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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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die Agrarier auf eine Herausforderung des Abgeordneten Richter, sie würden
auch bei der Vorlage des österreichischen Handelsvertrages gegen die Er¬
mäßigung der Getreidezölle stimmen. Freilich erfolgte diese Erklärung in Form
von namenlosen Zwischenrufen, einmal auch vom Redncrstaud, aber aus dem
Munde eines Konservativen, der schwerlich im Namen aller Agrarier zu
sprechen bevollmächtigt war. Der Abgeordnete Richter stellte seinerseits den
Antrag auf namentliche Abstimmung bei der Beschlußfassung über deu öster¬
reichischen Handelsvertrag in Aussicht, um die Abweichung, die er schon jetzt
prophezeit, zwischen der Jauuarabstimmung und der künftigen zu zeigen. Wenn
der genannte Abgeordnete glaubt, mit solcher Sicherheit Prophezeien zu können,
so geht er von dem schwerlich unrichtigen Urteil ans, daß die gegenwärtige
Reichsregierung noch keine so folgenreiche Arbeit unternommen hat, wie den
österreichischen Handelsvertrag, daß hier der Regierung widersprechen so viel
heißt, wie mit der Regierung brechen. Daß zu einem solchen Bruch die
Agrarier sich stark genug fühlen, bezweifeln auch wir.

Wir haben die erste Einführung des Getreidesolls im Jahre 1879 durch¬
aus gerechtfertigt gefunden. Damals handelte es sich um den Schutz des
Grundbesitzes gegen eine wilde Spekulation, die namentlich russisches Getreide
weit über deu deutsche" Bedarf einführte, um es entweder über die See zu
bringen, oder auch um es auf den deutschen Markt zu werfen, oder auch
um nur den Preis des deutschen Getreides zu drücken. Dieser Spekulation
konnte durch einen mäßigen Grenzzoll ein Damm gesetzt werden. Aber den
deutschen Agrariern kam es nicht bloß, wie Graf Kanitz kürzlich im Reichstage
sagte, auf ständige Preise an, sondern auf hohe Preise. So setzten die Agrarier
die weiteren Zollerhöhnngen in den Jahren 1885 und 1887 durch. Es hätte
nicht viel gefehlt, so hätten sie einen dritten Anlauf zu eiuer uoch weiteren
Zollerhöhnng genommen, wenn nicht der Unwille der öffentlichen Meinung
solchen Bestrebungen ein Ende bereitet hätte.

Aber wenn die Gefahr des endlosen Fortschreitens auf diesem Wege auch
beseitigt worden ist, so bleibt der geschaffene Zustand doch gefährlich und darum
unhaltbar. Der Satz von fünf Mark ans den Doppelzentner ist viel zu hoch.
Freilich einen übermäßig hohen Preisstand hat er bis jetzt nicht hervorgebracht.
Aber in Verbindung mit einer durch andre Maßregeln hervorgebrachten Fleisch¬
teuerung verschafft er in den unbemittelten Klassen, die von dieser Teuerung
am meisten leiden, doch dem Glauben Eingang, daß der armen Bevölkerung
zu Gunsten des Grundbesitzes das Brot verteuert werde. Nun nehme man
an, daß durch Mißernten oder sonstige Zufälle ein wirklich hoher Getreide¬
preis eintritt, so kann eine gefährliche Erbitterung der unbemittelten Volks-
klassen gar uicht vermieden werden. Man kann in die Lage kommen, jede
Art von Getreidezvll, der ja lange Jahre nicht bestanden hat, über Hals und
Kopf wieder abschaffen zu müssen. Allein wenn ein solcher Fall auch "icht


die Agrarier auf eine Herausforderung des Abgeordneten Richter, sie würden
auch bei der Vorlage des österreichischen Handelsvertrages gegen die Er¬
mäßigung der Getreidezölle stimmen. Freilich erfolgte diese Erklärung in Form
von namenlosen Zwischenrufen, einmal auch vom Redncrstaud, aber aus dem
Munde eines Konservativen, der schwerlich im Namen aller Agrarier zu
sprechen bevollmächtigt war. Der Abgeordnete Richter stellte seinerseits den
Antrag auf namentliche Abstimmung bei der Beschlußfassung über deu öster¬
reichischen Handelsvertrag in Aussicht, um die Abweichung, die er schon jetzt
prophezeit, zwischen der Jauuarabstimmung und der künftigen zu zeigen. Wenn
der genannte Abgeordnete glaubt, mit solcher Sicherheit Prophezeien zu können,
so geht er von dem schwerlich unrichtigen Urteil ans, daß die gegenwärtige
Reichsregierung noch keine so folgenreiche Arbeit unternommen hat, wie den
österreichischen Handelsvertrag, daß hier der Regierung widersprechen so viel
heißt, wie mit der Regierung brechen. Daß zu einem solchen Bruch die
Agrarier sich stark genug fühlen, bezweifeln auch wir.

Wir haben die erste Einführung des Getreidesolls im Jahre 1879 durch¬
aus gerechtfertigt gefunden. Damals handelte es sich um den Schutz des
Grundbesitzes gegen eine wilde Spekulation, die namentlich russisches Getreide
weit über deu deutsche« Bedarf einführte, um es entweder über die See zu
bringen, oder auch um es auf den deutschen Markt zu werfen, oder auch
um nur den Preis des deutschen Getreides zu drücken. Dieser Spekulation
konnte durch einen mäßigen Grenzzoll ein Damm gesetzt werden. Aber den
deutschen Agrariern kam es nicht bloß, wie Graf Kanitz kürzlich im Reichstage
sagte, auf ständige Preise an, sondern auf hohe Preise. So setzten die Agrarier
die weiteren Zollerhöhnngen in den Jahren 1885 und 1887 durch. Es hätte
nicht viel gefehlt, so hätten sie einen dritten Anlauf zu eiuer uoch weiteren
Zollerhöhnng genommen, wenn nicht der Unwille der öffentlichen Meinung
solchen Bestrebungen ein Ende bereitet hätte.

Aber wenn die Gefahr des endlosen Fortschreitens auf diesem Wege auch
beseitigt worden ist, so bleibt der geschaffene Zustand doch gefährlich und darum
unhaltbar. Der Satz von fünf Mark ans den Doppelzentner ist viel zu hoch.
Freilich einen übermäßig hohen Preisstand hat er bis jetzt nicht hervorgebracht.
Aber in Verbindung mit einer durch andre Maßregeln hervorgebrachten Fleisch¬
teuerung verschafft er in den unbemittelten Klassen, die von dieser Teuerung
am meisten leiden, doch dem Glauben Eingang, daß der armen Bevölkerung
zu Gunsten des Grundbesitzes das Brot verteuert werde. Nun nehme man
an, daß durch Mißernten oder sonstige Zufälle ein wirklich hoher Getreide¬
preis eintritt, so kann eine gefährliche Erbitterung der unbemittelten Volks-
klassen gar uicht vermieden werden. Man kann in die Lage kommen, jede
Art von Getreidezvll, der ja lange Jahre nicht bestanden hat, über Hals und
Kopf wieder abschaffen zu müssen. Allein wenn ein solcher Fall auch »icht


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[0298] die Agrarier auf eine Herausforderung des Abgeordneten Richter, sie würden auch bei der Vorlage des österreichischen Handelsvertrages gegen die Er¬ mäßigung der Getreidezölle stimmen. Freilich erfolgte diese Erklärung in Form von namenlosen Zwischenrufen, einmal auch vom Redncrstaud, aber aus dem Munde eines Konservativen, der schwerlich im Namen aller Agrarier zu sprechen bevollmächtigt war. Der Abgeordnete Richter stellte seinerseits den Antrag auf namentliche Abstimmung bei der Beschlußfassung über deu öster¬ reichischen Handelsvertrag in Aussicht, um die Abweichung, die er schon jetzt prophezeit, zwischen der Jauuarabstimmung und der künftigen zu zeigen. Wenn der genannte Abgeordnete glaubt, mit solcher Sicherheit Prophezeien zu können, so geht er von dem schwerlich unrichtigen Urteil ans, daß die gegenwärtige Reichsregierung noch keine so folgenreiche Arbeit unternommen hat, wie den österreichischen Handelsvertrag, daß hier der Regierung widersprechen so viel heißt, wie mit der Regierung brechen. Daß zu einem solchen Bruch die Agrarier sich stark genug fühlen, bezweifeln auch wir. Wir haben die erste Einführung des Getreidesolls im Jahre 1879 durch¬ aus gerechtfertigt gefunden. Damals handelte es sich um den Schutz des Grundbesitzes gegen eine wilde Spekulation, die namentlich russisches Getreide weit über deu deutsche« Bedarf einführte, um es entweder über die See zu bringen, oder auch um es auf den deutschen Markt zu werfen, oder auch um nur den Preis des deutschen Getreides zu drücken. Dieser Spekulation konnte durch einen mäßigen Grenzzoll ein Damm gesetzt werden. Aber den deutschen Agrariern kam es nicht bloß, wie Graf Kanitz kürzlich im Reichstage sagte, auf ständige Preise an, sondern auf hohe Preise. So setzten die Agrarier die weiteren Zollerhöhnngen in den Jahren 1885 und 1887 durch. Es hätte nicht viel gefehlt, so hätten sie einen dritten Anlauf zu eiuer uoch weiteren Zollerhöhnng genommen, wenn nicht der Unwille der öffentlichen Meinung solchen Bestrebungen ein Ende bereitet hätte. Aber wenn die Gefahr des endlosen Fortschreitens auf diesem Wege auch beseitigt worden ist, so bleibt der geschaffene Zustand doch gefährlich und darum unhaltbar. Der Satz von fünf Mark ans den Doppelzentner ist viel zu hoch. Freilich einen übermäßig hohen Preisstand hat er bis jetzt nicht hervorgebracht. Aber in Verbindung mit einer durch andre Maßregeln hervorgebrachten Fleisch¬ teuerung verschafft er in den unbemittelten Klassen, die von dieser Teuerung am meisten leiden, doch dem Glauben Eingang, daß der armen Bevölkerung zu Gunsten des Grundbesitzes das Brot verteuert werde. Nun nehme man an, daß durch Mißernten oder sonstige Zufälle ein wirklich hoher Getreide¬ preis eintritt, so kann eine gefährliche Erbitterung der unbemittelten Volks- klassen gar uicht vermieden werden. Man kann in die Lage kommen, jede Art von Getreidezvll, der ja lange Jahre nicht bestanden hat, über Hals und Kopf wieder abschaffen zu müssen. Allein wenn ein solcher Fall auch »icht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/298>, abgerufen am 23.07.2024.