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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Dos Tavaksdöscheu

huldigte. Ihrer sittlichen Entrüstung leiht sie ihren Vertrauten gegenüber in
ihrer derben, herzerfrischenden Art köstlichen Ausdruck: "Ich kan nicht lebten,
daß die Weiber tabcick Nehmen -- schreibt sie 1701 an ihre Tante, die Kur¬
fürstin Sophie von Hannover. - Es ist aber nichts gemeiner jetzt, unä'' den--
le-ruf und inani" ig. vuonvssö Nehmen til-d-ro, daß es abscheulich ist." Noch
kräftiger äußert sich ihr Unwille 1713 in einem Briefe an ihre Halbschwester,
die Naugräsin Luise von der Pfalz. "Es ist eine abschenliche sach mit dem
orne,, ich hoffe, daß Ihr keinen nehmt, liebe Luise! Es ärgert mich recht,
wen ich hier alle weibsleutte mitt den schmutzigen maßen, als wen sie in treck
mit Verlaub, gerieben hätten, daher kommen undt die finger in alle der Männer
ihre taimotiöre, stecken sehe, dan muß ich gleich Spesen, so cckelt es nur." Aber
ihre Klagen konnten den Siegeslauf der Schnupftabaksdose nicht aufhalte".
In Frankreich, England und Deutschland wird sie rasch heimisch und spielt in
einzelnen Gesellschaftskreisen bald eine wichtige Rolle. Wenn auch das Vor¬
bild Frankreichs für ihre rasche Verbreitung den Ausschlag gab, so faud doch
die zierliche Behausung des Schnupftabaks nicht als Tabatiere ihren Weg
durch die galante Welt, sondern erfreute sich heimischer Bezeichnung. Als
"milt-box ist sie von den Engländern gefeiert worden, als Dose, noch mehr
in der traulichen und ihrem Wesen angemessenen Koseform "Döschen" wurde
sie deutschen Herzen derer. Adelung wollte freilich dem Worte den Hauch des
Heimischen nehmen lind es aus dem französischen closo, das gar nicht die Be¬
deutung des deutschen Wortes hat, herleiten. Das Grimmsche Wörterbuch
wahrt dem Döschen die deutsche Abkunft. Wie weit sich in Deutschland die
Herrschaft des Schnupftabaks erstreckte, zeigt die Angabe des großen Universal¬
lexikons nnter dem Worte: "Schnupftabak." "Heutzutage -- heißt es hier --
wird er aus Gewohnheit von jedermann, sogar von Weibern genommen, und
eine zierliche Tabaksdose nnter die zu einer galanten Kleidung gehörige" Stücke
gerechnet."

Die begeistertste Aufnahme lind die sorgfältigste Pflege fand der Dosen-
lultus in den Kreisen der Stutzer, Pflastertreter, Chapeaus, und wie die lange
Ahnenreihe unsrer Dandies, Schuipel, Gigerl heißt. Die Stellung, die der
Stutzer in der galanten Welt des achtzehnten Jahrhunderts einnimmt, ist be¬
zeichnend für "den zwar schwache", aber wegen seiner Unschuld und Kindlichkeit
liebenswürdigen Zustand des damaligen geselligen Lebens und Wesens," wie
ihn Goethe geschildert hat. Zu keiner Zeit ist wohl seinen? im Grunde ge¬
nommen harmlosen und bei aller proteischen Wandelbarkeit der äußern Ver¬
meidung in deu Weseuseigeuheiteu sich fast immer gleichen Dasein eine so ein¬
gehende Aufmerksamkeit gewidmet worden, nie ist er in dein Grade das Merk¬
ziel der Betrachter gewesen, wie in der Litteratur dieser Zeit.


Dos Tavaksdöscheu

huldigte. Ihrer sittlichen Entrüstung leiht sie ihren Vertrauten gegenüber in
ihrer derben, herzerfrischenden Art köstlichen Ausdruck: „Ich kan nicht lebten,
daß die Weiber tabcick Nehmen — schreibt sie 1701 an ihre Tante, die Kur¬
fürstin Sophie von Hannover. - Es ist aber nichts gemeiner jetzt, unä'' den--
le-ruf und inani" ig. vuonvssö Nehmen til-d-ro, daß es abscheulich ist." Noch
kräftiger äußert sich ihr Unwille 1713 in einem Briefe an ihre Halbschwester,
die Naugräsin Luise von der Pfalz. „Es ist eine abschenliche sach mit dem
orne,, ich hoffe, daß Ihr keinen nehmt, liebe Luise! Es ärgert mich recht,
wen ich hier alle weibsleutte mitt den schmutzigen maßen, als wen sie in treck
mit Verlaub, gerieben hätten, daher kommen undt die finger in alle der Männer
ihre taimotiöre, stecken sehe, dan muß ich gleich Spesen, so cckelt es nur." Aber
ihre Klagen konnten den Siegeslauf der Schnupftabaksdose nicht aufhalte».
In Frankreich, England und Deutschland wird sie rasch heimisch und spielt in
einzelnen Gesellschaftskreisen bald eine wichtige Rolle. Wenn auch das Vor¬
bild Frankreichs für ihre rasche Verbreitung den Ausschlag gab, so faud doch
die zierliche Behausung des Schnupftabaks nicht als Tabatiere ihren Weg
durch die galante Welt, sondern erfreute sich heimischer Bezeichnung. Als
»milt-box ist sie von den Engländern gefeiert worden, als Dose, noch mehr
in der traulichen und ihrem Wesen angemessenen Koseform „Döschen" wurde
sie deutschen Herzen derer. Adelung wollte freilich dem Worte den Hauch des
Heimischen nehmen lind es aus dem französischen closo, das gar nicht die Be¬
deutung des deutschen Wortes hat, herleiten. Das Grimmsche Wörterbuch
wahrt dem Döschen die deutsche Abkunft. Wie weit sich in Deutschland die
Herrschaft des Schnupftabaks erstreckte, zeigt die Angabe des großen Universal¬
lexikons nnter dem Worte: „Schnupftabak." „Heutzutage — heißt es hier —
wird er aus Gewohnheit von jedermann, sogar von Weibern genommen, und
eine zierliche Tabaksdose nnter die zu einer galanten Kleidung gehörige» Stücke
gerechnet."

Die begeistertste Aufnahme lind die sorgfältigste Pflege fand der Dosen-
lultus in den Kreisen der Stutzer, Pflastertreter, Chapeaus, und wie die lange
Ahnenreihe unsrer Dandies, Schuipel, Gigerl heißt. Die Stellung, die der
Stutzer in der galanten Welt des achtzehnten Jahrhunderts einnimmt, ist be¬
zeichnend für „den zwar schwache», aber wegen seiner Unschuld und Kindlichkeit
liebenswürdigen Zustand des damaligen geselligen Lebens und Wesens," wie
ihn Goethe geschildert hat. Zu keiner Zeit ist wohl seinen? im Grunde ge¬
nommen harmlosen und bei aller proteischen Wandelbarkeit der äußern Ver¬
meidung in deu Weseuseigeuheiteu sich fast immer gleichen Dasein eine so ein¬
gehende Aufmerksamkeit gewidmet worden, nie ist er in dein Grade das Merk¬
ziel der Betrachter gewesen, wie in der Litteratur dieser Zeit.


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[0333] Dos Tavaksdöscheu huldigte. Ihrer sittlichen Entrüstung leiht sie ihren Vertrauten gegenüber in ihrer derben, herzerfrischenden Art köstlichen Ausdruck: „Ich kan nicht lebten, daß die Weiber tabcick Nehmen — schreibt sie 1701 an ihre Tante, die Kur¬ fürstin Sophie von Hannover. - Es ist aber nichts gemeiner jetzt, unä'' den-- le-ruf und inani" ig. vuonvssö Nehmen til-d-ro, daß es abscheulich ist." Noch kräftiger äußert sich ihr Unwille 1713 in einem Briefe an ihre Halbschwester, die Naugräsin Luise von der Pfalz. „Es ist eine abschenliche sach mit dem orne,, ich hoffe, daß Ihr keinen nehmt, liebe Luise! Es ärgert mich recht, wen ich hier alle weibsleutte mitt den schmutzigen maßen, als wen sie in treck mit Verlaub, gerieben hätten, daher kommen undt die finger in alle der Männer ihre taimotiöre, stecken sehe, dan muß ich gleich Spesen, so cckelt es nur." Aber ihre Klagen konnten den Siegeslauf der Schnupftabaksdose nicht aufhalte». In Frankreich, England und Deutschland wird sie rasch heimisch und spielt in einzelnen Gesellschaftskreisen bald eine wichtige Rolle. Wenn auch das Vor¬ bild Frankreichs für ihre rasche Verbreitung den Ausschlag gab, so faud doch die zierliche Behausung des Schnupftabaks nicht als Tabatiere ihren Weg durch die galante Welt, sondern erfreute sich heimischer Bezeichnung. Als »milt-box ist sie von den Engländern gefeiert worden, als Dose, noch mehr in der traulichen und ihrem Wesen angemessenen Koseform „Döschen" wurde sie deutschen Herzen derer. Adelung wollte freilich dem Worte den Hauch des Heimischen nehmen lind es aus dem französischen closo, das gar nicht die Be¬ deutung des deutschen Wortes hat, herleiten. Das Grimmsche Wörterbuch wahrt dem Döschen die deutsche Abkunft. Wie weit sich in Deutschland die Herrschaft des Schnupftabaks erstreckte, zeigt die Angabe des großen Universal¬ lexikons nnter dem Worte: „Schnupftabak." „Heutzutage — heißt es hier — wird er aus Gewohnheit von jedermann, sogar von Weibern genommen, und eine zierliche Tabaksdose nnter die zu einer galanten Kleidung gehörige» Stücke gerechnet." Die begeistertste Aufnahme lind die sorgfältigste Pflege fand der Dosen- lultus in den Kreisen der Stutzer, Pflastertreter, Chapeaus, und wie die lange Ahnenreihe unsrer Dandies, Schuipel, Gigerl heißt. Die Stellung, die der Stutzer in der galanten Welt des achtzehnten Jahrhunderts einnimmt, ist be¬ zeichnend für „den zwar schwache», aber wegen seiner Unschuld und Kindlichkeit liebenswürdigen Zustand des damaligen geselligen Lebens und Wesens," wie ihn Goethe geschildert hat. Zu keiner Zeit ist wohl seinen? im Grunde ge¬ nommen harmlosen und bei aller proteischen Wandelbarkeit der äußern Ver¬ meidung in deu Weseuseigeuheiteu sich fast immer gleichen Dasein eine so ein¬ gehende Aufmerksamkeit gewidmet worden, nie ist er in dein Grade das Merk¬ ziel der Betrachter gewesen, wie in der Litteratur dieser Zeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/333>, abgerufen am 23.07.2024.