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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Kulturvölker technisch imstande sind, alle Bedürfnisse ihrer Angehörigen ohne
Überanstrengung auch nur eines Einzigen zu befriedigen, daran kann keiner
zweifeln, der die Fruchtbarkeit der Erde, die Leistungen unsrer Maschinen und
die Leichtigkeit des Transportes kennt. Wenn die Völker das, was sie technisch
schon längst vermögen, wirtschaftlich noch nicht vermögen, so kann daran nnr
eine fehlerhafte Einrichtung ihrer Gütererzeugung und -Verteilung schuld sein.
Was sie in diese fehlerhafte Einrichtung festgebannt hält, das ist aber vorzugs¬
weise die abergläubische Verehrung vor der Macht des Geldes, die von der
kapitalistischen Partei geflissentlich und planmäßig aufrecht erhalten wird. Die
heutige Menschheit ist in dem Aberglauben aufgewachsen, niemand könne,
niemand dürfe etwas leisten, ohne Geld in der Hand zu haben, während doch
zu nlleu wertvollen Leistungen, zu jeder Art Gütererzeugung und Güterver-
teilung nnr gesunde Sinne, Muskelkraft, Geschicklichkeit und der fruchtbare, sich
dem Menschen nie versagende Schoß der Erde gehören, die Unentbehrlichkeit
der Gold- und Silbermünzen und bedruckter Zettel aber nicht aus der Natur
der Sache entspringt, sondern nur ans Einrichtungen beruht, die, wie sie in
der Zeit entstanden sind, so auch mit der Zeit wieder vergehen werden.

Darum also nannten wir jenen Grundgednnkeu der sozialistischen Kritik
neu, weil es dem herrschenden wirtschaftlichen Aberglauben bisher gelungen ist,
ihm die Öffentlichkeit zu versperren. Wer ihn aber klar erkannt hat, der fühlt
sich anch im Gewissen verpflichtet, ihn zu verbreiten; er wäre ein schlechter
Kerl, wenn er es nicht thäte, denn er trüge die Mitschuld daran, daß Millionen
Menschen länger, als notwendig ist, im Elende festgehalten würden. Die
Grenzboten haben voriges Jahr von Ur. 21 ab in den Artikeln über die
soziale Frage eine Anzahl von Wegen aufgedeckt oder wenigstens angedeutet,
die aus dem falschen Zirkel der gegenwärtigen Produktionsweise herausführen,
und die alle gleichzeitig beschritten werden könnten und sollten. Zur Auf-
hebung des Privateigentum? an Kapitalsgüteru führen diese Wege nicht,
sondern nnr zur Beschränkung des Mißbrauchs der Vesitzrechte. Und das ist
nun der erste der Hauptpunkte, in denen wir von Vebel abweichen: wir halten
die Aufhebung des Privateigentums nicht für notwendig zur Heilung des
Pauperismus und der übrigen Krebsschäden, an denen gegenwärtig die Gesell¬
schaft leidet.

Zweitens halten wir eine Gesellschaft mit Kollektivprvdultivn, die alle ihre
Glieder mit gleichmäßigem Überfluß aller Bedarfs- und Luxusgüter über¬
schüttete, zwar für technisch möglich, aber für unmöglich ans sittlichen Gründen.
Bebel läßt gleich Hertzka und andern Sozialisten aus diesem getrcinmten glück¬
lichen Zustande alle Tugenden hervorgehen und mit den äußern Anlässen zu
Sünden und Verbrechen anch diese selbst schwinden. Wir untersuchen nicht,
ob das sittlich Böse wirklich nur aus äußern Verhältnissen entspringt; daß
unnatürliche Zustände ein Gewürm und Geschwüren sittlicher Übel ausbrüten,


Kulturvölker technisch imstande sind, alle Bedürfnisse ihrer Angehörigen ohne
Überanstrengung auch nur eines Einzigen zu befriedigen, daran kann keiner
zweifeln, der die Fruchtbarkeit der Erde, die Leistungen unsrer Maschinen und
die Leichtigkeit des Transportes kennt. Wenn die Völker das, was sie technisch
schon längst vermögen, wirtschaftlich noch nicht vermögen, so kann daran nnr
eine fehlerhafte Einrichtung ihrer Gütererzeugung und -Verteilung schuld sein.
Was sie in diese fehlerhafte Einrichtung festgebannt hält, das ist aber vorzugs¬
weise die abergläubische Verehrung vor der Macht des Geldes, die von der
kapitalistischen Partei geflissentlich und planmäßig aufrecht erhalten wird. Die
heutige Menschheit ist in dem Aberglauben aufgewachsen, niemand könne,
niemand dürfe etwas leisten, ohne Geld in der Hand zu haben, während doch
zu nlleu wertvollen Leistungen, zu jeder Art Gütererzeugung und Güterver-
teilung nnr gesunde Sinne, Muskelkraft, Geschicklichkeit und der fruchtbare, sich
dem Menschen nie versagende Schoß der Erde gehören, die Unentbehrlichkeit
der Gold- und Silbermünzen und bedruckter Zettel aber nicht aus der Natur
der Sache entspringt, sondern nur ans Einrichtungen beruht, die, wie sie in
der Zeit entstanden sind, so auch mit der Zeit wieder vergehen werden.

Darum also nannten wir jenen Grundgednnkeu der sozialistischen Kritik
neu, weil es dem herrschenden wirtschaftlichen Aberglauben bisher gelungen ist,
ihm die Öffentlichkeit zu versperren. Wer ihn aber klar erkannt hat, der fühlt
sich anch im Gewissen verpflichtet, ihn zu verbreiten; er wäre ein schlechter
Kerl, wenn er es nicht thäte, denn er trüge die Mitschuld daran, daß Millionen
Menschen länger, als notwendig ist, im Elende festgehalten würden. Die
Grenzboten haben voriges Jahr von Ur. 21 ab in den Artikeln über die
soziale Frage eine Anzahl von Wegen aufgedeckt oder wenigstens angedeutet,
die aus dem falschen Zirkel der gegenwärtigen Produktionsweise herausführen,
und die alle gleichzeitig beschritten werden könnten und sollten. Zur Auf-
hebung des Privateigentum? an Kapitalsgüteru führen diese Wege nicht,
sondern nnr zur Beschränkung des Mißbrauchs der Vesitzrechte. Und das ist
nun der erste der Hauptpunkte, in denen wir von Vebel abweichen: wir halten
die Aufhebung des Privateigentums nicht für notwendig zur Heilung des
Pauperismus und der übrigen Krebsschäden, an denen gegenwärtig die Gesell¬
schaft leidet.

Zweitens halten wir eine Gesellschaft mit Kollektivprvdultivn, die alle ihre
Glieder mit gleichmäßigem Überfluß aller Bedarfs- und Luxusgüter über¬
schüttete, zwar für technisch möglich, aber für unmöglich ans sittlichen Gründen.
Bebel läßt gleich Hertzka und andern Sozialisten aus diesem getrcinmten glück¬
lichen Zustande alle Tugenden hervorgehen und mit den äußern Anlässen zu
Sünden und Verbrechen anch diese selbst schwinden. Wir untersuchen nicht,
ob das sittlich Böse wirklich nur aus äußern Verhältnissen entspringt; daß
unnatürliche Zustände ein Gewürm und Geschwüren sittlicher Übel ausbrüten,


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[0402] Kulturvölker technisch imstande sind, alle Bedürfnisse ihrer Angehörigen ohne Überanstrengung auch nur eines Einzigen zu befriedigen, daran kann keiner zweifeln, der die Fruchtbarkeit der Erde, die Leistungen unsrer Maschinen und die Leichtigkeit des Transportes kennt. Wenn die Völker das, was sie technisch schon längst vermögen, wirtschaftlich noch nicht vermögen, so kann daran nnr eine fehlerhafte Einrichtung ihrer Gütererzeugung und -Verteilung schuld sein. Was sie in diese fehlerhafte Einrichtung festgebannt hält, das ist aber vorzugs¬ weise die abergläubische Verehrung vor der Macht des Geldes, die von der kapitalistischen Partei geflissentlich und planmäßig aufrecht erhalten wird. Die heutige Menschheit ist in dem Aberglauben aufgewachsen, niemand könne, niemand dürfe etwas leisten, ohne Geld in der Hand zu haben, während doch zu nlleu wertvollen Leistungen, zu jeder Art Gütererzeugung und Güterver- teilung nnr gesunde Sinne, Muskelkraft, Geschicklichkeit und der fruchtbare, sich dem Menschen nie versagende Schoß der Erde gehören, die Unentbehrlichkeit der Gold- und Silbermünzen und bedruckter Zettel aber nicht aus der Natur der Sache entspringt, sondern nur ans Einrichtungen beruht, die, wie sie in der Zeit entstanden sind, so auch mit der Zeit wieder vergehen werden. Darum also nannten wir jenen Grundgednnkeu der sozialistischen Kritik neu, weil es dem herrschenden wirtschaftlichen Aberglauben bisher gelungen ist, ihm die Öffentlichkeit zu versperren. Wer ihn aber klar erkannt hat, der fühlt sich anch im Gewissen verpflichtet, ihn zu verbreiten; er wäre ein schlechter Kerl, wenn er es nicht thäte, denn er trüge die Mitschuld daran, daß Millionen Menschen länger, als notwendig ist, im Elende festgehalten würden. Die Grenzboten haben voriges Jahr von Ur. 21 ab in den Artikeln über die soziale Frage eine Anzahl von Wegen aufgedeckt oder wenigstens angedeutet, die aus dem falschen Zirkel der gegenwärtigen Produktionsweise herausführen, und die alle gleichzeitig beschritten werden könnten und sollten. Zur Auf- hebung des Privateigentum? an Kapitalsgüteru führen diese Wege nicht, sondern nnr zur Beschränkung des Mißbrauchs der Vesitzrechte. Und das ist nun der erste der Hauptpunkte, in denen wir von Vebel abweichen: wir halten die Aufhebung des Privateigentums nicht für notwendig zur Heilung des Pauperismus und der übrigen Krebsschäden, an denen gegenwärtig die Gesell¬ schaft leidet. Zweitens halten wir eine Gesellschaft mit Kollektivprvdultivn, die alle ihre Glieder mit gleichmäßigem Überfluß aller Bedarfs- und Luxusgüter über¬ schüttete, zwar für technisch möglich, aber für unmöglich ans sittlichen Gründen. Bebel läßt gleich Hertzka und andern Sozialisten aus diesem getrcinmten glück¬ lichen Zustande alle Tugenden hervorgehen und mit den äußern Anlässen zu Sünden und Verbrechen anch diese selbst schwinden. Wir untersuchen nicht, ob das sittlich Böse wirklich nur aus äußern Verhältnissen entspringt; daß unnatürliche Zustände ein Gewürm und Geschwüren sittlicher Übel ausbrüten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/402>, abgerufen am 23.07.2024.