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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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konservativen Elemente Frankreichs vor der groszen Revolution

fachen der Revolution im Grunde genommen nichts neues. Auch unes Gnglia
hat Ludwig XIV. die Revolution verschuldet, indem er durch Niederreißung
aller Schranken, die seinem absoluten Willen im Wege standen, den Staat in
eine baumlose Ebene verwandelte, über die sich der Strom der Neuerung
ungehindert ergießen konnte, mochte er nun von einem legitimen Despoten oder
von einem Usurpator oder von einem Pöbelhaufen entfesselt fein. Auch uach
ihm war die Schwäche und Unfähigkeit der beiden folgenden Ludwige schuld,
daß die Neuerung, wenn sie sich uun einmal nicht abweisen ließ, nicht in den
Bahnen einer geordneten Reform zu halten war.

Nur deu Mißgriffen der Regierung schreibt er eS zu, daß alle Reform-
versuche mißlangen. "Eine wahrhaft konservative Politik ist auch unter
Ludwig XVI. niemals mit Konsequenz und Energie verfolgt worden. Ich
weiß wohl, es hat einsichtige Beurteiler dieser Zeitläufte gegeben, die eine
ganz entgegengesetzte Meinung hegte". Nicht eine konservative, sondern nur
eine radikale Regierung, ganz von der Art, wie sie unter Ludwig XIV. be¬
stand, hätte -- so sagen diese -- die Monarchie in Frankreich retten können,
denn die alten historischen Institutionen waren alle innerlich abgestorben. Die
Aufgabe der folgenden Blätter wird es sein, lebenskräftige Triebe in diesen
Organismen dennoch nachzuweisen. Wäre es aber wirklich so, wie jene meinen,
so hätte es auch dazu vor allem unbeugsamer Entschiedenheit bedurft, wie sie
jeuer Regierung niemals innewohnte." Auch eine Ansicht, die den Freunden
des alten Stäudeweseus und deu Liberalen, zwei sonst sehr selten überein¬
stimmenden Gruppen, gemeinsam ist, wird von Gnglia bestätigt, daß nämlich
das Volk dnrch den bevormundenden Absolutismus die Fähigkeit verloren
habe, sich in schwierigen Lagen selbst zu helfen. "Der praktische Sinn, der
den Franzosen von Natur aus innewohnt, litt sogar darunter, und vielleicht
ist auch dies ein Grund, warum die chimärischen Ideen theoretischer Politiker
so leicht Eingang in die Mittelkreise fanden, warum endlich diese, denen die
Revolution so viel brachte, was sie eigentlich nicht wollten, so viel nahm,
was sie lieber hätten bewahren "vollen, ^ihr?> so ganz hilflos und unthätig
gegenüberstanden."

So war also die erste und vornehmste der Institutionen, aus denen das
alte Frankreich bestand, und die nach des Verfassers Ansicht ihre Lebensfähig¬
keit noch keineswegs verloren hatten, zur Bahnbrecherin der Revolution ge¬
worden. Desto tapferer hielten sich die Parlamente. "Die Wahrheit, die
Madame stritt hernach so epigrammatisch scharf geäußert: daß die Freiheit
alt und der Despotismus neu sei, haben sie immer verfochten. Sie wollten
darum das Alte erneuern, nicht seine letzten Spuren vernichten, und darum
fand die Revolution schon in ihrer ersten, scheinbar gemäßigte" Periode so
zahlreiche und entschiedene Gegner in den Reihen der Magistratnr." Wenn
sie bei verschiedenen Gelegenheiten ihre Rechte bis auf die Ständeversamm-


konservativen Elemente Frankreichs vor der groszen Revolution

fachen der Revolution im Grunde genommen nichts neues. Auch unes Gnglia
hat Ludwig XIV. die Revolution verschuldet, indem er durch Niederreißung
aller Schranken, die seinem absoluten Willen im Wege standen, den Staat in
eine baumlose Ebene verwandelte, über die sich der Strom der Neuerung
ungehindert ergießen konnte, mochte er nun von einem legitimen Despoten oder
von einem Usurpator oder von einem Pöbelhaufen entfesselt fein. Auch uach
ihm war die Schwäche und Unfähigkeit der beiden folgenden Ludwige schuld,
daß die Neuerung, wenn sie sich uun einmal nicht abweisen ließ, nicht in den
Bahnen einer geordneten Reform zu halten war.

Nur deu Mißgriffen der Regierung schreibt er eS zu, daß alle Reform-
versuche mißlangen. „Eine wahrhaft konservative Politik ist auch unter
Ludwig XVI. niemals mit Konsequenz und Energie verfolgt worden. Ich
weiß wohl, es hat einsichtige Beurteiler dieser Zeitläufte gegeben, die eine
ganz entgegengesetzte Meinung hegte». Nicht eine konservative, sondern nur
eine radikale Regierung, ganz von der Art, wie sie unter Ludwig XIV. be¬
stand, hätte — so sagen diese — die Monarchie in Frankreich retten können,
denn die alten historischen Institutionen waren alle innerlich abgestorben. Die
Aufgabe der folgenden Blätter wird es sein, lebenskräftige Triebe in diesen
Organismen dennoch nachzuweisen. Wäre es aber wirklich so, wie jene meinen,
so hätte es auch dazu vor allem unbeugsamer Entschiedenheit bedurft, wie sie
jeuer Regierung niemals innewohnte." Auch eine Ansicht, die den Freunden
des alten Stäudeweseus und deu Liberalen, zwei sonst sehr selten überein¬
stimmenden Gruppen, gemeinsam ist, wird von Gnglia bestätigt, daß nämlich
das Volk dnrch den bevormundenden Absolutismus die Fähigkeit verloren
habe, sich in schwierigen Lagen selbst zu helfen. „Der praktische Sinn, der
den Franzosen von Natur aus innewohnt, litt sogar darunter, und vielleicht
ist auch dies ein Grund, warum die chimärischen Ideen theoretischer Politiker
so leicht Eingang in die Mittelkreise fanden, warum endlich diese, denen die
Revolution so viel brachte, was sie eigentlich nicht wollten, so viel nahm,
was sie lieber hätten bewahren »vollen, ^ihr?> so ganz hilflos und unthätig
gegenüberstanden."

So war also die erste und vornehmste der Institutionen, aus denen das
alte Frankreich bestand, und die nach des Verfassers Ansicht ihre Lebensfähig¬
keit noch keineswegs verloren hatten, zur Bahnbrecherin der Revolution ge¬
worden. Desto tapferer hielten sich die Parlamente. „Die Wahrheit, die
Madame stritt hernach so epigrammatisch scharf geäußert: daß die Freiheit
alt und der Despotismus neu sei, haben sie immer verfochten. Sie wollten
darum das Alte erneuern, nicht seine letzten Spuren vernichten, und darum
fand die Revolution schon in ihrer ersten, scheinbar gemäßigte» Periode so
zahlreiche und entschiedene Gegner in den Reihen der Magistratnr." Wenn
sie bei verschiedenen Gelegenheiten ihre Rechte bis auf die Ständeversamm-


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[0352] konservativen Elemente Frankreichs vor der groszen Revolution fachen der Revolution im Grunde genommen nichts neues. Auch unes Gnglia hat Ludwig XIV. die Revolution verschuldet, indem er durch Niederreißung aller Schranken, die seinem absoluten Willen im Wege standen, den Staat in eine baumlose Ebene verwandelte, über die sich der Strom der Neuerung ungehindert ergießen konnte, mochte er nun von einem legitimen Despoten oder von einem Usurpator oder von einem Pöbelhaufen entfesselt fein. Auch uach ihm war die Schwäche und Unfähigkeit der beiden folgenden Ludwige schuld, daß die Neuerung, wenn sie sich uun einmal nicht abweisen ließ, nicht in den Bahnen einer geordneten Reform zu halten war. Nur deu Mißgriffen der Regierung schreibt er eS zu, daß alle Reform- versuche mißlangen. „Eine wahrhaft konservative Politik ist auch unter Ludwig XVI. niemals mit Konsequenz und Energie verfolgt worden. Ich weiß wohl, es hat einsichtige Beurteiler dieser Zeitläufte gegeben, die eine ganz entgegengesetzte Meinung hegte». Nicht eine konservative, sondern nur eine radikale Regierung, ganz von der Art, wie sie unter Ludwig XIV. be¬ stand, hätte — so sagen diese — die Monarchie in Frankreich retten können, denn die alten historischen Institutionen waren alle innerlich abgestorben. Die Aufgabe der folgenden Blätter wird es sein, lebenskräftige Triebe in diesen Organismen dennoch nachzuweisen. Wäre es aber wirklich so, wie jene meinen, so hätte es auch dazu vor allem unbeugsamer Entschiedenheit bedurft, wie sie jeuer Regierung niemals innewohnte." Auch eine Ansicht, die den Freunden des alten Stäudeweseus und deu Liberalen, zwei sonst sehr selten überein¬ stimmenden Gruppen, gemeinsam ist, wird von Gnglia bestätigt, daß nämlich das Volk dnrch den bevormundenden Absolutismus die Fähigkeit verloren habe, sich in schwierigen Lagen selbst zu helfen. „Der praktische Sinn, der den Franzosen von Natur aus innewohnt, litt sogar darunter, und vielleicht ist auch dies ein Grund, warum die chimärischen Ideen theoretischer Politiker so leicht Eingang in die Mittelkreise fanden, warum endlich diese, denen die Revolution so viel brachte, was sie eigentlich nicht wollten, so viel nahm, was sie lieber hätten bewahren »vollen, ^ihr?> so ganz hilflos und unthätig gegenüberstanden." So war also die erste und vornehmste der Institutionen, aus denen das alte Frankreich bestand, und die nach des Verfassers Ansicht ihre Lebensfähig¬ keit noch keineswegs verloren hatten, zur Bahnbrecherin der Revolution ge¬ worden. Desto tapferer hielten sich die Parlamente. „Die Wahrheit, die Madame stritt hernach so epigrammatisch scharf geäußert: daß die Freiheit alt und der Despotismus neu sei, haben sie immer verfochten. Sie wollten darum das Alte erneuern, nicht seine letzten Spuren vernichten, und darum fand die Revolution schon in ihrer ersten, scheinbar gemäßigte» Periode so zahlreiche und entschiedene Gegner in den Reihen der Magistratnr." Wenn sie bei verschiedenen Gelegenheiten ihre Rechte bis auf die Ständeversamm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/352>, abgerufen am 23.07.2024.