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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Diego velazquez und sein Jahrhundert

und dunklere Hälfte bemerkt man, wie durch eine Dingounle getrennt. In
der dunkeln steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Ruch hat
er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umgebung Festigkeit zu
geben. Die Figur erscheint wie im Leeren; zwar sieht man ihren Schlag¬
schatten, aber er scheint an keinem Körper zu haften. Dieser helle Grund
war eine Neuerung des Velazquez. Beides, das einseitig scharfe Licht und
die Unterdrückung alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge
die Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser Sammlung
und Kvuzeutrirung des Blickes liegt ein Geheimnis dieser Bildnisse, wie Be¬
schwörer das Zimmer verhängen, mit Qualm erfüllen und das Auge an eiuen
Punkt bannen, um es für die Erscheinung empfänglich zu machen. In der
That erscheint ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung
nebelhaft, und ein bedeutendes Gesicht läßt alles umher vergessen. Es liegt
darin also eine feinere Schmeichelei als in dem System der später" französischen
Bildnismalcr mit ihrem Luxus bedeutungsvollen und blendenden Details.
Wir können diese Bilder uicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den
Eindruck einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrisse" und Modu¬
lationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie erinnert. Das Medium
der künstlerischen Person, dessen verändernder uivellireuder Einfluß auf das
Modell sich sonst von selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung
zu verursncheu. Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form
ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festgehalten; aus ihr
blickt uus der Mensch an, sich selbst offenbarend, wie einst, als er so vor
dein Maler stand."

Diese Charakteristik malerischer Eigenschaften paßt freilich nur in alleu
Punkten genau auf den Velazquez der zwanziger und dreißiger Jahre; aber
das ist gerade der Velazquez, der bei denen unsrer zeitgenössischen Künstler,
deren Sucht realistischer Darstellung mit der "Unfehlbarkeit der Photographie"
wetteifert, das höchste Ansehen genießt. Als Velazquez in den vierziger und
fünfziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts völlig in dem Hofdienst aufging
-- er war 1652 ^xoMntirdor rng^or as ^s.1avia> (Palastmarschall) geworden,
und außerdem, wie Justi "ach dem Urteil glaubwürdiger Zeitgenosse" berichtet,
"der Spiegel eines spanischen Edelmannes und Hofmannes" --, betrieb er
auch die Malerei im Stil eines Hofmannes, der zahlreiche Aufträge mit der
schuellgewährenden Verbindlichkeit eines Kavaliers erledigt und darüber nur
noch selten Gelegenheit fand, mit seiner Muse geheime Zwiesprache zu Pflegen.
In seiner Werkstatt arbeiteten Schüler nach seinen Anweisungen und nach
seinen Urbildern. Zahlreiche Wiederholungen gingen unter Velazquez nennen
in die Welt, und es bedarf daher gegenüber diesen Bildern ans Velazquez
Spätzeit einer großen Vorsicht, die Justi auch mit diplomatischem Geschick
geübt hat. Aber auch unter den Zerstreuungen und Abhaltungen seines Hof-


Diego velazquez und sein Jahrhundert

und dunklere Hälfte bemerkt man, wie durch eine Dingounle getrennt. In
der dunkeln steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Ruch hat
er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umgebung Festigkeit zu
geben. Die Figur erscheint wie im Leeren; zwar sieht man ihren Schlag¬
schatten, aber er scheint an keinem Körper zu haften. Dieser helle Grund
war eine Neuerung des Velazquez. Beides, das einseitig scharfe Licht und
die Unterdrückung alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge
die Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser Sammlung
und Kvuzeutrirung des Blickes liegt ein Geheimnis dieser Bildnisse, wie Be¬
schwörer das Zimmer verhängen, mit Qualm erfüllen und das Auge an eiuen
Punkt bannen, um es für die Erscheinung empfänglich zu machen. In der
That erscheint ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung
nebelhaft, und ein bedeutendes Gesicht läßt alles umher vergessen. Es liegt
darin also eine feinere Schmeichelei als in dem System der später» französischen
Bildnismalcr mit ihrem Luxus bedeutungsvollen und blendenden Details.
Wir können diese Bilder uicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den
Eindruck einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrisse» und Modu¬
lationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie erinnert. Das Medium
der künstlerischen Person, dessen verändernder uivellireuder Einfluß auf das
Modell sich sonst von selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung
zu verursncheu. Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form
ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festgehalten; aus ihr
blickt uus der Mensch an, sich selbst offenbarend, wie einst, als er so vor
dein Maler stand."

Diese Charakteristik malerischer Eigenschaften paßt freilich nur in alleu
Punkten genau auf den Velazquez der zwanziger und dreißiger Jahre; aber
das ist gerade der Velazquez, der bei denen unsrer zeitgenössischen Künstler,
deren Sucht realistischer Darstellung mit der „Unfehlbarkeit der Photographie"
wetteifert, das höchste Ansehen genießt. Als Velazquez in den vierziger und
fünfziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts völlig in dem Hofdienst aufging
— er war 1652 ^xoMntirdor rng^or as ^s.1avia> (Palastmarschall) geworden,
und außerdem, wie Justi »ach dem Urteil glaubwürdiger Zeitgenosse» berichtet,
„der Spiegel eines spanischen Edelmannes und Hofmannes" —, betrieb er
auch die Malerei im Stil eines Hofmannes, der zahlreiche Aufträge mit der
schuellgewährenden Verbindlichkeit eines Kavaliers erledigt und darüber nur
noch selten Gelegenheit fand, mit seiner Muse geheime Zwiesprache zu Pflegen.
In seiner Werkstatt arbeiteten Schüler nach seinen Anweisungen und nach
seinen Urbildern. Zahlreiche Wiederholungen gingen unter Velazquez nennen
in die Welt, und es bedarf daher gegenüber diesen Bildern ans Velazquez
Spätzeit einer großen Vorsicht, die Justi auch mit diplomatischem Geschick
geübt hat. Aber auch unter den Zerstreuungen und Abhaltungen seines Hof-


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[0380] Diego velazquez und sein Jahrhundert und dunklere Hälfte bemerkt man, wie durch eine Dingounle getrennt. In der dunkeln steht der Kopf, auf den das meiste Licht gesammelt ist. Ruch hat er unterlassen, den dünnen Beinen durch beschattete Umgebung Festigkeit zu geben. Die Figur erscheint wie im Leeren; zwar sieht man ihren Schlag¬ schatten, aber er scheint an keinem Körper zu haften. Dieser helle Grund war eine Neuerung des Velazquez. Beides, das einseitig scharfe Licht und die Unterdrückung alles Zerstreuenden, sind sehr wirksame Mittel, dem Auge die Gestalt mit der Gewalt der Realität aufzudrängen. In dieser Sammlung und Kvuzeutrirung des Blickes liegt ein Geheimnis dieser Bildnisse, wie Be¬ schwörer das Zimmer verhängen, mit Qualm erfüllen und das Auge an eiuen Punkt bannen, um es für die Erscheinung empfänglich zu machen. In der That erscheint ja, wenn man einen Gegenstand scharf fixirt, die Umgebung nebelhaft, und ein bedeutendes Gesicht läßt alles umher vergessen. Es liegt darin also eine feinere Schmeichelei als in dem System der später» französischen Bildnismalcr mit ihrem Luxus bedeutungsvollen und blendenden Details. Wir können diese Bilder uicht mit dem Leben vergleichen, aber wir haben den Eindruck einer Treffsicherheit, ja Rücksichtslosigkeit in Umrisse» und Modu¬ lationen, welche an die Unfehlbarkeit der Photographie erinnert. Das Medium der künstlerischen Person, dessen verändernder uivellireuder Einfluß auf das Modell sich sonst von selbst zu verstehen scheint, scheint hier keine Brechung zu verursncheu. Aber in diesen scharfen Linien, in dieser statuenhaften Form ist das ewig bewegliche, augenblickliche, das Leben festgehalten; aus ihr blickt uus der Mensch an, sich selbst offenbarend, wie einst, als er so vor dein Maler stand." Diese Charakteristik malerischer Eigenschaften paßt freilich nur in alleu Punkten genau auf den Velazquez der zwanziger und dreißiger Jahre; aber das ist gerade der Velazquez, der bei denen unsrer zeitgenössischen Künstler, deren Sucht realistischer Darstellung mit der „Unfehlbarkeit der Photographie" wetteifert, das höchste Ansehen genießt. Als Velazquez in den vierziger und fünfziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts völlig in dem Hofdienst aufging — er war 1652 ^xoMntirdor rng^or as ^s.1avia> (Palastmarschall) geworden, und außerdem, wie Justi »ach dem Urteil glaubwürdiger Zeitgenosse» berichtet, „der Spiegel eines spanischen Edelmannes und Hofmannes" —, betrieb er auch die Malerei im Stil eines Hofmannes, der zahlreiche Aufträge mit der schuellgewährenden Verbindlichkeit eines Kavaliers erledigt und darüber nur noch selten Gelegenheit fand, mit seiner Muse geheime Zwiesprache zu Pflegen. In seiner Werkstatt arbeiteten Schüler nach seinen Anweisungen und nach seinen Urbildern. Zahlreiche Wiederholungen gingen unter Velazquez nennen in die Welt, und es bedarf daher gegenüber diesen Bildern ans Velazquez Spätzeit einer großen Vorsicht, die Justi auch mit diplomatischem Geschick geübt hat. Aber auch unter den Zerstreuungen und Abhaltungen seines Hof-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/380>, abgerufen am 23.07.2024.