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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Veto Tudwig in Leipzig

"mit Orchester, Chor, Bischof, Kuchen, Meeresstille, Tripelkonzert von Bach
(Liszt, Hiller und ich), Chören aus Paulus, ^imtiüöiv sur l" I/uviu. 6i I^mmer-
inuor, Erlkönig, Teufel und seine Großmutter," um zu wissen, wie lebensfrisch
und verhältnismäßig einfach es mitten in allem Streben, Schaffen und Aus¬
führen, wie in aller geselligen Lust von damals zuging.

So sicher und siegesgewiß Felix Mendelssohn an der Spitze des Leipziger
Musikwesciis stand, so beruht doch Bedeutung, Glanz und Nachruhm jener
Tage wesentlich darauf, daß neben ihm und seinem engern Kreise anders ge¬
artete Naturen, andre Kunstkreise vorhanden waren. Daß die "Kantoren"
Weinlig nud nach ihm der gelehrte und hochverdiente Moritz Hauptmnnn in
einer gewissen Zurückgezogenheit in deu Mauern ihrer Thomasschule saßen,
ihre Thomauer regierten, wesentlich die Kirchenmusik pflegten und nnr ge¬
legentlich fröhlich in daS brausende, weltliche Musiktreiben tauchten, lag in
ihrem Amt und ihrer Natur. Um so lebensvoller, bewegter und leidenschaft¬
licher ging es unter der großen Gruppe jüngerer Musiker und ihrer Freunde
zu, die um das Banner der "Neuen Zeitschrift für Musik" geschart, seit der
Gründung dieses Organs (1834) Geist, Phantasie und tiefere Kunstanschauung
offenbart hatten, und von denen der größere Teil nicht nur kritisch, sondern
anch schöpferisch thätig war. Um mehr als Haupteslänge ragte künstlerisch
schon damals, wo er nur erst die genialen, originellen Klavierkompositionen
seiner ersten Periode geschaffen hatte, der träumerische, tiefpoetische Robert
Schumann über die andern hervor, der mitten in harten Lebenskämpfen um
die ihm zur Zeit noch verweigerte Geliebte (Clara Wieck) Kräfte zu entfalten
begann, die selbst seine nächsten Genossen, die "Davidsbündler," soviel ihrer
damals in Leipzig noch um ihn waren, mit neidlosen Staunen erfüllten.
Schumann war im Frühling 1839 nach einem gescheiterten Versuche,
in Wien festen Fuß zu fassen, nach Leipzig zurückgekehrt, lebte, schuf und
schwieg wieder in seinem alten Kreise, beglückt in seiner Liebe und beglückt
durch das reiche Kuusttreiben um ihn her. So fest er seinen eignen Weg
ging und schaffend lediglich seinem innern Drange gehorchte, so empfanden
die jüngern Freunde, die um ihn standen und strebten, unter ihnen Verhulst,
Hermann Hirschbach, Julius Becker, C. F. Becker, E. Ferd. Wenzel und zahl¬
reiche andre, den innerlichen Gegensatz zwischen Mendelssohn und ihm viel
schärfer als er selbst. In der von dem damaligen Publikum angenommenen
Rivalität zwischen Meyerbeer und Mendelssohn hatte sich die "Neue Zeitschrift für
Musik" mit schroffster Entschiedenheit auf die Seite Mendelssohns gestellt, und
hier folgte" alle Glieder seines Kreises der Empfindung und Anschauung ihres
Führers. Aber auch darüber hinaus ließ sich Schumann an Mendelssohn
nicht rühren. "Mendelssohn ist der, an den ich hinanblicke, wie zu einem
hohen Gebirge. Ein wahrer Gott ist er, und du solltest ihn kennen," hatte
er 1836 seiner Schwägerin Therese geschrieben. Jetzt mochte ihn el"


Veto Tudwig in Leipzig

„mit Orchester, Chor, Bischof, Kuchen, Meeresstille, Tripelkonzert von Bach
(Liszt, Hiller und ich), Chören aus Paulus, ^imtiüöiv sur l» I/uviu. 6i I^mmer-
inuor, Erlkönig, Teufel und seine Großmutter," um zu wissen, wie lebensfrisch
und verhältnismäßig einfach es mitten in allem Streben, Schaffen und Aus¬
führen, wie in aller geselligen Lust von damals zuging.

So sicher und siegesgewiß Felix Mendelssohn an der Spitze des Leipziger
Musikwesciis stand, so beruht doch Bedeutung, Glanz und Nachruhm jener
Tage wesentlich darauf, daß neben ihm und seinem engern Kreise anders ge¬
artete Naturen, andre Kunstkreise vorhanden waren. Daß die „Kantoren"
Weinlig nud nach ihm der gelehrte und hochverdiente Moritz Hauptmnnn in
einer gewissen Zurückgezogenheit in deu Mauern ihrer Thomasschule saßen,
ihre Thomauer regierten, wesentlich die Kirchenmusik pflegten und nnr ge¬
legentlich fröhlich in daS brausende, weltliche Musiktreiben tauchten, lag in
ihrem Amt und ihrer Natur. Um so lebensvoller, bewegter und leidenschaft¬
licher ging es unter der großen Gruppe jüngerer Musiker und ihrer Freunde
zu, die um das Banner der „Neuen Zeitschrift für Musik" geschart, seit der
Gründung dieses Organs (1834) Geist, Phantasie und tiefere Kunstanschauung
offenbart hatten, und von denen der größere Teil nicht nur kritisch, sondern
anch schöpferisch thätig war. Um mehr als Haupteslänge ragte künstlerisch
schon damals, wo er nur erst die genialen, originellen Klavierkompositionen
seiner ersten Periode geschaffen hatte, der träumerische, tiefpoetische Robert
Schumann über die andern hervor, der mitten in harten Lebenskämpfen um
die ihm zur Zeit noch verweigerte Geliebte (Clara Wieck) Kräfte zu entfalten
begann, die selbst seine nächsten Genossen, die „Davidsbündler," soviel ihrer
damals in Leipzig noch um ihn waren, mit neidlosen Staunen erfüllten.
Schumann war im Frühling 1839 nach einem gescheiterten Versuche,
in Wien festen Fuß zu fassen, nach Leipzig zurückgekehrt, lebte, schuf und
schwieg wieder in seinem alten Kreise, beglückt in seiner Liebe und beglückt
durch das reiche Kuusttreiben um ihn her. So fest er seinen eignen Weg
ging und schaffend lediglich seinem innern Drange gehorchte, so empfanden
die jüngern Freunde, die um ihn standen und strebten, unter ihnen Verhulst,
Hermann Hirschbach, Julius Becker, C. F. Becker, E. Ferd. Wenzel und zahl¬
reiche andre, den innerlichen Gegensatz zwischen Mendelssohn und ihm viel
schärfer als er selbst. In der von dem damaligen Publikum angenommenen
Rivalität zwischen Meyerbeer und Mendelssohn hatte sich die „Neue Zeitschrift für
Musik" mit schroffster Entschiedenheit auf die Seite Mendelssohns gestellt, und
hier folgte» alle Glieder seines Kreises der Empfindung und Anschauung ihres
Führers. Aber auch darüber hinaus ließ sich Schumann an Mendelssohn
nicht rühren. „Mendelssohn ist der, an den ich hinanblicke, wie zu einem
hohen Gebirge. Ein wahrer Gott ist er, und du solltest ihn kennen," hatte
er 1836 seiner Schwägerin Therese geschrieben. Jetzt mochte ihn el»


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[0044] Veto Tudwig in Leipzig „mit Orchester, Chor, Bischof, Kuchen, Meeresstille, Tripelkonzert von Bach (Liszt, Hiller und ich), Chören aus Paulus, ^imtiüöiv sur l» I/uviu. 6i I^mmer- inuor, Erlkönig, Teufel und seine Großmutter," um zu wissen, wie lebensfrisch und verhältnismäßig einfach es mitten in allem Streben, Schaffen und Aus¬ führen, wie in aller geselligen Lust von damals zuging. So sicher und siegesgewiß Felix Mendelssohn an der Spitze des Leipziger Musikwesciis stand, so beruht doch Bedeutung, Glanz und Nachruhm jener Tage wesentlich darauf, daß neben ihm und seinem engern Kreise anders ge¬ artete Naturen, andre Kunstkreise vorhanden waren. Daß die „Kantoren" Weinlig nud nach ihm der gelehrte und hochverdiente Moritz Hauptmnnn in einer gewissen Zurückgezogenheit in deu Mauern ihrer Thomasschule saßen, ihre Thomauer regierten, wesentlich die Kirchenmusik pflegten und nnr ge¬ legentlich fröhlich in daS brausende, weltliche Musiktreiben tauchten, lag in ihrem Amt und ihrer Natur. Um so lebensvoller, bewegter und leidenschaft¬ licher ging es unter der großen Gruppe jüngerer Musiker und ihrer Freunde zu, die um das Banner der „Neuen Zeitschrift für Musik" geschart, seit der Gründung dieses Organs (1834) Geist, Phantasie und tiefere Kunstanschauung offenbart hatten, und von denen der größere Teil nicht nur kritisch, sondern anch schöpferisch thätig war. Um mehr als Haupteslänge ragte künstlerisch schon damals, wo er nur erst die genialen, originellen Klavierkompositionen seiner ersten Periode geschaffen hatte, der träumerische, tiefpoetische Robert Schumann über die andern hervor, der mitten in harten Lebenskämpfen um die ihm zur Zeit noch verweigerte Geliebte (Clara Wieck) Kräfte zu entfalten begann, die selbst seine nächsten Genossen, die „Davidsbündler," soviel ihrer damals in Leipzig noch um ihn waren, mit neidlosen Staunen erfüllten. Schumann war im Frühling 1839 nach einem gescheiterten Versuche, in Wien festen Fuß zu fassen, nach Leipzig zurückgekehrt, lebte, schuf und schwieg wieder in seinem alten Kreise, beglückt in seiner Liebe und beglückt durch das reiche Kuusttreiben um ihn her. So fest er seinen eignen Weg ging und schaffend lediglich seinem innern Drange gehorchte, so empfanden die jüngern Freunde, die um ihn standen und strebten, unter ihnen Verhulst, Hermann Hirschbach, Julius Becker, C. F. Becker, E. Ferd. Wenzel und zahl¬ reiche andre, den innerlichen Gegensatz zwischen Mendelssohn und ihm viel schärfer als er selbst. In der von dem damaligen Publikum angenommenen Rivalität zwischen Meyerbeer und Mendelssohn hatte sich die „Neue Zeitschrift für Musik" mit schroffster Entschiedenheit auf die Seite Mendelssohns gestellt, und hier folgte» alle Glieder seines Kreises der Empfindung und Anschauung ihres Führers. Aber auch darüber hinaus ließ sich Schumann an Mendelssohn nicht rühren. „Mendelssohn ist der, an den ich hinanblicke, wie zu einem hohen Gebirge. Ein wahrer Gott ist er, und du solltest ihn kennen," hatte er 1836 seiner Schwägerin Therese geschrieben. Jetzt mochte ihn el»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/44>, abgerufen am 23.07.2024.