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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Lord Tcnnyscms neueste Lyrik

Bildern, eine Tonmalerei, eine wogende Phantasie, wie wir ähnliches uur in
seinen besten Idyllen wiederfinden. Wir geben als Beispiel hierfür die
Übersetzung des Anfanges:


Ermattet wie ein scheuer Wandervogel,
Der durch die finstre Nacht dahinfliegt und
Beim Dnmmerscheiu an seiner Heimat Schwelle
Dcinicdersiukt, so kamst dn, o mein Kind,
Geführt vom Gott der Geister und der Träume,
Dort unes Eleusis, wie betäubt und starr
Vom weiten, schnellen Flug durch fremde Länder,
Bis ich dich hierher trug, damit der Tag,
Wenn deiner Hand die Blumen hier entfallen,
Mit seinem Licht durch den umwölkten Sinn
Dir strahle. Eine Nachtigall erkannte
Dich wieder und begann ein fröhlich Lied
Als Gruß; und wie des Mondes bleicher Schimmer
Wenn er leicht bebend aus der Tiefe taucht,
So flog ein Lächeln über deine Züge
Und trieb hinweg die Schatten aus dem Reich
Des finstern Herrschers. O Persephone!

Die Ode ()n ello .ludilöö of Huvvir Viotorisi hat selbst seine eifrigsten Ver¬
ehrer nicht recht befriedigt; man merkt es den Versen an, daß sie ans Be¬
stellung gemacht worden sind, der Mangel an innerer Wärme, an Schwung
und Begeisterung ist überall zu spüren. Das Gedicht ist nichts als eine rhe¬
torische Huldigungsreimerei zum funfzigjährigen Negierungsjubiläum der
Königin, der "anmutigen, vornehmen, großen, königlichen" Herrscherin. Fünfzig
Jahre eiuer reichen weltbewegenden Geschichte, eines beispiellosen Fortschrittes
ans allen Gebieten der menschlichen Kultur, fünfzig Jahre mit einer unabseh¬
baren Fülle wissenschaftlicher, künstlerischer und materieller Errungenschaften und
dazu dieses dürftige Machwerk, diese gedankenarmen Verse eines ?06w I^wreath,
das war selbst für den bescheidensten Engländer eine unzureichende Leistung.
^"d doch kann man nicht behaupten, daß Tennyson von seinem Vaterlnnde,
von dessen geistigen nud sittlichen Zuständen gering denkt; ruft er doch den
Feinden Englands zu:


Ihr macht uns schlechter, als wir sind, und sprecht
Von düstrer Zukunft. O, ihr habt nicht Recht!
Oft ans der Fensterscheibe scheint die Mücke
Groß wie ein Stier dem fernen Blicke.

Echt romantisch ist die in Dialogfvrm abgefaßte Erzählung I"luz RinA.
Ein Vater überreicht der Tochter, ehe sie ihren Brautschleier anlegt, den Ring
ihrer verstorbenen Mutter und erzählt ihr dabei die Geschichte dieses Kleinods,
das die Zuschrift trägt lo t.'-uno. Ju Venedig hat er ihn einst gekauft und
dabei vou dem Juwelier erfahre", daß in dem Ringe ein Zauber liege; er


Lord Tcnnyscms neueste Lyrik

Bildern, eine Tonmalerei, eine wogende Phantasie, wie wir ähnliches uur in
seinen besten Idyllen wiederfinden. Wir geben als Beispiel hierfür die
Übersetzung des Anfanges:


Ermattet wie ein scheuer Wandervogel,
Der durch die finstre Nacht dahinfliegt und
Beim Dnmmerscheiu an seiner Heimat Schwelle
Dcinicdersiukt, so kamst dn, o mein Kind,
Geführt vom Gott der Geister und der Träume,
Dort unes Eleusis, wie betäubt und starr
Vom weiten, schnellen Flug durch fremde Länder,
Bis ich dich hierher trug, damit der Tag,
Wenn deiner Hand die Blumen hier entfallen,
Mit seinem Licht durch den umwölkten Sinn
Dir strahle. Eine Nachtigall erkannte
Dich wieder und begann ein fröhlich Lied
Als Gruß; und wie des Mondes bleicher Schimmer
Wenn er leicht bebend aus der Tiefe taucht,
So flog ein Lächeln über deine Züge
Und trieb hinweg die Schatten aus dem Reich
Des finstern Herrschers. O Persephone!

Die Ode ()n ello .ludilöö of Huvvir Viotorisi hat selbst seine eifrigsten Ver¬
ehrer nicht recht befriedigt; man merkt es den Versen an, daß sie ans Be¬
stellung gemacht worden sind, der Mangel an innerer Wärme, an Schwung
und Begeisterung ist überall zu spüren. Das Gedicht ist nichts als eine rhe¬
torische Huldigungsreimerei zum funfzigjährigen Negierungsjubiläum der
Königin, der „anmutigen, vornehmen, großen, königlichen" Herrscherin. Fünfzig
Jahre eiuer reichen weltbewegenden Geschichte, eines beispiellosen Fortschrittes
ans allen Gebieten der menschlichen Kultur, fünfzig Jahre mit einer unabseh¬
baren Fülle wissenschaftlicher, künstlerischer und materieller Errungenschaften und
dazu dieses dürftige Machwerk, diese gedankenarmen Verse eines ?06w I^wreath,
das war selbst für den bescheidensten Engländer eine unzureichende Leistung.
^»d doch kann man nicht behaupten, daß Tennyson von seinem Vaterlnnde,
von dessen geistigen nud sittlichen Zuständen gering denkt; ruft er doch den
Feinden Englands zu:


Ihr macht uns schlechter, als wir sind, und sprecht
Von düstrer Zukunft. O, ihr habt nicht Recht!
Oft ans der Fensterscheibe scheint die Mücke
Groß wie ein Stier dem fernen Blicke.

Echt romantisch ist die in Dialogfvrm abgefaßte Erzählung I"luz RinA.
Ein Vater überreicht der Tochter, ehe sie ihren Brautschleier anlegt, den Ring
ihrer verstorbenen Mutter und erzählt ihr dabei die Geschichte dieses Kleinods,
das die Zuschrift trägt lo t.'-uno. Ju Venedig hat er ihn einst gekauft und
dabei vou dem Juwelier erfahre», daß in dem Ringe ein Zauber liege; er


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[0431] Lord Tcnnyscms neueste Lyrik Bildern, eine Tonmalerei, eine wogende Phantasie, wie wir ähnliches uur in seinen besten Idyllen wiederfinden. Wir geben als Beispiel hierfür die Übersetzung des Anfanges: Ermattet wie ein scheuer Wandervogel, Der durch die finstre Nacht dahinfliegt und Beim Dnmmerscheiu an seiner Heimat Schwelle Dcinicdersiukt, so kamst dn, o mein Kind, Geführt vom Gott der Geister und der Träume, Dort unes Eleusis, wie betäubt und starr Vom weiten, schnellen Flug durch fremde Länder, Bis ich dich hierher trug, damit der Tag, Wenn deiner Hand die Blumen hier entfallen, Mit seinem Licht durch den umwölkten Sinn Dir strahle. Eine Nachtigall erkannte Dich wieder und begann ein fröhlich Lied Als Gruß; und wie des Mondes bleicher Schimmer Wenn er leicht bebend aus der Tiefe taucht, So flog ein Lächeln über deine Züge Und trieb hinweg die Schatten aus dem Reich Des finstern Herrschers. O Persephone! Die Ode ()n ello .ludilöö of Huvvir Viotorisi hat selbst seine eifrigsten Ver¬ ehrer nicht recht befriedigt; man merkt es den Versen an, daß sie ans Be¬ stellung gemacht worden sind, der Mangel an innerer Wärme, an Schwung und Begeisterung ist überall zu spüren. Das Gedicht ist nichts als eine rhe¬ torische Huldigungsreimerei zum funfzigjährigen Negierungsjubiläum der Königin, der „anmutigen, vornehmen, großen, königlichen" Herrscherin. Fünfzig Jahre eiuer reichen weltbewegenden Geschichte, eines beispiellosen Fortschrittes ans allen Gebieten der menschlichen Kultur, fünfzig Jahre mit einer unabseh¬ baren Fülle wissenschaftlicher, künstlerischer und materieller Errungenschaften und dazu dieses dürftige Machwerk, diese gedankenarmen Verse eines ?06w I^wreath, das war selbst für den bescheidensten Engländer eine unzureichende Leistung. ^»d doch kann man nicht behaupten, daß Tennyson von seinem Vaterlnnde, von dessen geistigen nud sittlichen Zuständen gering denkt; ruft er doch den Feinden Englands zu: Ihr macht uns schlechter, als wir sind, und sprecht Von düstrer Zukunft. O, ihr habt nicht Recht! Oft ans der Fensterscheibe scheint die Mücke Groß wie ein Stier dem fernen Blicke. Echt romantisch ist die in Dialogfvrm abgefaßte Erzählung I"luz RinA. Ein Vater überreicht der Tochter, ehe sie ihren Brautschleier anlegt, den Ring ihrer verstorbenen Mutter und erzählt ihr dabei die Geschichte dieses Kleinods, das die Zuschrift trägt lo t.'-uno. Ju Venedig hat er ihn einst gekauft und dabei vou dem Juwelier erfahre», daß in dem Ringe ein Zauber liege; er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/431>, abgerufen am 25.08.2024.