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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Gesegnet sei dieser Schlund
Bis zum Grund,
Wo Schlamm und Unrat dritten,
Dort ans der Tiefe erstand
Als fruchtbares Land
Die Erde in herrlichen Blüten!

In seinem Roman Lrav68 (Zeu" läßt Richepin den armen Musiker Aves
de Kergvllöt ausrufen: wor iäval, in, vliansoir pupulaire. Auch Nichepi"
geizt nach dem Ruhme der Volkstümlichkeit, und manche seiner Matrosenlieder
sind es auch wert, z. V. das Ruderlied, das Lied vom schlechten Wirt, das
Lied von der schönen Tochter des Seeräubers, um die sich Könige, Kaiser und
Sultane vergebens beworben haben, und die ihre Liebe schließlich einem lustigen
Matrosen schenkt, der heitre Liebeslieder zu singen weiß. Es geht zuweilen
mich in Im Nor ein ausgelassner Ton durch seiue Verse, doch bleibt die
Grundstimmung ernst und melancholisch. So nennt er das Meer "die bittre
Thräne der untröstlicher Erde", so knüpft der Dichter überall seine pessimisti¬
schen Vetrachtnngen an, wenn er den Verlornen Schmetterling über dem weiten
Meere dahinflattern sieht, oder mit den Blicken die Seeschwalben verfolgt,
die mit ihren Flügeln die letzten Nebel zerteilen, damit die Frühlingssonne
durchbrechen kann, oder wenn er die kurzlebigen Wellen schildert, die sich
sterbend znranschen:


^ IvNKUV Lxistsnvö longs soins,
IA vivrv Mi, v'sse sontlrir noir8.

Von seinen Bühnenstücken kann nur den: dreiaktigen Lustspiel NmiLimir
^"my'in eili bleibender Wert zugeschrieben werden; Richepin sucht darin eine
freie Nachahmung der klassischen Komödie zu liefern. Den reich gewordenen
Scapin treibt der Ehrgeiz in höhere Gesellschaftskreise, er will seine Tochter',
Snzette an einen Advokaten verheiratet?, ohne mit der Schwierigkeit zu rechnen,
das; das Mädchen ihr Herz nnter Zustimmung ihrer Mutter bereits einem
jungen Musiker geschenkt hat. Der Dichter hat das Stück in Versen geschrieben,
die an Freiheit, Wohlklang und Kraft den klassischen nicht nachstehen, und das
täuscht denn auch über die matte Erfindung der Fabel und die gewaltsam
verzögerte und nuseinaudergezogeue Handlung hinweg.

Größeren Erfolg hat Richepiu auf dem Gebiete des Romans errungen;
er ist auch hier, wie in seinen Gedichten, aus einer verworrenen, naturalistischen
Auffassung und Darstellung menschlicher Probleme zu glücklichern Grundsätzen
durchgedrungen und hat es auch hier verstanden, das den Naturalisten fehlende
Spiel eines alle Gegensätze versöhnenden Humors besonders in seinen spätern
Romanen mitwirken zu küssen. Sein erster Roman freilich, Im <!in, die Leim¬
rute, gehört nach seiner ganzen Anlage und Durchführung den Kokotten-
rvmanen gemeinster Sorte um. La Gin, die geschiedene Fran eines Arztes,



Gesegnet sei dieser Schlund
Bis zum Grund,
Wo Schlamm und Unrat dritten,
Dort ans der Tiefe erstand
Als fruchtbares Land
Die Erde in herrlichen Blüten!

In seinem Roman Lrav68 (Zeu» läßt Richepin den armen Musiker Aves
de Kergvllöt ausrufen: wor iäval, in, vliansoir pupulaire. Auch Nichepi»
geizt nach dem Ruhme der Volkstümlichkeit, und manche seiner Matrosenlieder
sind es auch wert, z. V. das Ruderlied, das Lied vom schlechten Wirt, das
Lied von der schönen Tochter des Seeräubers, um die sich Könige, Kaiser und
Sultane vergebens beworben haben, und die ihre Liebe schließlich einem lustigen
Matrosen schenkt, der heitre Liebeslieder zu singen weiß. Es geht zuweilen
mich in Im Nor ein ausgelassner Ton durch seiue Verse, doch bleibt die
Grundstimmung ernst und melancholisch. So nennt er das Meer „die bittre
Thräne der untröstlicher Erde", so knüpft der Dichter überall seine pessimisti¬
schen Vetrachtnngen an, wenn er den Verlornen Schmetterling über dem weiten
Meere dahinflattern sieht, oder mit den Blicken die Seeschwalben verfolgt,
die mit ihren Flügeln die letzten Nebel zerteilen, damit die Frühlingssonne
durchbrechen kann, oder wenn er die kurzlebigen Wellen schildert, die sich
sterbend znranschen:


^ IvNKUV Lxistsnvö longs soins,
IA vivrv Mi, v'sse sontlrir noir8.

Von seinen Bühnenstücken kann nur den: dreiaktigen Lustspiel NmiLimir
^«my'in eili bleibender Wert zugeschrieben werden; Richepin sucht darin eine
freie Nachahmung der klassischen Komödie zu liefern. Den reich gewordenen
Scapin treibt der Ehrgeiz in höhere Gesellschaftskreise, er will seine Tochter',
Snzette an einen Advokaten verheiratet?, ohne mit der Schwierigkeit zu rechnen,
das; das Mädchen ihr Herz nnter Zustimmung ihrer Mutter bereits einem
jungen Musiker geschenkt hat. Der Dichter hat das Stück in Versen geschrieben,
die an Freiheit, Wohlklang und Kraft den klassischen nicht nachstehen, und das
täuscht denn auch über die matte Erfindung der Fabel und die gewaltsam
verzögerte und nuseinaudergezogeue Handlung hinweg.

Größeren Erfolg hat Richepiu auf dem Gebiete des Romans errungen;
er ist auch hier, wie in seinen Gedichten, aus einer verworrenen, naturalistischen
Auffassung und Darstellung menschlicher Probleme zu glücklichern Grundsätzen
durchgedrungen und hat es auch hier verstanden, das den Naturalisten fehlende
Spiel eines alle Gegensätze versöhnenden Humors besonders in seinen spätern
Romanen mitwirken zu küssen. Sein erster Roman freilich, Im <!in, die Leim¬
rute, gehört nach seiner ganzen Anlage und Durchführung den Kokotten-
rvmanen gemeinster Sorte um. La Gin, die geschiedene Fran eines Arztes,


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[0285] Gesegnet sei dieser Schlund Bis zum Grund, Wo Schlamm und Unrat dritten, Dort ans der Tiefe erstand Als fruchtbares Land Die Erde in herrlichen Blüten! In seinem Roman Lrav68 (Zeu» läßt Richepin den armen Musiker Aves de Kergvllöt ausrufen: wor iäval, in, vliansoir pupulaire. Auch Nichepi» geizt nach dem Ruhme der Volkstümlichkeit, und manche seiner Matrosenlieder sind es auch wert, z. V. das Ruderlied, das Lied vom schlechten Wirt, das Lied von der schönen Tochter des Seeräubers, um die sich Könige, Kaiser und Sultane vergebens beworben haben, und die ihre Liebe schließlich einem lustigen Matrosen schenkt, der heitre Liebeslieder zu singen weiß. Es geht zuweilen mich in Im Nor ein ausgelassner Ton durch seiue Verse, doch bleibt die Grundstimmung ernst und melancholisch. So nennt er das Meer „die bittre Thräne der untröstlicher Erde", so knüpft der Dichter überall seine pessimisti¬ schen Vetrachtnngen an, wenn er den Verlornen Schmetterling über dem weiten Meere dahinflattern sieht, oder mit den Blicken die Seeschwalben verfolgt, die mit ihren Flügeln die letzten Nebel zerteilen, damit die Frühlingssonne durchbrechen kann, oder wenn er die kurzlebigen Wellen schildert, die sich sterbend znranschen: ^ IvNKUV Lxistsnvö longs soins, IA vivrv Mi, v'sse sontlrir noir8. Von seinen Bühnenstücken kann nur den: dreiaktigen Lustspiel NmiLimir ^«my'in eili bleibender Wert zugeschrieben werden; Richepin sucht darin eine freie Nachahmung der klassischen Komödie zu liefern. Den reich gewordenen Scapin treibt der Ehrgeiz in höhere Gesellschaftskreise, er will seine Tochter', Snzette an einen Advokaten verheiratet?, ohne mit der Schwierigkeit zu rechnen, das; das Mädchen ihr Herz nnter Zustimmung ihrer Mutter bereits einem jungen Musiker geschenkt hat. Der Dichter hat das Stück in Versen geschrieben, die an Freiheit, Wohlklang und Kraft den klassischen nicht nachstehen, und das täuscht denn auch über die matte Erfindung der Fabel und die gewaltsam verzögerte und nuseinaudergezogeue Handlung hinweg. Größeren Erfolg hat Richepiu auf dem Gebiete des Romans errungen; er ist auch hier, wie in seinen Gedichten, aus einer verworrenen, naturalistischen Auffassung und Darstellung menschlicher Probleme zu glücklichern Grundsätzen durchgedrungen und hat es auch hier verstanden, das den Naturalisten fehlende Spiel eines alle Gegensätze versöhnenden Humors besonders in seinen spätern Romanen mitwirken zu küssen. Sein erster Roman freilich, Im <!in, die Leim¬ rute, gehört nach seiner ganzen Anlage und Durchführung den Kokotten- rvmanen gemeinster Sorte um. La Gin, die geschiedene Fran eines Arztes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/285>, abgerufen am 23.07.2024.