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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Ich glaube, am Ende verschlingen
Die Menschheit Irrsinn und Wahn,
Und das hat vor allen Dingen
Das Deutsch der Juristen gethan --

so ist das zwar etwas bitter ausgedrückt, aber es ist doch nicht ganz ohne.
Im Gegensatz hierzu hat ohne Zweifel ein deutsches Gesetzbuch die Aufgabe,
ein verständliches Deutsch zu reden. Zwar wird, in keiner Sprache der Welt
ein Gesetzbuch geschaffen werden können, das auch dein Laien den so verwickelten
Organismus unsers Rechtes völlig klar vor Augen stellte. Aber es muß doch
wenigstens versucht werden, unserm Volke sein Recht so nahe wie möglich zu
bringen. Auch hat die Sprache des Gesetzbuches die größte Bedeutung in
ihrem erzieherischen Einfluß auf den Jnristenstand. Es muß seine Aufgabe sein,
den Juristen wieder an ein gemeinverständliches Deutsch zu gewöhnen. In
der klaren Sprache liegt zugleich die beste Bürgschaft für ein klares Denken.
Allerdings ist es uicht leicht, die Rechtsgedanken mit zureichender juristischer
Genauigkeit aufzustellen und dabei doch eine einigermaßen volkstümliche Sprache
zu reden.

Stellen wir noch die Frage nach dein Zusammenwirken aller dieser Fähig¬
keiten, die Nur zur Schaffung eines Gesetzbuches als notwendig bezeichneten,
so liegt es auf der Hand, daß die Beherrschung des überreichen Materials,
das die deutschen Rechtszustände darbieten, nicht leicht in einer Person von
vornherein vereinigt sein wird, daß also, soweit die Arbeit dieses Material
ins Ange fassen und zur Grundlage nehmen muß, durch das Zusammen¬
wirken verschiedner Männer sehr Nützliches erreicht werden kann, ja daß
ein solches Zusammenwirken fast unentbehrlich erscheint. Abgesehen hiervon
aber können jene Fähigkeiten nicht wie ein Picknick zusammengetragen werden,
se'daß der eine diese, der andre jene zu dem Werke hinznbrächte. Viel¬
mehr müssen sie sich gegenseitig durchdringen, wenn etwas Gutes geschaffen
werden soll.

Es möge gestattet sein, hier einen Vergleich zu ziehen. Auch wenn ein
Kunstwerk geschaffen werden soll, sind ganz ähnliche Fähigkeiten erforderlich.
Der Künstler muß das, was auf dem Gebiete seiner Kunst bereits geschaffen
ist, kennen, weil er nur unter Anknüpfung hieran ein seine Zeit befriedigendes
Kunstwerk schaffen kann. Er muß von dem lebendigen Geiste des künstlerisch
Schönen durchdrungen sein, denn dieser bildet das eigentliche Lebenselement
alles künstlerischen Schaffens. Er muß ferner künstlerische Gestaltungskraft
haben, die ihn befähigt, den Gedanken des künstlerisch Schönen in konkreter
Erscheinung zu verwirklichen. Er muß endlich auch in der äußern Technik
seiner Kunst so bewandert sein, daß er das Kunstwerk, das er im Sinne trägt,
zur vollendeten äußern Erscheinung bringen kann. Alle diese Eigenschaften
müssen sich in seiner Person vereinigen und lebendig durchdrungen.'


Grenzvoten I 1391 ;>,g

Ich glaube, am Ende verschlingen
Die Menschheit Irrsinn und Wahn,
Und das hat vor allen Dingen
Das Deutsch der Juristen gethan —

so ist das zwar etwas bitter ausgedrückt, aber es ist doch nicht ganz ohne.
Im Gegensatz hierzu hat ohne Zweifel ein deutsches Gesetzbuch die Aufgabe,
ein verständliches Deutsch zu reden. Zwar wird, in keiner Sprache der Welt
ein Gesetzbuch geschaffen werden können, das auch dein Laien den so verwickelten
Organismus unsers Rechtes völlig klar vor Augen stellte. Aber es muß doch
wenigstens versucht werden, unserm Volke sein Recht so nahe wie möglich zu
bringen. Auch hat die Sprache des Gesetzbuches die größte Bedeutung in
ihrem erzieherischen Einfluß auf den Jnristenstand. Es muß seine Aufgabe sein,
den Juristen wieder an ein gemeinverständliches Deutsch zu gewöhnen. In
der klaren Sprache liegt zugleich die beste Bürgschaft für ein klares Denken.
Allerdings ist es uicht leicht, die Rechtsgedanken mit zureichender juristischer
Genauigkeit aufzustellen und dabei doch eine einigermaßen volkstümliche Sprache
zu reden.

Stellen wir noch die Frage nach dein Zusammenwirken aller dieser Fähig¬
keiten, die Nur zur Schaffung eines Gesetzbuches als notwendig bezeichneten,
so liegt es auf der Hand, daß die Beherrschung des überreichen Materials,
das die deutschen Rechtszustände darbieten, nicht leicht in einer Person von
vornherein vereinigt sein wird, daß also, soweit die Arbeit dieses Material
ins Ange fassen und zur Grundlage nehmen muß, durch das Zusammen¬
wirken verschiedner Männer sehr Nützliches erreicht werden kann, ja daß
ein solches Zusammenwirken fast unentbehrlich erscheint. Abgesehen hiervon
aber können jene Fähigkeiten nicht wie ein Picknick zusammengetragen werden,
se'daß der eine diese, der andre jene zu dem Werke hinznbrächte. Viel¬
mehr müssen sie sich gegenseitig durchdringen, wenn etwas Gutes geschaffen
werden soll.

Es möge gestattet sein, hier einen Vergleich zu ziehen. Auch wenn ein
Kunstwerk geschaffen werden soll, sind ganz ähnliche Fähigkeiten erforderlich.
Der Künstler muß das, was auf dem Gebiete seiner Kunst bereits geschaffen
ist, kennen, weil er nur unter Anknüpfung hieran ein seine Zeit befriedigendes
Kunstwerk schaffen kann. Er muß von dem lebendigen Geiste des künstlerisch
Schönen durchdrungen sein, denn dieser bildet das eigentliche Lebenselement
alles künstlerischen Schaffens. Er muß ferner künstlerische Gestaltungskraft
haben, die ihn befähigt, den Gedanken des künstlerisch Schönen in konkreter
Erscheinung zu verwirklichen. Er muß endlich auch in der äußern Technik
seiner Kunst so bewandert sein, daß er das Kunstwerk, das er im Sinne trägt,
zur vollendeten äußern Erscheinung bringen kann. Alle diese Eigenschaften
müssen sich in seiner Person vereinigen und lebendig durchdrungen.'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/305>, abgerufen am 23.07.2024.