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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Amerikanische Philosophie

Dann ist ja der Verzicht auf das irdische Glück gar nicht nötig. Oder sollen
Einsicht, Geisteskraft und Sittlichkeit beständig fortschreiten? Dann muß sich
dieser Fortschritt doch auch in der Verbesserung der äußern Lage der Meuschen
zeigen; denn in einer sittlich vollkommnen und weisen Gesellschaft würde kein
Mensch weder durch eigne noch durch fremde Schuld elend werden.

Der Christ sieht, daß die wirkliche Welt dem sittlichen Ideal, das er im
Herzen trügt, nicht entspricht, darin ist er Pessimist. Er glaubt, daß die der
Gerechtigkeit hienieden gewissermaßen nur probeweise und zur Aufmunterung
gegönnten kleinen Siege den vollkommnen großen Sieg im Jenseits ankündigen,
den er persönlich mit zu genießen hofft, darin ist er Optimist. Und daneben
ist er ja mich ein wenig Meliorist, indem er selber nach seiner schwachen Kraft
durch Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände an der Herbeiführung dieses
Sieges arbeitet. Streicht man den Glauben an den persönlichen Gott und
die persönliche Unsterblichkeit , dann bleibt nichts übrig als ein hoffnungsloser
Pessimismus, der zwar uicht unsittlich macht, der aber die sittliche Kraft lahmt,
und dnriu besteht der verderbliche Einfluß des Atheismus. Es mag genug Menschen
geben, deren Herz so gut geartet und deren Charakter so fest ist, daß sie ans
bloßem Widerwillen gegen das Schlechte, ohne Hoffnung und ohne Furcht,
zeitlebens edel und gut bleiben. Aber die Mehrzahl vermag jener Antriebe
nicht zu entbehren. Und auch jene unverwüstlichen Naturen werden es doch
kaum zur Begeisterung für das Gute bringen. Die hohen Worte über das
Drama des Todes Christi, die Carus von seinen, Standpunkte ans macht,
sind hohle Worte. Ist Christus nicht auferstanden, sagt Paulus, so ist unsre
Predigt vergeblich, und vergeblich euer Glaube; erfüllt sich unsre Hoffnung
nicht, dann find wir Christen elender als alle übrigen Menschen. Ohne die
Auferstehung ist der Tod Christi ein Justizmord, ein Sieg der Ungerechtigkeit
gleich vielen andern und hat nichts Erhebendes und nichts Tröstendes. Der
spätere Sieg des Christentums kann in den Augen der Modernen keine Ent¬
schädigung für die in Christus nuterlegeue Wahrheit und Gerechtigkeit sein,
weil sie die christlichen Ideen nicht als wahr anerkennen; und der Sieg des
Guten ist eine leere Redensart, wenn die Guten zu Grunde gehn. Der Glaube
an den persönlichen Gott und an die persönliche Unsterblichkeit des Menschen
bleibt eben eine Forderung der praktischen Vernunft, oder wie mau auch sagen
kaun, des Herzens und des Lebens.

Das Buch ist, wir wiederholen es, sehr gefährlich, weil es deu uralten
Irrtum in neuem Aufputz sehr überzeugend darstellt und namentlich dem auch
in Europa verbreiteten Amerikanergeistc mundgerecht macht, dem es ja un-
gemein schmeicheln muß, zu vernehmen, daß seine Praxis, sich um nichts zu
kümmern, was sich uicht sehen, schmecken, greifen, messen, wägen und zählen
läßt, Philosophie sei, und zwar die höchste und einzig wahre Philosophie.
Wer darüber hinaus ist, sich durch eine so platte und bequeme Weisheit be-


Amerikanische Philosophie

Dann ist ja der Verzicht auf das irdische Glück gar nicht nötig. Oder sollen
Einsicht, Geisteskraft und Sittlichkeit beständig fortschreiten? Dann muß sich
dieser Fortschritt doch auch in der Verbesserung der äußern Lage der Meuschen
zeigen; denn in einer sittlich vollkommnen und weisen Gesellschaft würde kein
Mensch weder durch eigne noch durch fremde Schuld elend werden.

Der Christ sieht, daß die wirkliche Welt dem sittlichen Ideal, das er im
Herzen trügt, nicht entspricht, darin ist er Pessimist. Er glaubt, daß die der
Gerechtigkeit hienieden gewissermaßen nur probeweise und zur Aufmunterung
gegönnten kleinen Siege den vollkommnen großen Sieg im Jenseits ankündigen,
den er persönlich mit zu genießen hofft, darin ist er Optimist. Und daneben
ist er ja mich ein wenig Meliorist, indem er selber nach seiner schwachen Kraft
durch Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände an der Herbeiführung dieses
Sieges arbeitet. Streicht man den Glauben an den persönlichen Gott und
die persönliche Unsterblichkeit , dann bleibt nichts übrig als ein hoffnungsloser
Pessimismus, der zwar uicht unsittlich macht, der aber die sittliche Kraft lahmt,
und dnriu besteht der verderbliche Einfluß des Atheismus. Es mag genug Menschen
geben, deren Herz so gut geartet und deren Charakter so fest ist, daß sie ans
bloßem Widerwillen gegen das Schlechte, ohne Hoffnung und ohne Furcht,
zeitlebens edel und gut bleiben. Aber die Mehrzahl vermag jener Antriebe
nicht zu entbehren. Und auch jene unverwüstlichen Naturen werden es doch
kaum zur Begeisterung für das Gute bringen. Die hohen Worte über das
Drama des Todes Christi, die Carus von seinen, Standpunkte ans macht,
sind hohle Worte. Ist Christus nicht auferstanden, sagt Paulus, so ist unsre
Predigt vergeblich, und vergeblich euer Glaube; erfüllt sich unsre Hoffnung
nicht, dann find wir Christen elender als alle übrigen Menschen. Ohne die
Auferstehung ist der Tod Christi ein Justizmord, ein Sieg der Ungerechtigkeit
gleich vielen andern und hat nichts Erhebendes und nichts Tröstendes. Der
spätere Sieg des Christentums kann in den Augen der Modernen keine Ent¬
schädigung für die in Christus nuterlegeue Wahrheit und Gerechtigkeit sein,
weil sie die christlichen Ideen nicht als wahr anerkennen; und der Sieg des
Guten ist eine leere Redensart, wenn die Guten zu Grunde gehn. Der Glaube
an den persönlichen Gott und an die persönliche Unsterblichkeit des Menschen
bleibt eben eine Forderung der praktischen Vernunft, oder wie mau auch sagen
kaun, des Herzens und des Lebens.

Das Buch ist, wir wiederholen es, sehr gefährlich, weil es deu uralten
Irrtum in neuem Aufputz sehr überzeugend darstellt und namentlich dem auch
in Europa verbreiteten Amerikanergeistc mundgerecht macht, dem es ja un-
gemein schmeicheln muß, zu vernehmen, daß seine Praxis, sich um nichts zu
kümmern, was sich uicht sehen, schmecken, greifen, messen, wägen und zählen
läßt, Philosophie sei, und zwar die höchste und einzig wahre Philosophie.
Wer darüber hinaus ist, sich durch eine so platte und bequeme Weisheit be-


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[0027] Amerikanische Philosophie Dann ist ja der Verzicht auf das irdische Glück gar nicht nötig. Oder sollen Einsicht, Geisteskraft und Sittlichkeit beständig fortschreiten? Dann muß sich dieser Fortschritt doch auch in der Verbesserung der äußern Lage der Meuschen zeigen; denn in einer sittlich vollkommnen und weisen Gesellschaft würde kein Mensch weder durch eigne noch durch fremde Schuld elend werden. Der Christ sieht, daß die wirkliche Welt dem sittlichen Ideal, das er im Herzen trügt, nicht entspricht, darin ist er Pessimist. Er glaubt, daß die der Gerechtigkeit hienieden gewissermaßen nur probeweise und zur Aufmunterung gegönnten kleinen Siege den vollkommnen großen Sieg im Jenseits ankündigen, den er persönlich mit zu genießen hofft, darin ist er Optimist. Und daneben ist er ja mich ein wenig Meliorist, indem er selber nach seiner schwachen Kraft durch Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände an der Herbeiführung dieses Sieges arbeitet. Streicht man den Glauben an den persönlichen Gott und die persönliche Unsterblichkeit , dann bleibt nichts übrig als ein hoffnungsloser Pessimismus, der zwar uicht unsittlich macht, der aber die sittliche Kraft lahmt, und dnriu besteht der verderbliche Einfluß des Atheismus. Es mag genug Menschen geben, deren Herz so gut geartet und deren Charakter so fest ist, daß sie ans bloßem Widerwillen gegen das Schlechte, ohne Hoffnung und ohne Furcht, zeitlebens edel und gut bleiben. Aber die Mehrzahl vermag jener Antriebe nicht zu entbehren. Und auch jene unverwüstlichen Naturen werden es doch kaum zur Begeisterung für das Gute bringen. Die hohen Worte über das Drama des Todes Christi, die Carus von seinen, Standpunkte ans macht, sind hohle Worte. Ist Christus nicht auferstanden, sagt Paulus, so ist unsre Predigt vergeblich, und vergeblich euer Glaube; erfüllt sich unsre Hoffnung nicht, dann find wir Christen elender als alle übrigen Menschen. Ohne die Auferstehung ist der Tod Christi ein Justizmord, ein Sieg der Ungerechtigkeit gleich vielen andern und hat nichts Erhebendes und nichts Tröstendes. Der spätere Sieg des Christentums kann in den Augen der Modernen keine Ent¬ schädigung für die in Christus nuterlegeue Wahrheit und Gerechtigkeit sein, weil sie die christlichen Ideen nicht als wahr anerkennen; und der Sieg des Guten ist eine leere Redensart, wenn die Guten zu Grunde gehn. Der Glaube an den persönlichen Gott und an die persönliche Unsterblichkeit des Menschen bleibt eben eine Forderung der praktischen Vernunft, oder wie mau auch sagen kaun, des Herzens und des Lebens. Das Buch ist, wir wiederholen es, sehr gefährlich, weil es deu uralten Irrtum in neuem Aufputz sehr überzeugend darstellt und namentlich dem auch in Europa verbreiteten Amerikanergeistc mundgerecht macht, dem es ja un- gemein schmeicheln muß, zu vernehmen, daß seine Praxis, sich um nichts zu kümmern, was sich uicht sehen, schmecken, greifen, messen, wägen und zählen läßt, Philosophie sei, und zwar die höchste und einzig wahre Philosophie. Wer darüber hinaus ist, sich durch eine so platte und bequeme Weisheit be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/27>, abgerufen am 23.07.2024.