen erinnert ihre Phantasie auch an Schwind. Wenn


, Greuzlwten I 1891
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[0465] von allerlei Dichterinnen schienen, nur erinnern an Banmbach, Ganghofer, Ebers. Namentlich der letzte ist wieder wegen seiner „Drei Märchen" gefeiert worden, und wieder mit Un¬ recht, denn er hatte nur Novellen mit märchenhaften Aufputz geschrieben. Keiner aber hält den Vergleich mit den Märchen der Kurz ans. Sie kommen alle über das Moralisiren nicht hinaus, es fehlt ihnen die reiche Phantasie, die den Dichter und darum auch den Leser gläubig macht, sie bleiben kühl und ironisch, sie sind eben doch nicht Dichter genug. Isolde Kurz ist es aber in reichem Maße. Die Bilder und Bildchen, die vor ihren Rügen schweben, sind so schön, so lieblich, so heiter, so reich an deutsamer Symbolik, daß mau un¬ aufhörlich im Anschauen verweilen möchte, weil sie so viel Freude und Genuß bereiten. Es fehlt zwar auch bei ihr uicht an moralisirenden Absichten, aber der Gedankengehalt geht doch völlig in der Erfindung ans, und die Erfindung ist so schlicht und klar, daß sie sich uus schon nach dem ersten Lesen dauernd einprägt. Wie schön und unmittelbar wirksam ist das Märchen von den „Goldenen Träumen," d. h. in Prosa: von der Poesie. Ein armer Schneider erhält zu seinen elf Kindern noch ein zwölftes, worüber er nicht gerade erbaut ist. Da naht der Wiege des Kindes eine schöne Fee; sie kann zwar ihm oder den Eltern gar nichts schenken, aber sie will doch Gutes thun, und da begabt sie das .Kind mit „goldenen Träumen." Es ist ein seltsames Geschenk. Der Knabe wächst als ein stiller, in sich gekehrter, bescheidner Mensch heran; er ist anspruchslos, weil er eine unerschöpfliche Heiterkeit in sich birgt. Wenn er die Augen schließt, kvuuueu ihm die goldenen Träume, die ihn Hunger und Durst vergessen lassen. Darüber wird er freilich ein Nichtsthuer, lernt kein Gewerbe, kaun sich nichts verdienen. Weil er aber so gut und so bescheiden ist, erhalten ihn, nach dein Tode der Seinigen, die Leute im Dorfe, bis auch ihre Güte und Geduld zu Ende geht. Ans Hunger verkauft er nun seine goldenen Träume; der Mann aber, der sie ihm abkauft, hat sich dem Teufel verschrieben, und das reiche Gold, das Hans der Träumer jetzt besitzt, ist höllischer Art. Es richtet Unheil an, zerfließt ihm und andern unter den Händen, bis sich Haus in dem höchsten materiellen Glücke nach seiner frühern Armut, aber auch nach dem beseligenden Besitz der goldenen Träume zurück¬ sehnt. Die Fee verhilft ihm wieder dazu, rettet ihn aus den Klauen des Teufels, und Hans beschließt sein Leben in demselben Dorfe und in derselben Armut, in der er es begonnen hat; aber nnn scharen sich alle Kinder des Dorfes um seinen Großvaterstuhl, !u dem er seine Träume erzählt. Das ist die Erfindung, ganz kahl wiedergegeben; die Ausführung aber strömt über von schönen Einzelheiten. Wie Goethes Märchen von tanzenden, goldverzehrenden Irrlichtern erzählt, so ähnlich hat Isolde Kurz die goldnen Träume beschrieben; zuweilen erinnert ihre Phantasie auch an Schwind. Wenn , Greuzlwten I 1891

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/465>, abgerufen am 23.07.2024.