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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die konservative" Elemente Frankreichs vor der großen Revolution

hatte, weil er aus Versehen den Gruß eines Bauern nicht erwidert hatte,
Akts der Schilderung des hohen Klerus -- vom Pfarrklerus weiß auch Taine
nichts Schlimmes zu berichten -- mag die Haltung der Klernsversammlung
im Jahre 1788 hervorgehoben werden. Die Regierung legte ihr das Tole¬
ranzpatent vor, das den Protestanten wieder eine bürgerliche Existenz zu
geben bestimmt war. Es fand keine wesentliche Opposition; der auf das Patent
bezügliche Passus in der Schlußrede des Präsidenten ist von wahrhaft
evangelischem Geiste durchweht. Auch den beabsichtigten Reformen im Krimi¬
nalwesen erwies sich die Versammlung freundlich: Möge Eure Majestät,
so sagte der Präsident, in Ihren Ordonnanzen jene überstrengen Gesetze löschen,
welche Vernunft, Gerechtigkeit und Humanität in gleicher Weise verwerfen.
Was den dritten Stand betrifft, so wird u. a. ein wohl nicht ganz unpar¬
teiisches Wort des Grafen Lanrcigunis angeführt. Dieser bemerkte der be¬
kannten Brandschrift des Ubbo Siehi'S gegenüber, der Verfasser habe mit
mehr Recht behaupten können, der dritte Stand sei alles, denn er habe alles;
die Magistratnr von Advokaten bis zum Kanzler, die Verwaltung vom Snb-
delegirten bis zum Intendanten, ja bis zum Minister, er beherrsche den Handel
und die Finanz, die kirchlichen Würden seien ihm nicht verschlossen, in
der Litteratur sei er tonangebend; nnr der höhere Militärdienst stehe ihm
nicht offen.

Nach den Institutionen werden die "überlieferten Bildungselemente" be¬
handelt. Guglia sucht z" beweisen, daß die Theologie, die Philosophie, die
Staats- und Rechtswissenschaft jener Zeit, wie sie in den Schulen vorgetragen
wurden, keineswegs den Spott verdient Hütten, mit dem sie von den Aufklärern
überschüttet wurden, daß sie sich keineswegs auf das Ncichbeteu mittelalterlicher
Scholastik beschränkt hätten, sondern den Zeitideen zugänglich gewesen seien,
ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen, daß es endlich auch an einer be¬
achtenswerten schönen Litteratur in den konservativen Kreisen nicht gefehlt
habe. Der Verfasser übt einen Akt der Gerechtigkeit, indem er die Kritiker
Desfontaines, Mron, Sabatier de Castres, Jnvingy, die Satiriker Moreau
und Gilbert, die Lyriker Colardeau und MalsMtre, den Dramatiker de Belloy,
den Mystiker Samt Martin der Vergessenheit entreißt (Piron, den er eben¬
falls nennt, ist ja wohl weniger unbekannt). Beruht doch die Berühmtheit
mancher Geister des andern Lagers weit weniger auf ihrem innern Werte, als
auf der Macht der Clique, der sie angehörten, und ist doch z. B. Moreaus
Reise ins Laud der Cacoucies, unter welchem Namen er die Philosophen ver¬
spottet, wirklich eine vortreffliche Satire. Von den Juristen, die in den Schulen
gelesen wurden, mag Donat genannt werden, dessen "Traktat über die Gesetze"
von den Gegnern Montesquieus über dessen l'^prit clos lois gestellt wurde.
Heute ist er so vergessen, daß ihn nicht einmal das Konversationslexikon kennt.
Ob er wirklich so weit hinter Montesquieu zurückbleibt, daß er dieses Schicksal


Die konservative» Elemente Frankreichs vor der großen Revolution

hatte, weil er aus Versehen den Gruß eines Bauern nicht erwidert hatte,
Akts der Schilderung des hohen Klerus — vom Pfarrklerus weiß auch Taine
nichts Schlimmes zu berichten — mag die Haltung der Klernsversammlung
im Jahre 1788 hervorgehoben werden. Die Regierung legte ihr das Tole¬
ranzpatent vor, das den Protestanten wieder eine bürgerliche Existenz zu
geben bestimmt war. Es fand keine wesentliche Opposition; der auf das Patent
bezügliche Passus in der Schlußrede des Präsidenten ist von wahrhaft
evangelischem Geiste durchweht. Auch den beabsichtigten Reformen im Krimi¬
nalwesen erwies sich die Versammlung freundlich: Möge Eure Majestät,
so sagte der Präsident, in Ihren Ordonnanzen jene überstrengen Gesetze löschen,
welche Vernunft, Gerechtigkeit und Humanität in gleicher Weise verwerfen.
Was den dritten Stand betrifft, so wird u. a. ein wohl nicht ganz unpar¬
teiisches Wort des Grafen Lanrcigunis angeführt. Dieser bemerkte der be¬
kannten Brandschrift des Ubbo Siehi'S gegenüber, der Verfasser habe mit
mehr Recht behaupten können, der dritte Stand sei alles, denn er habe alles;
die Magistratnr von Advokaten bis zum Kanzler, die Verwaltung vom Snb-
delegirten bis zum Intendanten, ja bis zum Minister, er beherrsche den Handel
und die Finanz, die kirchlichen Würden seien ihm nicht verschlossen, in
der Litteratur sei er tonangebend; nnr der höhere Militärdienst stehe ihm
nicht offen.

Nach den Institutionen werden die „überlieferten Bildungselemente" be¬
handelt. Guglia sucht z» beweisen, daß die Theologie, die Philosophie, die
Staats- und Rechtswissenschaft jener Zeit, wie sie in den Schulen vorgetragen
wurden, keineswegs den Spott verdient Hütten, mit dem sie von den Aufklärern
überschüttet wurden, daß sie sich keineswegs auf das Ncichbeteu mittelalterlicher
Scholastik beschränkt hätten, sondern den Zeitideen zugänglich gewesen seien,
ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen, daß es endlich auch an einer be¬
achtenswerten schönen Litteratur in den konservativen Kreisen nicht gefehlt
habe. Der Verfasser übt einen Akt der Gerechtigkeit, indem er die Kritiker
Desfontaines, Mron, Sabatier de Castres, Jnvingy, die Satiriker Moreau
und Gilbert, die Lyriker Colardeau und MalsMtre, den Dramatiker de Belloy,
den Mystiker Samt Martin der Vergessenheit entreißt (Piron, den er eben¬
falls nennt, ist ja wohl weniger unbekannt). Beruht doch die Berühmtheit
mancher Geister des andern Lagers weit weniger auf ihrem innern Werte, als
auf der Macht der Clique, der sie angehörten, und ist doch z. B. Moreaus
Reise ins Laud der Cacoucies, unter welchem Namen er die Philosophen ver¬
spottet, wirklich eine vortreffliche Satire. Von den Juristen, die in den Schulen
gelesen wurden, mag Donat genannt werden, dessen „Traktat über die Gesetze"
von den Gegnern Montesquieus über dessen l'^prit clos lois gestellt wurde.
Heute ist er so vergessen, daß ihn nicht einmal das Konversationslexikon kennt.
Ob er wirklich so weit hinter Montesquieu zurückbleibt, daß er dieses Schicksal


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[0355] Die konservative» Elemente Frankreichs vor der großen Revolution hatte, weil er aus Versehen den Gruß eines Bauern nicht erwidert hatte, Akts der Schilderung des hohen Klerus — vom Pfarrklerus weiß auch Taine nichts Schlimmes zu berichten — mag die Haltung der Klernsversammlung im Jahre 1788 hervorgehoben werden. Die Regierung legte ihr das Tole¬ ranzpatent vor, das den Protestanten wieder eine bürgerliche Existenz zu geben bestimmt war. Es fand keine wesentliche Opposition; der auf das Patent bezügliche Passus in der Schlußrede des Präsidenten ist von wahrhaft evangelischem Geiste durchweht. Auch den beabsichtigten Reformen im Krimi¬ nalwesen erwies sich die Versammlung freundlich: Möge Eure Majestät, so sagte der Präsident, in Ihren Ordonnanzen jene überstrengen Gesetze löschen, welche Vernunft, Gerechtigkeit und Humanität in gleicher Weise verwerfen. Was den dritten Stand betrifft, so wird u. a. ein wohl nicht ganz unpar¬ teiisches Wort des Grafen Lanrcigunis angeführt. Dieser bemerkte der be¬ kannten Brandschrift des Ubbo Siehi'S gegenüber, der Verfasser habe mit mehr Recht behaupten können, der dritte Stand sei alles, denn er habe alles; die Magistratnr von Advokaten bis zum Kanzler, die Verwaltung vom Snb- delegirten bis zum Intendanten, ja bis zum Minister, er beherrsche den Handel und die Finanz, die kirchlichen Würden seien ihm nicht verschlossen, in der Litteratur sei er tonangebend; nnr der höhere Militärdienst stehe ihm nicht offen. Nach den Institutionen werden die „überlieferten Bildungselemente" be¬ handelt. Guglia sucht z» beweisen, daß die Theologie, die Philosophie, die Staats- und Rechtswissenschaft jener Zeit, wie sie in den Schulen vorgetragen wurden, keineswegs den Spott verdient Hütten, mit dem sie von den Aufklärern überschüttet wurden, daß sie sich keineswegs auf das Ncichbeteu mittelalterlicher Scholastik beschränkt hätten, sondern den Zeitideen zugänglich gewesen seien, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen, daß es endlich auch an einer be¬ achtenswerten schönen Litteratur in den konservativen Kreisen nicht gefehlt habe. Der Verfasser übt einen Akt der Gerechtigkeit, indem er die Kritiker Desfontaines, Mron, Sabatier de Castres, Jnvingy, die Satiriker Moreau und Gilbert, die Lyriker Colardeau und MalsMtre, den Dramatiker de Belloy, den Mystiker Samt Martin der Vergessenheit entreißt (Piron, den er eben¬ falls nennt, ist ja wohl weniger unbekannt). Beruht doch die Berühmtheit mancher Geister des andern Lagers weit weniger auf ihrem innern Werte, als auf der Macht der Clique, der sie angehörten, und ist doch z. B. Moreaus Reise ins Laud der Cacoucies, unter welchem Namen er die Philosophen ver¬ spottet, wirklich eine vortreffliche Satire. Von den Juristen, die in den Schulen gelesen wurden, mag Donat genannt werden, dessen „Traktat über die Gesetze" von den Gegnern Montesquieus über dessen l'^prit clos lois gestellt wurde. Heute ist er so vergessen, daß ihn nicht einmal das Konversationslexikon kennt. Ob er wirklich so weit hinter Montesquieu zurückbleibt, daß er dieses Schicksal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/355>, abgerufen am 23.07.2024.