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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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dann unabweisbar gewordenes Bedürfnis und die Macht der Mode haben
auf ihre Verbreitung und wechselnde Wertschätzung Einfluß geübt. Die Sitte,
durch lange Röhrchen den Rauch des entzündeten und langsam verglimmenden
Krautes einzuziehen, ist die erste Form der Tabaksverehrung. Lauge Zeit
war hierfür der Name "Tabaktrinken" oder, wie kräftige Gemüter es herz¬
hafter ausdrücken "Tabaksaufen" in Geltung. Die neue Kunst fand rasch
eifrige Lehrer und strebsame Schüler, deren ausdauernder Fleiß die schwierigen
Anfangsgründe mutig überwand. "Es ist nichts in der Welt -- heißt es im
"satyrischen Pilgram" Grimmelshausens --, das man den andern so gern lernet
als das Tabaksanfen." Während die neuen Moden meist zuerst in den Kreisen
der obern Zehntausend heimisch wurden und dann allmählich zu den breiten
Volksschichten durchsickerten, hat sich der Tabak seinen Weg von unten nach
oben gebahnt. Rohe Kriegsknechte sind seine ersten Anhänger gewesen. Trotz
mancher Hindernisse erlangte er in kurzer Zeit ein gewaltiges Herrschaftsgebiet,
er wurde sogar salon- und hoffähig. Freudige Aufnahme fanden Knaster und
Pfeife in den Kreisen der studirenden Jugend; wer sich hier einmal ihnen er¬
geben hatte, wurde ein treuer Verehrer sür Lebenszeit und warb in neuen
Lebensstellungen neue Gläubige. Laute" Wiederhall fand dieses trauliche Ver¬
hältnis zum Tabak in einer Unzahl von Liedern, die zum Preise des fremden
Krautes in deutscher Zunge erklungen sind. "Es giebt eine Zeit in unsrer
schönen Litteratur -- sagt Hoffmann von Fallersleben --, etwa von 1690 bis 1730,
in der jedes Blatt nach Tabak riecht." Es ließe sich eine stattliche Hhmno-
logie des Knasters zusammenstellen, wenn nicht die Zwecklosigkeit des Unter¬
nehmens von vornherein klar wäre. Denn diese gereimten Ergüsse leidenschaft¬
lichen Dankes sind meist wertlose Spreu; je wortreicher, um so gedankenarmer.
Welch hohen Flug die vom Tabaksqualm umnebelte Phantasie begeisterter
Sänger nahm, lehrt Johann Rauchwohls "sinnreiches Lob des Tabaks."
Der Dichter brachte es fertig, das fremde Kraut in 101 sechszeiligen Strophen
zu besingen. Gegen diese erstannliche Leistung erscheint selbst Joh. Chr. Günthers
Kiel gesungenes, langatmiges und langweiliges Knasterlied wie ein Zwerg.
Der meisten Achtung erfreute sich "des Herrn von Canitzens unvergleichliches
Tabakslied" und galt zugleich als Beweis, "was das Tabaksranchen auch im
Christentum für erbauliche Gedanken verursachen könne, indem es uns ein
deutliches Bild von der Flüchtigkeit aller Dinge zeiget."

Aber der Kultus des Knasters und der Pfeife konnte auf die Gestaltung
des geselligen Lebens nur eine einseitige Wirkung ausüben. Er blieb wesentlich
ans die Männerwelt beschränkt und rief hier neue Formen gemeinsamer Zu¬
sammenkünfte ins Leben. Nach des Tages Last und Mühe in die Tabagie,
das Tabakskollegium, zu gehen,


dann unabweisbar gewordenes Bedürfnis und die Macht der Mode haben
auf ihre Verbreitung und wechselnde Wertschätzung Einfluß geübt. Die Sitte,
durch lange Röhrchen den Rauch des entzündeten und langsam verglimmenden
Krautes einzuziehen, ist die erste Form der Tabaksverehrung. Lauge Zeit
war hierfür der Name „Tabaktrinken" oder, wie kräftige Gemüter es herz¬
hafter ausdrücken „Tabaksaufen" in Geltung. Die neue Kunst fand rasch
eifrige Lehrer und strebsame Schüler, deren ausdauernder Fleiß die schwierigen
Anfangsgründe mutig überwand. „Es ist nichts in der Welt — heißt es im
»satyrischen Pilgram« Grimmelshausens —, das man den andern so gern lernet
als das Tabaksanfen." Während die neuen Moden meist zuerst in den Kreisen
der obern Zehntausend heimisch wurden und dann allmählich zu den breiten
Volksschichten durchsickerten, hat sich der Tabak seinen Weg von unten nach
oben gebahnt. Rohe Kriegsknechte sind seine ersten Anhänger gewesen. Trotz
mancher Hindernisse erlangte er in kurzer Zeit ein gewaltiges Herrschaftsgebiet,
er wurde sogar salon- und hoffähig. Freudige Aufnahme fanden Knaster und
Pfeife in den Kreisen der studirenden Jugend; wer sich hier einmal ihnen er¬
geben hatte, wurde ein treuer Verehrer sür Lebenszeit und warb in neuen
Lebensstellungen neue Gläubige. Laute« Wiederhall fand dieses trauliche Ver¬
hältnis zum Tabak in einer Unzahl von Liedern, die zum Preise des fremden
Krautes in deutscher Zunge erklungen sind. „Es giebt eine Zeit in unsrer
schönen Litteratur — sagt Hoffmann von Fallersleben —, etwa von 1690 bis 1730,
in der jedes Blatt nach Tabak riecht." Es ließe sich eine stattliche Hhmno-
logie des Knasters zusammenstellen, wenn nicht die Zwecklosigkeit des Unter¬
nehmens von vornherein klar wäre. Denn diese gereimten Ergüsse leidenschaft¬
lichen Dankes sind meist wertlose Spreu; je wortreicher, um so gedankenarmer.
Welch hohen Flug die vom Tabaksqualm umnebelte Phantasie begeisterter
Sänger nahm, lehrt Johann Rauchwohls „sinnreiches Lob des Tabaks."
Der Dichter brachte es fertig, das fremde Kraut in 101 sechszeiligen Strophen
zu besingen. Gegen diese erstannliche Leistung erscheint selbst Joh. Chr. Günthers
Kiel gesungenes, langatmiges und langweiliges Knasterlied wie ein Zwerg.
Der meisten Achtung erfreute sich „des Herrn von Canitzens unvergleichliches
Tabakslied" und galt zugleich als Beweis, „was das Tabaksranchen auch im
Christentum für erbauliche Gedanken verursachen könne, indem es uns ein
deutliches Bild von der Flüchtigkeit aller Dinge zeiget."

Aber der Kultus des Knasters und der Pfeife konnte auf die Gestaltung
des geselligen Lebens nur eine einseitige Wirkung ausüben. Er blieb wesentlich
ans die Männerwelt beschränkt und rief hier neue Formen gemeinsamer Zu¬
sammenkünfte ins Leben. Nach des Tages Last und Mühe in die Tabagie,
das Tabakskollegium, zu gehen,


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[0331] dann unabweisbar gewordenes Bedürfnis und die Macht der Mode haben auf ihre Verbreitung und wechselnde Wertschätzung Einfluß geübt. Die Sitte, durch lange Röhrchen den Rauch des entzündeten und langsam verglimmenden Krautes einzuziehen, ist die erste Form der Tabaksverehrung. Lauge Zeit war hierfür der Name „Tabaktrinken" oder, wie kräftige Gemüter es herz¬ hafter ausdrücken „Tabaksaufen" in Geltung. Die neue Kunst fand rasch eifrige Lehrer und strebsame Schüler, deren ausdauernder Fleiß die schwierigen Anfangsgründe mutig überwand. „Es ist nichts in der Welt — heißt es im »satyrischen Pilgram« Grimmelshausens —, das man den andern so gern lernet als das Tabaksanfen." Während die neuen Moden meist zuerst in den Kreisen der obern Zehntausend heimisch wurden und dann allmählich zu den breiten Volksschichten durchsickerten, hat sich der Tabak seinen Weg von unten nach oben gebahnt. Rohe Kriegsknechte sind seine ersten Anhänger gewesen. Trotz mancher Hindernisse erlangte er in kurzer Zeit ein gewaltiges Herrschaftsgebiet, er wurde sogar salon- und hoffähig. Freudige Aufnahme fanden Knaster und Pfeife in den Kreisen der studirenden Jugend; wer sich hier einmal ihnen er¬ geben hatte, wurde ein treuer Verehrer sür Lebenszeit und warb in neuen Lebensstellungen neue Gläubige. Laute« Wiederhall fand dieses trauliche Ver¬ hältnis zum Tabak in einer Unzahl von Liedern, die zum Preise des fremden Krautes in deutscher Zunge erklungen sind. „Es giebt eine Zeit in unsrer schönen Litteratur — sagt Hoffmann von Fallersleben —, etwa von 1690 bis 1730, in der jedes Blatt nach Tabak riecht." Es ließe sich eine stattliche Hhmno- logie des Knasters zusammenstellen, wenn nicht die Zwecklosigkeit des Unter¬ nehmens von vornherein klar wäre. Denn diese gereimten Ergüsse leidenschaft¬ lichen Dankes sind meist wertlose Spreu; je wortreicher, um so gedankenarmer. Welch hohen Flug die vom Tabaksqualm umnebelte Phantasie begeisterter Sänger nahm, lehrt Johann Rauchwohls „sinnreiches Lob des Tabaks." Der Dichter brachte es fertig, das fremde Kraut in 101 sechszeiligen Strophen zu besingen. Gegen diese erstannliche Leistung erscheint selbst Joh. Chr. Günthers Kiel gesungenes, langatmiges und langweiliges Knasterlied wie ein Zwerg. Der meisten Achtung erfreute sich „des Herrn von Canitzens unvergleichliches Tabakslied" und galt zugleich als Beweis, „was das Tabaksranchen auch im Christentum für erbauliche Gedanken verursachen könne, indem es uns ein deutliches Bild von der Flüchtigkeit aller Dinge zeiget." Aber der Kultus des Knasters und der Pfeife konnte auf die Gestaltung des geselligen Lebens nur eine einseitige Wirkung ausüben. Er blieb wesentlich ans die Männerwelt beschränkt und rief hier neue Formen gemeinsamer Zu¬ sammenkünfte ins Leben. Nach des Tages Last und Mühe in die Tabagie, das Tabakskollegium, zu gehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/331>, abgerufen am 23.07.2024.