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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Frau und der Sozialismus

Umständen, wo um des Nachlasses willen die Legitimität der Kinder festgestellt
und beim Mangel jedes Nachlasses der VersvrgnngSpflichtige ermittelt werden
muß, unbedingt notwendig sei, giebt auch Bebel zu. Aber daß diese Rechts¬
angelegenheiten zu dem Wesen der Ehe gehörten, werden um wenigsten die
rechtgläubigen Theologen behaupten wollen, da ja die ältere Kirche das
Wesen des Ehebundes stets im "on8fil8U8 der beiden Gatten gefunden hat.
Was die Scheidung anlangt, so kommt die katholische Ansicht von der unbe¬
dingten Unauflöslichkeit der Ehe natürlich nicht in Betracht. Wird aber die
Zulässigkeit der Scheidung einmal eingeräumt, dann ist kein Grund weiter
vorhanden, vor der Scheidungssreiheit des sozialistischen Zukuuftsstaates zu
erschrecken. Deal die vollkommene Freiheit der Eheschließung vorausgesetzt,
die Vebel fordert, und bei der das Weib ganz ebenso berechtigt sein soll, sich
nur durch die Neigung leiten zu lassen und den ersten Schritt zu thun wie
der Maun, würden die Ehen durchschnittlich glücklicher ausfallen als heutzu¬
tage und die Anlässe zur Trennung weit seltner sein.

Ob in irgend einer nebelhaft fernen Zeit ein höchst vollkommener Zustand
der menschlichen Gesellschaft die freie Liebeswahl einmal allgemein möglich
machen wird, das können wir natürlicherweise nicht voraussehen; ebenso wenig
dürfen wir uns aber erkühnen, die Sache von vornherein für unmöglich zu
erklären. Dagegen glauben wir ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit behaupten
zu dürfen, daß selbst ein so vollkommener Zustand häufiges Liebesnnglück und
Eheelend nicht ausschließen würde. Bebel Übersicht deu Umstand, daß weder
die Neigung uoch der Wunsch zur Trennung immer gleichzeitig in beiden
Teilen entsteht. Bleibt die Neigung des Mannes oder des Weibes einseitig,
und kommt deshalb keine Ehe zu stände, so haben wir auch im Sozialisten¬
staate eine unglückliche Liebe, und falls der oder die Verschmähte lediglich zur
Befriedigung des sinnlichen Triebes eine ungeliebte Person heiraten wollte,
eine unglückliche Scheinehe; entsteht endlich in einer aus beiderseitiger Zuneigung
geschlossenen Ehe später bei dem einen Gatten Abneigung, während des andern
Liebe Bestand hält, so bleibt gerade wie heute nur die Wahl, ob durch die
Trennung das eine oder durch Fortführung eiuer unglücklichen Ehe beide dem
Elend verfallen sollen. Einen zweiten Irrtum Bebels werden wir weiter unten
noch hervorheben.

Nun zu dem andern Gegenstände der Schrift, der Begründung des
Sozialismus. Auch hier stimmen wir mit dein Verfasser in der Kritik des
Bestehenden überein, und zwar am entschiedensten gerade in dem Gedanken,
von dem wir oben sagten, er müsse Wohl den Grund zu dem Verbote der
Schrift abgegeben haben, da er der einzige neue in Bebels Schrift sei, während
man alles andre in tausend andern Schriften und Blättern finde, die ungestört
umlaufen dürfen. Es ist der in den Grenzboten schon wiederholt dargelegte
und daher einer ausführlichen Erörterung nicht mehr bedürftige Gedanke, daß


Die Frau und der Sozialismus

Umständen, wo um des Nachlasses willen die Legitimität der Kinder festgestellt
und beim Mangel jedes Nachlasses der VersvrgnngSpflichtige ermittelt werden
muß, unbedingt notwendig sei, giebt auch Bebel zu. Aber daß diese Rechts¬
angelegenheiten zu dem Wesen der Ehe gehörten, werden um wenigsten die
rechtgläubigen Theologen behaupten wollen, da ja die ältere Kirche das
Wesen des Ehebundes stets im «on8fil8U8 der beiden Gatten gefunden hat.
Was die Scheidung anlangt, so kommt die katholische Ansicht von der unbe¬
dingten Unauflöslichkeit der Ehe natürlich nicht in Betracht. Wird aber die
Zulässigkeit der Scheidung einmal eingeräumt, dann ist kein Grund weiter
vorhanden, vor der Scheidungssreiheit des sozialistischen Zukuuftsstaates zu
erschrecken. Deal die vollkommene Freiheit der Eheschließung vorausgesetzt,
die Vebel fordert, und bei der das Weib ganz ebenso berechtigt sein soll, sich
nur durch die Neigung leiten zu lassen und den ersten Schritt zu thun wie
der Maun, würden die Ehen durchschnittlich glücklicher ausfallen als heutzu¬
tage und die Anlässe zur Trennung weit seltner sein.

Ob in irgend einer nebelhaft fernen Zeit ein höchst vollkommener Zustand
der menschlichen Gesellschaft die freie Liebeswahl einmal allgemein möglich
machen wird, das können wir natürlicherweise nicht voraussehen; ebenso wenig
dürfen wir uns aber erkühnen, die Sache von vornherein für unmöglich zu
erklären. Dagegen glauben wir ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit behaupten
zu dürfen, daß selbst ein so vollkommener Zustand häufiges Liebesnnglück und
Eheelend nicht ausschließen würde. Bebel Übersicht deu Umstand, daß weder
die Neigung uoch der Wunsch zur Trennung immer gleichzeitig in beiden
Teilen entsteht. Bleibt die Neigung des Mannes oder des Weibes einseitig,
und kommt deshalb keine Ehe zu stände, so haben wir auch im Sozialisten¬
staate eine unglückliche Liebe, und falls der oder die Verschmähte lediglich zur
Befriedigung des sinnlichen Triebes eine ungeliebte Person heiraten wollte,
eine unglückliche Scheinehe; entsteht endlich in einer aus beiderseitiger Zuneigung
geschlossenen Ehe später bei dem einen Gatten Abneigung, während des andern
Liebe Bestand hält, so bleibt gerade wie heute nur die Wahl, ob durch die
Trennung das eine oder durch Fortführung eiuer unglücklichen Ehe beide dem
Elend verfallen sollen. Einen zweiten Irrtum Bebels werden wir weiter unten
noch hervorheben.

Nun zu dem andern Gegenstände der Schrift, der Begründung des
Sozialismus. Auch hier stimmen wir mit dein Verfasser in der Kritik des
Bestehenden überein, und zwar am entschiedensten gerade in dem Gedanken,
von dem wir oben sagten, er müsse Wohl den Grund zu dem Verbote der
Schrift abgegeben haben, da er der einzige neue in Bebels Schrift sei, während
man alles andre in tausend andern Schriften und Blättern finde, die ungestört
umlaufen dürfen. Es ist der in den Grenzboten schon wiederholt dargelegte
und daher einer ausführlichen Erörterung nicht mehr bedürftige Gedanke, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/400>, abgerufen am 23.07.2024.