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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Tabaksdöschen

Nicht nur als gesellschaftliches Zierstück, sonder" mis wahres Herzensbedürfnis
seiner Trägerin wird das Döschen in einem Liede gefeiert, das sich in dein
beliebtesten Hansgesangbuche des Jahrhunderts findet, in Spervntes "singender
Muse an der Pleiße." Mit warmem Eifer spricht hier ein artiges Mädchen
zärtliche Empfindungen für ihren Liebling aus.

beginnt der Hymnus. Der erste Blick der erwachten Schläferin ist ans das
Kleinod gerichtet, sie trägt es stündlich bei sich und kann sich mich in Gesell¬
schaft nicht davon trennen.

Ganz niedlich stehen zwar die Pfeiffer,
Die sonst das Mannsvolk braucht und hält;
Doch in mein Döschen nur zu greifen,
Geht über alles in der Welt.
Und dem nur ist mein Herz bestimmt,
Der auch zugleich mein Döschen nimmt.
Mit dem Null ich zufrieden leben,
Dem will ich mich zu eigen weyhiu
Das Beispiel soll mein Dösgen geben,
Ihm unverändert tren zu seyn.
Denn mich ergötzet Tag vor Tag
Mein Dösgen voller Schnupftabak.

Als dieses Lied erklang, hatte der Ruhm des Döschens seinen Zenith erreicht.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, wo die Ideale des Rokoko neuen,
mächtigen Einflüssen weichen, beginnt auch sein Ansehen mehr und mehr zu
sinken. Es wird still von ihm im Dichterhain. Edlere und höhere Gedanken
erregen den "tiefen Grund der Menschheit" und lassen die Herzen rascher
schlagen. "Stell' den vermaledeiten Kaffee ein und das Tobackschnupfen, so
brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markte zu tragen," herrscht der
alte Musikus Miller seine Ehehälfte an, die im Nachtgewand ihren Morgen¬
kaffee schlürft. Wie erscheint hier in den Händen der liederlichen Schlampe
das einst so gefeierte Döschen all seines galanten Glanzes beraubt! "Ver¬
blichen ist sein Schimmer." Kraftgedanken, die nach des Dichters Worten
sich oft an geringe Dinge knüpfen, kann der Rückblick auf seine Geschichte
nicht erwecken. Daß es aber uuter den Zieraten des Rokoko, dessen Wesen
sich anch in seinem Kultus anschaulich darstellt, sein bescheidenes Plätzchen
einnehmen darf, wird mau ihm wohl zugestehen. Wird die neuerwachte Be¬
geisterung für die reiche und zierliche Formenwelt des Rokoko auch unsern
Schönen das verehrte Döschen wieder wert machen?




Das Tabaksdöschen

Nicht nur als gesellschaftliches Zierstück, sonder» mis wahres Herzensbedürfnis
seiner Trägerin wird das Döschen in einem Liede gefeiert, das sich in dein
beliebtesten Hansgesangbuche des Jahrhunderts findet, in Spervntes „singender
Muse an der Pleiße." Mit warmem Eifer spricht hier ein artiges Mädchen
zärtliche Empfindungen für ihren Liebling aus.

beginnt der Hymnus. Der erste Blick der erwachten Schläferin ist ans das
Kleinod gerichtet, sie trägt es stündlich bei sich und kann sich mich in Gesell¬
schaft nicht davon trennen.

Ganz niedlich stehen zwar die Pfeiffer,
Die sonst das Mannsvolk braucht und hält;
Doch in mein Döschen nur zu greifen,
Geht über alles in der Welt.
Und dem nur ist mein Herz bestimmt,
Der auch zugleich mein Döschen nimmt.
Mit dem Null ich zufrieden leben,
Dem will ich mich zu eigen weyhiu
Das Beispiel soll mein Dösgen geben,
Ihm unverändert tren zu seyn.
Denn mich ergötzet Tag vor Tag
Mein Dösgen voller Schnupftabak.

Als dieses Lied erklang, hatte der Ruhm des Döschens seinen Zenith erreicht.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, wo die Ideale des Rokoko neuen,
mächtigen Einflüssen weichen, beginnt auch sein Ansehen mehr und mehr zu
sinken. Es wird still von ihm im Dichterhain. Edlere und höhere Gedanken
erregen den „tiefen Grund der Menschheit" und lassen die Herzen rascher
schlagen. „Stell' den vermaledeiten Kaffee ein und das Tobackschnupfen, so
brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markte zu tragen," herrscht der
alte Musikus Miller seine Ehehälfte an, die im Nachtgewand ihren Morgen¬
kaffee schlürft. Wie erscheint hier in den Händen der liederlichen Schlampe
das einst so gefeierte Döschen all seines galanten Glanzes beraubt! „Ver¬
blichen ist sein Schimmer." Kraftgedanken, die nach des Dichters Worten
sich oft an geringe Dinge knüpfen, kann der Rückblick auf seine Geschichte
nicht erwecken. Daß es aber uuter den Zieraten des Rokoko, dessen Wesen
sich anch in seinem Kultus anschaulich darstellt, sein bescheidenes Plätzchen
einnehmen darf, wird mau ihm wohl zugestehen. Wird die neuerwachte Be¬
geisterung für die reiche und zierliche Formenwelt des Rokoko auch unsern
Schönen das verehrte Döschen wieder wert machen?




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[0338] Das Tabaksdöschen Nicht nur als gesellschaftliches Zierstück, sonder» mis wahres Herzensbedürfnis seiner Trägerin wird das Döschen in einem Liede gefeiert, das sich in dein beliebtesten Hansgesangbuche des Jahrhunderts findet, in Spervntes „singender Muse an der Pleiße." Mit warmem Eifer spricht hier ein artiges Mädchen zärtliche Empfindungen für ihren Liebling aus. beginnt der Hymnus. Der erste Blick der erwachten Schläferin ist ans das Kleinod gerichtet, sie trägt es stündlich bei sich und kann sich mich in Gesell¬ schaft nicht davon trennen. Ganz niedlich stehen zwar die Pfeiffer, Die sonst das Mannsvolk braucht und hält; Doch in mein Döschen nur zu greifen, Geht über alles in der Welt. Und dem nur ist mein Herz bestimmt, Der auch zugleich mein Döschen nimmt. Mit dem Null ich zufrieden leben, Dem will ich mich zu eigen weyhiu Das Beispiel soll mein Dösgen geben, Ihm unverändert tren zu seyn. Denn mich ergötzet Tag vor Tag Mein Dösgen voller Schnupftabak. Als dieses Lied erklang, hatte der Ruhm des Döschens seinen Zenith erreicht. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, wo die Ideale des Rokoko neuen, mächtigen Einflüssen weichen, beginnt auch sein Ansehen mehr und mehr zu sinken. Es wird still von ihm im Dichterhain. Edlere und höhere Gedanken erregen den „tiefen Grund der Menschheit" und lassen die Herzen rascher schlagen. „Stell' den vermaledeiten Kaffee ein und das Tobackschnupfen, so brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markte zu tragen," herrscht der alte Musikus Miller seine Ehehälfte an, die im Nachtgewand ihren Morgen¬ kaffee schlürft. Wie erscheint hier in den Händen der liederlichen Schlampe das einst so gefeierte Döschen all seines galanten Glanzes beraubt! „Ver¬ blichen ist sein Schimmer." Kraftgedanken, die nach des Dichters Worten sich oft an geringe Dinge knüpfen, kann der Rückblick auf seine Geschichte nicht erwecken. Daß es aber uuter den Zieraten des Rokoko, dessen Wesen sich anch in seinem Kultus anschaulich darstellt, sein bescheidenes Plätzchen einnehmen darf, wird mau ihm wohl zugestehen. Wird die neuerwachte Be¬ geisterung für die reiche und zierliche Formenwelt des Rokoko auch unsern Schönen das verehrte Döschen wieder wert machen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/338>, abgerufen am 03.07.2024.