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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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lebens, an die Bebel bei dem Worte Staat zunächst denkt: Kriegswesen,
Rechtspflege und Polizei fielen weg, so blieben sie trotzdem immer mich
Staaten mit einer reichverzweigten Verwaltung. Die Idee eines Staates ohne
die drei genannten Zweige ist so wenig neu, daß sie vielmehr im Herzen aller
Christen lebt; denn es ist doch klar, daß, wenn wir allesamt wirklich Christen
wären, wir weder Soldaten, noch Richter (man beachte besonders 1. Kor. 6,
1 bis 7), noch Polizei brauchen würden.

Viertens huldigt Bebel einem falschen Glückseligkeitsideal. Er hält das
Leben des Bauern für elend und glaubt, die Menschen würden glücklich sein,
wenn sie allesamt an den höchsten geistigen und ästhetischen Genüssen teil¬
nehmen könnten. Er will den engen Bann des Hauses sprengen und das
ganze Leben öffentlich machen. Er denkt weder an Diocletian, der die Glück¬
seligkeit, die er in der Beherrschung eines Weltreiches vergebens gesucht hatte,
schließlich bei deu Kvhlköpfen seines Landgutes fand, noch an Gerson, der des
Streits der Gelehrtenschulen, Konzilien und Staatsmänner milde, seinen Lebens¬
abend mit dem Unterricht kleiner Kinder im Alphabet und Einmaleins aus-
füllte, noch an das salomonische vnnibius, vaiütatum v-mien". Er weiß es
nicht, daß ein schlichter Hausrat, den zwei Eheleute in langjähriger harter
Arbeit Stück für Stück erworben haben, mehr beglückende Kraft enthält, als
alle jene physikalischen, elektrotechnischen und astronomischen Wunderwerke, alle
jene Kunstwerke der Malerei, Ban- und Bildhauerkunst, deren täglichen Genuß
er den Mitgliedern der Zukunftsgesellschaft verschaffen will. Es ist ihm un-
bekannt, daß das Beglückende nicht in den Unger und nicht im Verstände,
sondern im Gemüte liegt, und er scheint den Zauber nicht zu ahnen, der in
dein Wörtlein "mein" liegt und der da macht, daß ein einziges gemaltes oder
lebendiges Bildchen, das der Liebhaber ausschließlich besitzt, ihm mehr gilt
als alle Bilder und sonstigen Schätze der Welt. Mögen der altmodische
Asket und der neuuivdische "Altruist" diese" Egoismus als das radikale Böse
übereinstimmend bejammern und verfluchen, sie werden dadurch die menschliche
Natur nicht ändern. Bebel ist ein tüchtiger Kenner der Volkswirtschaft, aber
ein elender Psycholog. Der Mensch lebt eben nicht von Brot allein, und
selbst wenn mau alte Schätze der Natur, der Kunst und der Wissenschaft hin¬
zufügt, so genügt anch das dem Menschenherzen noch nicht. Es giebt ein
irdisches Paradies. Ja es giebt ihrer sogar zwei. Das eine liegt in dem
stillen Frieden des abgeschlossenen Hauses und ist umso vollkommner, je ein¬
facher und ländlicher die Familie lebt. Das andre liegt, wo Dante es schallte,
auf der Höhe des LäuteruugSberges. Vou beiden mag Bebel nichts wissen.
Er phantasirt sich sein Paradies ans den Gipfel des Kulturfortschrittes. Wir
sind nnn zwar keine Pessimisten und glauben nicht, daß der Kulturfortschritt
die Menschen notwendigerweise elend machen müsse, sehen aber doch alle Tage,
daß er diesen traurigen Erfolg thatsächlich überall hat, wo ihm nicht eine


lebens, an die Bebel bei dem Worte Staat zunächst denkt: Kriegswesen,
Rechtspflege und Polizei fielen weg, so blieben sie trotzdem immer mich
Staaten mit einer reichverzweigten Verwaltung. Die Idee eines Staates ohne
die drei genannten Zweige ist so wenig neu, daß sie vielmehr im Herzen aller
Christen lebt; denn es ist doch klar, daß, wenn wir allesamt wirklich Christen
wären, wir weder Soldaten, noch Richter (man beachte besonders 1. Kor. 6,
1 bis 7), noch Polizei brauchen würden.

Viertens huldigt Bebel einem falschen Glückseligkeitsideal. Er hält das
Leben des Bauern für elend und glaubt, die Menschen würden glücklich sein,
wenn sie allesamt an den höchsten geistigen und ästhetischen Genüssen teil¬
nehmen könnten. Er will den engen Bann des Hauses sprengen und das
ganze Leben öffentlich machen. Er denkt weder an Diocletian, der die Glück¬
seligkeit, die er in der Beherrschung eines Weltreiches vergebens gesucht hatte,
schließlich bei deu Kvhlköpfen seines Landgutes fand, noch an Gerson, der des
Streits der Gelehrtenschulen, Konzilien und Staatsmänner milde, seinen Lebens¬
abend mit dem Unterricht kleiner Kinder im Alphabet und Einmaleins aus-
füllte, noch an das salomonische vnnibius, vaiütatum v-mien». Er weiß es
nicht, daß ein schlichter Hausrat, den zwei Eheleute in langjähriger harter
Arbeit Stück für Stück erworben haben, mehr beglückende Kraft enthält, als
alle jene physikalischen, elektrotechnischen und astronomischen Wunderwerke, alle
jene Kunstwerke der Malerei, Ban- und Bildhauerkunst, deren täglichen Genuß
er den Mitgliedern der Zukunftsgesellschaft verschaffen will. Es ist ihm un-
bekannt, daß das Beglückende nicht in den Unger und nicht im Verstände,
sondern im Gemüte liegt, und er scheint den Zauber nicht zu ahnen, der in
dein Wörtlein „mein" liegt und der da macht, daß ein einziges gemaltes oder
lebendiges Bildchen, das der Liebhaber ausschließlich besitzt, ihm mehr gilt
als alle Bilder und sonstigen Schätze der Welt. Mögen der altmodische
Asket und der neuuivdische „Altruist" diese» Egoismus als das radikale Böse
übereinstimmend bejammern und verfluchen, sie werden dadurch die menschliche
Natur nicht ändern. Bebel ist ein tüchtiger Kenner der Volkswirtschaft, aber
ein elender Psycholog. Der Mensch lebt eben nicht von Brot allein, und
selbst wenn mau alte Schätze der Natur, der Kunst und der Wissenschaft hin¬
zufügt, so genügt anch das dem Menschenherzen noch nicht. Es giebt ein
irdisches Paradies. Ja es giebt ihrer sogar zwei. Das eine liegt in dem
stillen Frieden des abgeschlossenen Hauses und ist umso vollkommner, je ein¬
facher und ländlicher die Familie lebt. Das andre liegt, wo Dante es schallte,
auf der Höhe des LäuteruugSberges. Vou beiden mag Bebel nichts wissen.
Er phantasirt sich sein Paradies ans den Gipfel des Kulturfortschrittes. Wir
sind nnn zwar keine Pessimisten und glauben nicht, daß der Kulturfortschritt
die Menschen notwendigerweise elend machen müsse, sehen aber doch alle Tage,
daß er diesen traurigen Erfolg thatsächlich überall hat, wo ihm nicht eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/404>, abgerufen am 23.07.2024.